Von der Wut und den vielen Fragen, die man sich nicht beantworten kann
Was denken und fühlen Veteranen, wenn sie die Bilder aus Afghanistan sehen und die neuesten Nachrichten aus einem Land hören, das vielen der 150.000 Soldatinnen und Soldaten auch ans Herz gewachsen ist? Stefan Deuschl und Achim Wohlgethan erzählen.
Als der Stabsunteroffizier a.D. Achim Wohlgethan (55) mit dem ersten Einsatzkontingent ISAF im Frühjahr 2002 in Afghanistan landete, waren die Taliban gerade von der Armee der Alliierten verjagt worden – ihre Terrorherrschaft nach fünf furchtbaren Jahren für die Menschen in Afghanistan beendet. Wohlgethan und seine Kameraden trafen auf ein tief verunsichertes Land. „Wir haben die Aufgabe auch so verstanden, dass wir den Menschen wieder Sicherheit geben und den Frieden und das Recht sichern, vor allem für die Frauen und Mädchen, die unter der Herrschaft der Taliban ins finsterste Mittelalter katapultiert worden waren. Wir hatten einen Auftrag, darüber wird dann auch nicht diskutiert: Der Auftrag wird erfüllt. Ich denke, wir haben einiges erreicht, aber vielleicht war der Auftrag auch zu groß, denn das, was wir jetzt erleben, ist enttäuschend. Es ist bitter und lässt viele Fragen zurück“, sagt Achim Wohlgethan.
„Wir haben als Bundeswehr einiges für diese Menschen erreicht, eine Generation ist friedlich und frei aufgewachsen. Das haben wir auch mit Blut erkämpft. Ich treffe häufig Kameraden von damals, Einsatzveteranen wie mich, nicht wenige sagen resigniert beim Anblick der Bilder heute aus Afghanistan und vor allem aus Kabul: ‚Die 59 Kameraden sind umsonst gestorben. Wozu das alles?’“
150.000 Soldaten sind in den 20 Jahren des Krieges am Hindukusch für die Bundeswehr in unterschiedlichen Kontingenten im Einsatz gewesen. 59 haben den Einsatz nicht überlebt, hunderte sind an der Seele erkrankt und leiden bis heute darunter, was sie in Afghanistan erlebt haben. „Man fragt sich ja, ob es jemals überhaupt wieder Frieden in Afghanistan geben kann. Oder ist die Situation dort zu verfahren?“
Er denke heute, sagt Wohlgethan, dass es für das Ende des Einsatzes, den Abzug, der Ende Juni passiert ist, keinen Plan gab, in dem man alle Szenarien bedacht hat. „Ich persönlich bin der Meinung, dass man nicht nur Plan A und Plan B haben muss, sondern auch Plan C. Die Politik muss sich in Zukunft schneller entscheiden und auf veränderte Entwicklungen flexibel reagieren. Ich persönlich habe die Taliban nie unterschätzt, ich konnte mir aber auch nicht vorstellen, dass sie so schnell wieder an die Hebel der Macht kommen. Vielleicht würde es helfen, wenn wieder jemand Verteidigungsminister würde, der gedient und Verantwortung übernommen hat.“
Stefan Deuschl (53) ist Stabsfeldwebel a.D. Er war 2005 in Kabul im Einsatz. Bei einem Sprengstoffanschlag im November 2005 saß er mit zwei Kameraden in einem Geländewagen. Der Sprengsatz tötet einen von ihnen, Stefan Deuschl und ein zweiter Kamerad wurden schwer verletzt. Der Feldjägerfeldwebel verlor beide Beine im Oberschenkelbereich. Wenn er heute an Afghanistan und an das Desaster nach dem Abzug der US-Truppen und der Bundeswehr denkt, dann sind die Gefühle vielfältig, diffus. Vieles, was der Veteran heute an Bildern aus Afghanistan sieht, wirkt verstörend.
„Überrascht hat mich nicht“, sagt er, „dass die Taliban wieder die Macht haben in Afghanistan. Der afghanische Staat war offensichtlich nicht stabil genug. Mich hat aber das Tempo der Entwicklung überrascht, das hat mich sprachlos gemacht. Was ich heute fühle? Es ist eine Mischung aus Wut, Trauer und Enttäuschung. Wir sind damals in den Einsatz gegangen, weil wir etwas bewirken wollten. Wenn man dann nach 20 Jahren sieht, dass wir es offenbar nicht geschafft haben in dieser Zeit, den Afghanen die Vorzüge der Demokratie, der Menschenrechte und vor allem der gleichen Rechte für Frauen nahezubringen, das ist traurig.
Ich habe gehofft, dass die junge Generation auch für eine friedliche und sichere Zukunft stehen wird und Verantwortung für Afghanistan übernimmt. Ich habe ein unvergessliches Ereignis erlebt, das mich in dieser Hoffnung bestätigt hat. Es war unmittelbar vor dem Anschlag im November 2005 an der Amani School in Kabul. Da war ein Fußballspiel zwischen der Schulmannschaft und einer Auswahl von deutschen Soldaten. Ich habe mit ein paar afghanischen Schülern Tischtennis gespielt und einige unbeschwerte Stunden gemeinsam erlebt. Das war von großer Herzlichkeit geprägt.“
Das Vertrauen der Bevölkerung, das habe er bei vielen Gelegenheiten gespürt, war kaum vorhanden. „Man hat uns nicht nur beäugt, sondern auch feindselig beobachtet. Das ist kein angenehmes Gefühl. Wenn man das erlebt, dass die Taliban in einigen Regionen Afghanistans sehr freundlich begrüßt worden sind, dann kommen einem große Zweifel: Wollen die Leute gar nicht anders leben in einem demokratischen Staat? Wollen die bei ihren teilweise noch mittelalterlichen Strukturen bleiben? Das sind Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Das lässt mich ratlos zurück.“
Planlos, offenbar ohne Strategie, sagt Stefan Deuschl, sei das Handeln aller am Einsatz in Afghanistan beteiligen Staaten leider seit einiger Zeit gewesen, das gilt nicht nur für die Bundesregierung. „Man hätte meiner Meinung nach mit dem Abzug der Bundeswehr auch die eigenen Leute rausholen müssen und auch die Ortskräfte evakuieren sollen, da wäre auch die Zeit gewesen, gründlich zu prüfen, wer da vertrauenswürdig ist. Wir haben im täglichen Einsatz leider auch Ortskräfte erlebt, die für uns und die Taliban gearbeitet haben. Das war wenig vertrauenswürdig.“
Wie geht man in Deutschland mit Veteranen wie Stefan Deuschl um, wird der Dienst, das Dienen genug gewürdigt? „Wie wenig respektvoll Politik und Gesellschaft zum Teil mit uns umgehen, mache ich allein schon daran fest, dass heute davon gesprochen wird, man fürchte, Veteranen könnten angesichts der Ereignisse in Afghanistan ins extreme Lager abdriften und sich radikalisieren. In solchen Vermutungen und Unterstellungen steckt so ungeheuer viel Respektlosigkeit, dass mir dann wieder klar wird, dass wir Soldaten eben nur der Spielball der Politik sind. Ernsthaftes Interesse und Wertschätzung kann ich nicht erkennen. Und das geht auch vielen meiner Kameraden so.”
Er trifft regelmäßig andere Veteranen, man redet über die gemeinsame Zeit beim Einsatz in Afghanistan, die aktuelle Lage, wie es einem heute geht. „Wir haben diese Kultur der Anerkennung für Veteranen in Deutschland nicht. Es gibt Politiker, die uns Soldaten und die Bundeswehr abschaffen wollen, aber jetzt dürfen wir wieder an die vorderste Front, wie in den vergangenen Tagen in Kabul bei der Rettungsmission. Wenn es um Veteranen geht, dann hört man vom BundeswehrVerband was, da gibt es diese Anerkennung, aber glauben Sie mal nicht, dass sich in den vergangenen Jahren jemand von der Bundeswehr gemeldet hat. Und ich erlebe, dass mit Veteranen, die an PTBS erkrankt sind, nicht gut umgegangen wird. Bei mir ist der Fall klar, ich habe meine Beine offensichtlich verloren. Da zweifelt niemand am qualifizierten Dienstunfall. Bei anderen, wo die Krankheit unsichtbar ist, erlebe ich immer wieder, dass der Grad der Beschädigung nach unten korrigiert wird, dass Hürden aufgestellt werden, statt zu helfen. Es müsste eigentlich genügen, dass ein Kamerad einmal einen Antrag stellt und dann kann er darauf zählen, anständig versorgt zu sein. Ich bin heute wieder zufrieden und mit mir und meiner Familie im Reinen. Ich habe wieder ehrenamtliche Aufgaben. Das ist ein Wert an sich. Deshalb würde ich trotz allem auch nicht sagen, dass der Einsatz sinnlos war. Zumindest in diesen 20 Jahren, konnten Schüler, vor allem auch Mädchen, Bildung erfahren. Ich hoffe trotzdem, dass das Früchte trägt.”