Rückkehr in den Lockdown: Deutsche Fregatte beendet Libyen-Einsatz
Nahezu vollkommen abgeschottet von der Außenwelt haben mehr als 200 deutsche Soldaten in den vergangenen Monaten im Mittelmeer das Waffenembargo gegen Libyen überwacht. Jetzt geht es zurück in die Heimat im Lockdown. Es droht ein Realitätsschock.
Wilhelmshaven: Kein Bundeswehreinsatz hat in den vergangenen Monaten für so viel Aufsehen gesorgt wie der zur Überwachung des UN-Waffenembargos gegen Libyen. Die Besatzung der deutschen Fregatte «Hamburg» verhinderte im September, dass ein Tanker illegal Kerosin in das Bürgerkriegsland bringt. Vor wenigen Wochen löste dann die Kontrolle eines türkischen Containerschiffs einen politischen Eklat aus. Kurz vor Weihnachten kommen das Schiff und die mehr als 200 Soldaten und Soldatinnen nun in die Heimat zurück. Vor dem Einlaufen am Sonntag berichtet Fregattenkapitän Jan Fitschen (43) der Deutschen Presse-Agentur von den besonderen Herausforderungen des Einsatzes unter Corona-Bedingungen und dem, was nun auf die Soldaten in Deutschland zukommt.
Herr Kapitän, um keinen Corona-Ausbruch an Bord zu riskieren, durften Sie und Ihr Team fast fünf Monate lang keinen engeren Kontakt zu anderen Menschen haben. Das klingt schlimmer als jeder Lockdown.
Fregattenkapitän Jan Fitschen: Ja, es war schon etwas anderes, vor allem bei Hafenaufenthalten. Da war es diesmal nicht so, dass die Besatzung frei entscheiden konnte, was sie macht, sondern es gab sehr klare Grenzen. Die lauteten: Es geht nicht von Bord, und es gibt keinen physischen Kontakt zu anderen Menschen. Gleichzeitig habe ich aber immer wieder gesagt: Wir müssen uns vor Augen führen, dass die ganze Welt momentan in einer anderen Situation lebt. Am Ende durften wir zwar nicht von Bord, aber wir durften trotzdem mehr als viele andere Menschen. Wir mussten keine Masken tragen, wir durften gemeinsam essen, wir durften Feierlichkeiten in größerem Rahmen machen. Diese Freiheiten hat derzeit niemand in Deutschland.
Es gab also keinen Lagerkoller?
Fitschen: Wenn ich jetzt sage, dass wir überhaupt keine Spannungen an Bord hatten, glaubt mir das keiner. Das war auch nicht so. Aber ich glaube, es waren nicht mehr als sonst, sondern vielleicht sogar weniger. Weil man ganz genau wusste, wir sind alle auf dem gleichen Schiff und haben letztendlich alle das gleiche Problem.
Mit der Kontrolle des türkischen Frachtschiffes «Roseline A» lösten Sie und Ihr Team im November einen diplomatischen Eklat aus. Die Regierung in Ankara warf Deutschland vor, eine rechtswidrige Operation mit unbefugter Gewaltanwendung ausgeführt zu haben. Hatten Sie damit gerechnet, dass so etwas passieren kann?
Fitschen: Natürlich war uns die Brisanz des Einsatzes klar, wir sind ja nicht blauäugig. Aber wir hatten einen Auftrag, und wir haben nur das gemacht, was von uns erwartet wurde - nämlich ein verdächtiges Schiff kontrolliert. So eine Kontrolle ist unabhängig davon, wo dieses Schiff herkommt. Was dann am Ende daraus gemacht wurde, lag nicht in unserer Hand.
Wie ist der Einsatz abgelaufen?
Fitschen: Es gab den Hinweis, dass die «Roseline A» Waffen nach Libyen transportieren könnte und damit gegen das UN-Embargo verstoßen würde. Dann wurde der Flaggenstaat informiert, dass das Schiff durchsucht werden soll und es wurden ernsthafte Bemühungen unternommen, eine Einwilligung einzuholen. Da die Türkei als Flaggenstaat innerhalb einer bestimmten Zeit nicht reagiert hat, wurde das aber schließlich von der Operationsführung als stillschweigendes Einverständnis zum Boarding gewertet. Das ist gemäß UN-Resolution so vorgesehen. Wir sind dann mit unserem Bordhubschrauber rübergeflogen und haben mit der Inspektion begonnen. Die lief so lange, bis die Türkei der Untersuchung als Flaggenstaat am Abend offiziell widersprochen hat. Waffen wurden bis dahin nicht gefunden.
Diese Darstellung klingt unspektakulär. Videoaufzeichnungen, die auch im türkischen Fernsehen zu sehen waren, zeigten schwerbewaffnete deutsche Soldaten, die Besatzungsmitglieder mit erhobenen Händen regelrecht abzuführen scheinen und ein sehr hitziges Wortgefecht.
Fitschen: Ja, die Soldaten waren schwer bewaffnet, weil das kein freundschaftlicher Besuch war und keiner wusste, wie am Ende die Situation an Bord sein wird. Auch Polizisten haben ja in der Regel eine Waffe dabei, wenn sie eine Kontrolle durchführen. Was die Bilder angeht, waren das letztendlich nur zwei Szenen. In einer hat das Team mit dem Schiffsführer etwas heftiger diskutiert, weil bei dem Mann die Emotionen kurzzeitig hochgekocht sind. Die Situation wurde aber gelöst, ohne dass Gewalt angewendet wurde.
Und die erhobenen Hände der Besatzungsmitglieder?
Fitschen: Da ging es einfach darum, eine Bedrohung für unsere Soldaten auszuschließen, solange die Besatzung noch nicht nach Waffen durchsucht wurde. Die Gefahr wäre sonst zum Beispiel gewesen, dass jemand ein Messer aus der Tasche zieht und zusticht. Deswegen durften die Besatzungsmitglieder bis zur Durchsuchung nur mit erhobenen Händen an den Soldaten vorbeigehen. Nachdem festgestellt wurde, dass sie keine Waffen haben, konnten sie sich wieder ganz normal auf dem Schiff bewegen. Wir wussten übrigens, dass Videokameras an Bord des Schiffes sind und haben uns bewusst entschieden, sie nicht abzudecken.
Warum wurde das Schiff eigentlich nicht einfach gegen den Willen der Türkei zu Ende durchsucht, wenn es Hinweise gab, dass es Waffen nach Libyen liefern könnte?
Fitschen: Das Mandat für die Operation sieht vor, dass wir gegen den Widerstand des Schiffsführers und der Besatzung an Bord gehen könnten. Gegen den Willen des Flaggenstaates geht es aber nicht. Mit anderen Worten: In dem Moment, wo ein Flaggenstaat einer Durchsuchung widerspricht, muss sie immer abgebrochen werden.
Sie werden Sonntag am um 10 Uhr zurück im Heimathafen Wilhelmshaven erwartet. Dürfen Freunde, Partner und Kinder sie trotz Corona in Empfang nehmen?
Fitschen: Vor einer Woche hatten wir tatsächlich noch geplant, dass die Angehörigen beim Einlaufen auf der Pier sein können. Das ist leider seit Sonntag alles obsolet. Jetzt ist es so, dass die Soldaten mit dem Auto abgeholt werden können, die Angehörigen dürfen das Fahrzeug aber nicht verlassen.
Gibt es eigentlich Kameradinnen und Kameraden, die lieber bis Anfang nächsten Jahres auf dem Schiff geblieben wären? Dann hätten sie Silvester eine rauschende Party mit mehr als 200 Personen feiern können - ohne Corona-Sorgen...
Fitschen: Also ich denke, die meisten freuen sich schon, dass sie jetzt Weihnachten zu Hause bei der Familie sein können - auch ich. Spaßeshalber habe ich aber tatsächlich schon mehrfach gesagt: Eigentlich müssten wir jetzt wieder umdrehen und die unbeschwerte Zeit im Einsatz weiter fortführen. Weil, wenn man ehrlich ist, war das für uns eine unbeschwerte Zeit. Wir hatten keine Restriktionen, wir hatten keine Auflagen, wir konnten uns frei bewegen. Dementsprechend werden viele auch erst im Nachhinein realisieren, was für Freiheiten sie eigentlich die letzten Monate hatten. Jetzt kommen sie in ein Land zurück, in dem die Corona-Fallzahlen rasant gestiegen sind, wo es einen harten Lockdown und dementsprechend massive Einschränkungen gibt.
Zur Person: Fregattenkapitän Jan Fitschen ist seit 1997 bei der Marine und seit Ende März dieses Jahres Kommandant der «Hamburg». Der Zufall will es, dass der 43-Jährige auch aus Hamburg stammt und genau an dem Tag geboren wurde, an dem das Schiff 27 Jahre später in Dienst gestellt wurde. In seiner Freizeit kümmert sich Fitschen um seine drei Kinder im Alter von 17, 15 und 2 Jahren oder steht als Schiedsrichter auf einem Fußballplatz. Vor seiner Zeit auf der «Hamburg» war er unter anderem an der Führungsakademie der Bundeswehr und im Einsatzführungskommando eingesetzt.