Leuchtspurgeschosse beim Anflug auf Kabul
Während der Evakuierungsoperation flog die Bundeswehr mehr als 5300 Personen aus Afghanistan aus. Hauptmann Michael M.*, Pilot auf dem Transportflugzeug Airbus A400M beim Lufttransportgeschwader 62 im niedersächsischen Wunstorf, war ganz vorn mit dabei. Er schildert unserer Redaktion seine Eindrücke von der Evakuierungsmission und seinen Flügen nach und aus Kabul.
Die Evakuierungsflüge für in Afghanistan lebende Deutsche und verbündete Ortskräfte wurden sehr kurzfristig angesetzt. Wie sah Ihre Vorbereitung aus?
Hauptmann Michael M.*: Ich hatte ab Ende Juli Urlaub. Am Donnerstag, 19. August, wurde ich telefonisch informiert und gefragt, ob ich am nächsten Tag bei den Evakuierungseinsätzen einen unserer A400M steuern könnte. Der Freitag wäre eigentlich mein letzter Urlaubstag gewesen. Ich hatte vorher bereits aus den Medien vom Evakuierungseinsatz und der Beteiligung meines Geschwaders erfahren. Es war also nicht sehr überraschend und hatte sich schon ein wenig abgezeichnet. Meine Frau und meine Familie kennen das eigentlich, dass ich kurzfristig und öfter weg muss und dann auch immer ein paar Tage unterwegs bin. Diese Situation war aber für uns alle nicht einfach, da wir, wie gesagt, nur die Informationen aus den Medien mitverfolgt haben.
Wir haben uns nach dem Frühstück verabschiedet. Das war ein sehr emotionaler Moment, weil es eben auch eine besondere, vielleicht auch ungewisse Situation war. Ich habe mich mit meiner Crew getroffen und am frühen Nachmittag sind wir mit zwei Maschinen rausgeflogen. In der Nacht zuvor sind unsere Flugzeuge mit den Hubschraubern H145M vom Hubschraubergeschwader 64 aus Laupheim beladen worden und wir hatten den Auftrag, diese zur Unterstützung nach Kabul zu bringen. Wir sind dann über Baku nach Afghanistan geflogen.
Wie war Ihr erster Eindruck bei der Landung in Kabul? Waren viele Menschen auf dem Flughafengelände, war der Tower besetzt, gab es Sicherheitsvorkehrungen?
Ich war vorher schon in Kabul gewesen. Die Anflugkontrolle, wie beispielsweise die Funkkommunikation, war sehr schwierig. Bis kurz vor der Landung hatten wir eigentlich keinen Funkkontakt, eher behelfsmäßig mit Funkgeräten. Die Verkehrsbelastung in der Luft war relativ hoch, das kannte ich so nicht aus Afghanistan. Gerade weil wir nachts geflogen sind, muss man da besonders aufmerksam sein. Es war dunkel und wir haben Leuchtspurgeschosse in der Luft gesehen. Diese galten zwar nicht uns, aber das war sehr eindrücklich. Kabul war da schon in der Hand der Taliban.
Der Tower war besetzt, es waren keine Menschen auf dem Flugfeld und wir konnten sicher landen. Zunächst sind wir zur „Cargo Ramp“ gerollt, um die Hubschrauber auszuladen, und das Personal für den Betrieb der Luftfahrzeuge ist mit ausgestiegen. Anschließend ging es um die Aufnahme der Passagiere. Wir sind mit zwei Maschinen geflogen und als wir gelandet sind, stiegen in unsere erste Maschine bereits Passagiere zu. Während der gesamten Zeit haben wir die Leuchtspurgeschosse um uns herum gesehen und auch gehört.
Eigentlich lief alles reibungslos und wir sind nach anderthalb Stunden wieder in der Luft gewesen und nach Taschkent geflogen. Insgesamt war das ein sehr langer Tag, und ich war froh, als ich nach 24 Stunden im Bett war und auch mit meiner Frau Kontakt aufnehmen konnte.
Wie gefährlich war die Landung aus Ihrer Sicht, nicht nur wegen eines möglichen Beschusses, sondern auch wegen der eventuell ungeordneten Verhältnisse auf dem Flughafen?
Für die Landung haben wir das Verfahren „Steep approach“ (Steilanflug) angewandt. Das heißt, wir sind relativ lange sehr hoch in der Luft und dort noch gut vor ballistischem Beschuss geschützt gewesen. Die Idee ist, so lange wie möglich so hoch wie möglich zu bleiben. Das trainieren wir im Simulator und für uns sind das ganz normale Prozeduren. Ich hatte eher Bedenken, dass wir aufgrund der vielen Flugzeuge in der Luft vor Herausforderungen stehen könnten.
Könnten Sie uns kurz den Ablauf eines Evakuierungsfluges schildern?
Ein ganz normaler Flug von Taschkent nach Kabul dauert circa anderthalb Stunden. Die Slotzeiten am Boden waren immer nur für 30 Minuten geplant. Durch diese kurzen Zeitfenster sollte der Flugplatz optimal genutzt werden. Unsere Triebwerke waren auch die ganze Zeit an. Wir hatten genug Sprit an Bord, sodass wir nicht auftanken mussten. Weil die Strecke so kurz ist, wäre das auch nicht notwendig gewesen. Meistens haben wir etwas länger am Boden benötigt, das lag dann am vielen (Flugzeug-)Verkehr und auch an der Passagierabfertigung am Boden.
Es kam zunächst jemand von den Feldjägern oder dem Auswärtigen Amt und hat uns gefragt, wie viele Passagiere wir mitnehmen können. Wir gaben unsere Kapazität an und dann wurde blockweise abgefertigt. Alle Passagiere wurden vorher kontrolliert, bei uns ging es nur noch um das schnelle und effektive Aufnehmen von Passagieren.
Haben Sie etwas von der Situation in der Stadt Kabul mitbekommen?
Bis auf die Geschosse haben wir nicht viel mitbekommen. Die Stadt war ganz normal beleuchtet und auch der Flugplatz war so beleuchtet, dass ein Betrieb möglich war.
Wie oft haben Sie persönlich Kabul angeflogen, um Personen mit Ihrem A400M auszufliegen? Was haben die aufgenommenen Passagiere über die Lage im Land berichtet?
Seit Beginn der Einsätze 2002 bin ich regelmäßig nach Afghanistan – Masar-e-Sharif und Kabul – geflogen. Zuerst mit der C-160 „Transall“ und 2018 habe ich beispielsweise Außenminister Heiko Maas mit einem A400M nach Kabul gebracht.
Während der Evakuierungsphase bin ich viermal nach Kabul geflogen, angefangen mit dem Transport der Hubschrauber bis hin zu den letzten Flügen am 26. August abends nach Sonnenuntergang aus Kabul heraus. Während der Flüge hatten wir keinen Kontakt zu den Passagieren. Die Feldjäger und unsere Air Mobile Protection Teams (AMPT) waren für die Sicherheit zuständig.
Waren auch Maschinen der Partnernationen zeitgleich in Kabul? Wie lief die Zusammenarbeit mit diesen sowie mit den afghanischen Sicherheitskräften?
Wir hatten keinen Kontakt, weder in Kabul noch in Taschkent. Die anderen Nationen haben andere Städte beziehungsweise Länder zum Evakuieren genutzt.
* Der Name des Soldaten wurde auf seinen Wunsch geändert.