Einsätze der Bundeswehr und Corona: "Die Soldaten gehen sehr professionell mit dieser Belastung um"
Brigadegeneral René Leitgen, Abteilungsleiter J3/5 im Einsatzführungskommando der Bundeswehr, erläutert uns im Interview, wie in seinem Kommando für die Einsätze der Bundeswehr das „Paket geschnürt“ wird, wie Corona die Auftragserfüllung beeinträchtigt und welche Lehren er aus seinem Afghanistan-Einsatz 2018 gezogen hat.
Die Bundeswehr:Die von Ihnen geleitete Abteilung J3/5 wird auch der „operative Motor“ des Einsatzführungskommandos genannt. Können Sie das kurz erläutern?
Brigadegeneral René Leitgen: Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr ist verantwortlich für die militärische Umsetzung der insbesondere durch Bundestagesmandate oder Kabinettsbeschlüsse erteilten Aufträge für Auslandseinsätze und anerkannte Missionen der Bundeswehr. Es ist ein operatives Kommando, das heißt es geht um die Einsatzführung. Hier wird das erforderliche „Paket“ aus benötigtem Personal mit dem erforderlichen Ausbildungsstand und Material „geschnürt“, das dann von den truppenstellenden Teilstreitkräften und Organisationsbereichen bereitgestellt wird. Für die Bundeswehr liegt der Vorteil in nur einer Koordinationsinstanz. Wir sprechen vom „Führen aus einer Hand“. Meine Abteilung ist hierbei sozusagen die Spinne im Netz und auch das Herzstück des Hauses. Hier werden die einzelnen Fäden der Fachexpertise aller anderen Abteilungen zusammengeknüpft. Dafür ist die Abteilung J3/5 in fünf Einsatzgruppen für alle größeren Einsatzgebiete und das Referat Beobachtermissionen gegliedert. Den Einsatzgruppen sind sogenannte bevollmächtigte Vertreter der Fachabteilungen zugeordnet, die sich als beratende Experten, beispielsweise für Logistik, Personal, Sanität, in die Arbeitsprozesse einbringen.
Ist die Durchführung des Auftrags auch unter den Einschränkungen durch Corona sichergestellt und welche Rückmeldungen erhalten Sie von den Soldaten über die Stimmung in den Einsätzen?
Die Lage in den Einsatzgebieten der Bundeswehr wird auch von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beeinflusst. In enger Abstimmung mit den Regierungen der jeweiligen Einsatzländer sowie im Einklang mit den Vorgaben der jeweils verantwortlichen Organisationen – UN, Nato, EU – setzen wir alles daran, unsere Soldaten und die Bevölkerung in den Einsatzländern bestmöglich vor dem Virus zu schützen. Das beginnt mit Isolation und Gesundheitschecks aller Soldaten und teilweisen Virustests schon vor dem Einsatz. Weitere Kontrollen schließen sich bei Ankunft im Einsatzland an.
Vor Ort werden Auflockerungs- und Hygienemaßnahmen umgesetzt, soweit der taktische Auftrag dies zulässt. Bewegungen außerhalb der Feldlager sind auf das Notwendigste reduziert und auch der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung wird weitgehend vermieden. Beim Betreten und Verlassen der Feldlager erfolgen weitere Kontrollen beziehungsweise Hygienemaßnahmen an Personen und Fahrzeugen. Für die Einsatzsoldaten sind diese Maßnahmen eine weitere Belastung – neben teils angespannter Sicherheitslage, extremen Umwelt- und Klimabedingungen und den Herausforderungen eines Zusammenlebens auf engem Raum.
Bei Flügen in die Einsätze bestehen oft Kapazitätsbegrenzungen bei den Sitzplätzen, um eine Auflockerung zu ermöglichen. Dadurch kann es zu Verzögerungen um mehrere Tage bei der Ein- und Ausreise kommen und Kameradinnen und Kameraden müssen teils länger im Einsatz bleiben. Die Soldaten empfinden das als Belastung, gehend damit jedoch sehr professionell um.
Der Umfang der Einschränkungen unterscheidet sich in den Einsätzen und hängt maßgeblich von der Art des Auftrags ab. In den Ausbildungs- und Trainingsmissionen in Irak, Afghanistan oder Mali wurde die Ausbildung auf Anweisung der jeweiligen Missionsführung ausgesetzt und die Beratung der Partner erfolgt nur in angepasster Form. Dort haben wir auch den Personalumfang temporär auf ein Mindestmaß reduziert. Dagegen werden Aufklärungs- und Überwachungsaufträge wie bei EUNAVFOR MED Operation Irini im Mittelmeer oder bei MINUSMA in Mali vollumfänglich fortgesetzt.
Sie waren bis Anfang 2018 für ein Jahr als Abteilungsleiter Combined Joint Seven (CJ7) im HQ Resolute Support in Kabul eingesetzt. Welche Erkenntnisse haben Sie in dieser Zeit gewonnen?
Ich war verantwortlich für die Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte im Verteidigungsministerium in Kabul, mit den Schwerpunktthemen Ausbildung und Personalmanagement. Mit Blick auf den Auftrag von Resolute Support – „Train – Advise – Assist“ – kann man unsere militärischen Berater in den afghanischen Strukturen als „Hauptwaffensysteme des deutschen Beitrags“ bezeichnen. Deren Einfluss ist ausschlaggebend dafür, ob unser Handeln zu Ergebnissen führt. Deswegen investieren wir viel in die professionelle Vorbereitung unseres Personals auf diese Aufgabe. Die Professionalität der Berater ist Grundvoraussetzung, um nachhaltige Ergebnisse im afghanischen System zu erzielen. Wichtig ist auch, dass die afghanische Seite schon sehr frühzeitig bei der Planung eingebunden wird und bei der Umsetzung auch konsequent Verantwortung übernimmt. Die Konzentration unserer Beratungsleistung auf die beiden Säulen Ausbildung und Personalmanagement ist sehr wirkungsvoll. Man darf aber keine „quick wins“ erwarten. Die Stabilisierung der afghanischen Sicherheitsarchitektur ist ein langfristig angelegter und komplexer Prozess, dem man die Chance geben muss, sich zu entwickeln und zu entfalten. Mangelnde Geduld wäre hier kontraproduktiv. Diese Erfahrung ist aus meiner Sicht immer zu berücksichtigen, wenn es um jedwedes künftige deutsche Engagement unter der Überschrift „Stabilisierung von Sicherheitsarchitekturen“ geht.
Inwiefern war das Einsatzführungskommando an der Planung und Umsetzung der neuen EU-Mission Irini beteiligt? In welchen Schritten wird eine neue Mission geplant und umgesetzt?
Die Notwendigkeit, das UN-Waffenembargo im Mittelmeer mit militärischen Mitteln zu unterstützen, wurde auf der politischen Ebene zwischen den EU-Mitgliedstaaten abgestimmt. Zeitgleich hatte das Verteidigungsministerium den Rahmen eines möglichen deutschen Beitrags soweit definiert, dass wir im Einsatzführungskommando der Bundeswehr mit der Planung beginnen konnten. Im März hatte die EU ihre politischen Überlegungen in einen Operationsplan überführt. Im sogenannten Parallel Planning haben wir frühzeitig den eigenen Beitrag definiert. Bei der EU Force Generation Conference in Brüssel haben schließlich die Nationen ihre Beiträge für die benötigten Missionskräfte – Personal, Schiffe, Flugzeuge und so weiter – eingebracht. Das Verteidigungsministerium hat dann die Abgeordneten informiert und nach Verabschiedung des Bundestagsmandats wurden die notwendigen Planungsdokumente erstellt. So wussten schließlich alle Betroffenen, wer wann wo was zu tun hat. Solche Planungen sind ein sehr komplexer Prozess, der in diesem Fall durch die COVID-19-Schutzmaßnahmen auch noch unter erschwerten Bedingungen ablief.