Die USA leisten sich mit elf Flugzeugträgern die größte Flotte weltweit, hier die USS „Harry S. Truman“. Foto: imago/ZUMA Press

Die USA leisten sich mit elf Flugzeugträgern die größte Flotte weltweit, hier die USS „Harry S. Truman“. Foto: imago/ZUMA Press

27.03.2019
Thomas Wiegold

Zukunftsprojekt Kampfstern

Ein Flugzeugträger, das ist so etwas wie der Kampfstern der Science-Fiction-Serien: Der Inbegriff eines mächtigen Waffensystems, der Inbegriff militärischer Macht, Sinnbild der Beherrschung der Meere wie des Luftraums. Da wirkt es schon sehr geplant, dass in den recht knappen Aussagen zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in ihre Antwort auf den europapolitischen Vorstoß von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aufnahm, ein Flugzeugträger im Wortsinn am Horizont erschien.

„Bereits jetzt arbeiten Deutschland und Frankreich gemeinsam am Projekt eines europäischen Kampfflugzeugs der Zukunft, andere Nationen sind zur Teilnahme eingeladen. Im nächsten Schritt könnten wir mit dem symbolischen Projekt des Baus eines gemeinsamen europäischen Flugzeugträgers beginnen, um der globalen Rolle der Europäischen Union als Sicherheits- und Friedensmacht Ausdruck zu verleihen“, beendete Kramp-Karrenbauer den sicherheitspolitischen Part ihrer ausführlichen Darlegung, vermutlich in dem Wissen, dass sie damit eine größere Wunderkerze zündete. Denn das Bild, das sie damit vermittelte, sollte wohl ebenso visionär wie futuristisch wirken. Mit der aktuellen Realität Europas und seiner Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat es arg wenig zu tun.

Das zeigt sich schon daran, wie die CDU-Vorsitzende ihre Zukunftsvorstellung einleitete: Ja, Deutschland und Frankreich arbeiten „bereits jetzt“ am Projekt eines europäischen Kampfflugzeugs der Zukunft, genauer: an einem ganzen System. Dieses Future Combat Air System (FCAS) steht noch völlig am Anfang, noch nicht mal alle Regierungsvereinbarungen dazu sind unterzeichnet. Und die Militärs sind sich mit der Industrie einig, dass hier ein System für die Zeit ab etwa dem Jahr 2040 entwickelt wird. Das ist in gut 20 Jahren – und das Projekt eines gemeinsamen europäische Flugzeugträgers, so sagt es Kramp-Karrenbauer, solle „im nächsten Schritt“ begonnen werden. Im Klartext: So ziemlich niemand von denen, die derzeit über diesen Vorschlag debattieren, wird ein solches Schiff noch erleben. Es ist ein Zukunftsprojekt nach einem gerade erst begonnenen Zukunftsprojekt.

Aber das muss ja nichts Schlechtes sein, Europa kann durchaus sehr langfristige Visionen brauchen und in Jahrzehnten denken. Also: ein gemeinsames riesiges Kampfschiffprojekt für das Europa der Zukunft, mindestens eine Generation nach vorne gedacht.

Die interessante Frage ist jedoch, welches Bild vom Europa in 30 oder mehr Jahren damit verbunden wird. Denn ein Flugzeugträger ist nicht einfach nur ein großes Kriegsschiff. Es ist eine Art von militärischer Plattform, die für bestimmte Ansprüche steht. Seine Hauptaufgabe ist das, was das Militär „power projection“ nennt: die Fähigkeit, überall auf der Erde zu demonstrieren, dass Politik auch mit militärischen Mitteln unterstützt werden kann.

„Die Fähigkeit eines Staates, alle oder einige Elemente seiner nationalen Macht – politische, wirtschaftliche, informationstechnische oder militärische – über schnelle und effektive Kräfte an weit entfernten Einsatzorten einsetzen zu können, um auf Krisen zu reagieren, um abzuschrecken und regionale Stabilität durchzusetzen“, so definiert das US-Verteidigungsministerium diese „power projection“; und die USA leisten sich aus diesem Grund auch die größte Flugzeugträgerflotte weltweit. Frankreich und Großbritannien, die beiden großen Militärmächte in Europa, treten mit je einem (einsatzfähigen) Flugzeugträger zwar prinzipiell mit ähnlichem Anspruch, allerdings weit bescheidener auf.

Wer einen  gemeinsamen europäischen Flugzeugträger vorschlägt, „um der globalen Rolle der Europäischen Union als Sicherheits- und Friedensmacht Ausdruck zu verleihen“, schlägt damit zugleich eine ganz bestimmte globale Rolle für Europa vor: Eine Europäische Union, die weltweite Machtpolitik in der Art betreiben will, wie es bislang eigentlich nur die USA können.

Das kann man wollen, aber dafür muss man erst einmal das gemeinsame europäische Verständnis über diese europäische Rolle erreichen. Sind alle Mitglieder daran interessiert, in diesem Stil weltweit militärisch aufzutreten? Soll Europa dann beispielsweise auch seinen Flugzeugträger in den Persischen Golf oder ins Südchinesische Meer entsenden, um politischen Vorstellungen Nachdruck zu verleihen? (Eine solche „power projection“ vor der Haustür, im Mittelmeer zum Beispiel, ist ein deutlich zurückhaltenderer Anspruch, den auch jetzt schon europäische Länder, auch die Italiener und Spanier mit ihren deutlich kleineren Flugzeugträgern, demonstrieren können.)

Und da unterscheidet sich ein Projekt Flugzeugträger von dem Projekt eines europäischen Kampfflugzeugsystems. Die Flugzeuge sind auch als Instrument allein zur Verteidigung Europas denkbar und für begrenzte Operationen zur so genannten Krisenbewältigung. Ein Flugzeugträger mit einer solchen Beschränkung wäre dagegen recht sinnlos.

Die Grundsatzfrage „wofür eigentlich?“ ist deshalb die, die geklärt sein müsste, ehe ein Projekt Flugzeugträger auch nur konzeptionell in Angriff genommen wird. Erst dann kommen die vielen berechtigten Fragen, die ein solches Projekt auch mit sich bringt: Wie sollen denn die Entscheidungen für den Einsatz eines solchen europäischen Kampfsterns getroffen werden, wenn die EU-Mitgliedsstaaten schon in der Frage einer gemeinsamen Streitmacht tief zerstritten sind? Wie viele solcher Plattformen wären nötig, um eine einsatzfähige Flotte zu haben, wie viele andere Schiffe für einen solchen Trägerverband? Und nicht zuletzt: Wären die enormen Summen für ein solches Projekt nicht anders besser eingesetzt – zum Beispiel in schlagkräftigen herkömmlichen Marinestrukturen?

Wer sich die Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf diesen Vorschlag anschaut (und die Reaktionsmuster der Regierungschefin in den vergangenen Jahren vor Augen hat), der ahnt, dass sie auch nicht so richtig begeistert ist: „Flugzeugträger finde ich gut. Aber wir haben ja erst einmal noch andere Dinge prioritär zu machen. Dass wir auch von europäischer Seite über eine solche Ausrüstung verfügen, das finde ich richtig und gut. Ich bin gern bereit, daran mitzuarbeiten.“

In der Tat, „wir haben ja erst einmal noch andere Dinge prioritär zu machen“. Vielleicht hätte Kramp-Karrenbauer, eine Nummer kleiner, das Projekt eines gemeinsamen europäischen Flugzeugträgerverbands vorschlagen können, unter Einbindung der in Europa bereits vorhandenen Flugzeugträger. Das wäre aber wohl zu realistisch gewesen – und hätte bereits jetzt praktische Schritte erfordert. Nicht erst 2040.

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