Im engen Schulterschluss: Deutsche und niederländische Soldaten bei der Übung "Green Griffin". Foto: Bundeswehr/Jana Neumann

08.07.2023
Von Gunnar Kruse

„Wir müssen schon auf Augenhöhe aufeinander zugehen”

„Communitate Valemus – Gemeinsam sind wir stark”: So lautet das Motto des 1. Deutsch-Niederländischen Corps. Seit fast drei Jahrzehnten bilden Deutschland und die Niederlande das Framework Nations des Corps, das aus mehreren Gründen noch immer etwas Besonderes ist.

Multinationales Korps Nordost, Deutsch-Französische Brigade oder Joint Support and Enabling Command – für die Bundeswehr sind bi- oder multinationale Strukturen seit vielen Jahren Normalität. In diese Reihe passt auch die binationale Kooperation zwischen Deutschland und den Niederlanden – und doch ist sie aus mehreren Gründen besonders bemerkenswert. So wurde Ende März dieses Jahres die niederländische 13. Leichte Brigade der deutschen 10. Panzerdivision unterstellt. Mit der Integration des niederländischen Großverbandes sind jetzt alle Brigaden des niederländischen Feldheeres in die Divisionen des deutschen Heeres eingegliedert.

Die zweite Besonderheit: Im Gegensatz zu den anderen bi- oder multinationalen Verbänden des Heeres dienen beim 1. Deutsch-Niederländischen Corps die Kameraden bis auf Gruppenebene gemischt. Das heißt beispielsweise, dass deutsche Zugführer auch niederländische Kameraden führen, während umgekehrt deutsche Soldaten einen niederländischen Gruppenführer haben können.

Sprache ist zentraler Punkt

Dass das nicht immer ganz leicht ist, hat Christian Pflügler, heute Oberstleutnant, 2005 erfahren müssen. Damals wurde er nach Münster ins Unterstützungsbataillon des Corps versetzt. „Das war meine erste Berührung mit Binationalität. Als deutscher S4-Offizier hatte ich einen niederländischen Stellvertreter und ein gemischtes deutsch-niederländisches Team in der Nachschubbuchführung“, erinnert sich der 55-Jährige. Die erste Schwierigkeit, ein ganz zentraler Punkt für ihn, sei die Sprachbarriere gewesen. „Amtssprache in Münster ist natürlich Englisch. Auch wenn man das gelernt hat, ist es in einer binationalen Truppe für die meisten Deutschen erst einmal ein Hemmnis, es nun täglich anwenden zu müssen.“ Die Niederländer hingegen sprechen seiner Erfahrung nach in aller Regel sowohl sehr gut deutsch als auch englisch. „Da sind sie uns gegenüber etwas im Vorteil“, sagt Christian Pflügler.

Seine Erfahrung: Wenn die Niederländer unter sich sind und ihre Muttersprache sprechen, würden sie meist davon ausgehen, dass Deutsche dann sozusagen „off“ sind, da sie ja nichts verstehen würden. „Das kann bei den ersten Treffen ein Problem sein, wie ich selbst gemerkt habe.“ Mittlerweile verstehe er sehr viel Niederländisch, auch wenn es mit dem Sprechen immer noch etwas hapere. In den Gründungsjahren des Corps habe es niederländische Sprachkurse für deutsche Soldaten gegeben. „Wäre es nicht gut, das wieder einzuführen? Zumindest für Schlüsselpositionen im deutschen Heer?“, fragt sich Oberstleutnant Pflügler, der quasi seit seinem ersten Tag in der Bundeswehr 1991 auch Mitglied im Deutschen BundeswehrVerband ist. Kurz nach seinem Dienstantritt in Münster begann mit seinem Wechsel vom Bataillon in das Hauptquartier auch sein verstärktes Engagement für den Verband und seine Kameraden. 2008 erhielt er ein Mandat im Bezirkspersonalrat, 2012 im örtlichen Personalrat. „Mit der Zurruhesetzung von Thomas Sohst 2015 habe ich dann den Vorsitz im Personalrat des Deutsch-Niederländischen Corps übernommen und wurde kurze Zeit später auch Vorsitzender unserer Truppenkameradschaft.“

Durch die „nationale Brille”

Aber wie funktioniert Personalratsarbeit wie die Verbandsarbeit in einem binationalen Verband? „Die gesetzlich verankerten Beteiligungsorgane beider Länder sind sich recht ähnlich, müssen aber jeweils durch die ,nationale Brille’ schauen. Um das zu harmonisieren, wurde von Anfang an ein Binational Consultation Committee aufgebaut, in dem Vertreter beider Gremien zusammenkommen, um dann mit dem jeweiligen Commander Probleme besprechen und diskutieren zu können.“ Dieses Prinzip – im Corps mittlerweile auf ein Multinational Consultation Committee erweitert – basiere auf gegenseitiger Akzeptanz gleichberechtigter Partner.

Wenn Christian Pflügler auf seine Zeit beim Corps zurückblickt, ist eines immer gleichgeblieben: „Alle arbeiten am gleichen Ziel, der Auftrag steht im Vordergrund.“ Mit der Unterstellung der letzten niederländischen Heeresbrigade unter deutsches Kommando erhofft er sich ein weiteres Zusammenwachsen. „Denn das muss auch in die Köpfe rein, dass wir an dieser Stelle eben nicht mehr nur national die Bundeswehr, sondern wirklich binational sind. Zu sagen: Wir sind die Bundeswehr und die Niederländer machen nun bei uns mit – das wäre der falsche Weg. Wir müssen schon auf Augenhöhe aufeinander zugehen.“

Bei der nun laufenden und vertieften Integration kommt Christian Pflügler noch einmal auf die Sprache zurück: „Schreiben wir weiter unsere Befehle auf Deutsch? Erwarten wir von den Niederländern, dass jeder von ihnen diese Befehle auch lesen, verstehen und auswerten kann? Erwarten wir von den Niederländern, dass sie ihre Brigadebefehle auch auf Deutsch erstellen für alle anderen? Oder akzeptieren wir, dass in der niederländischen Brigade weiterhin niederländisch kommuniziert wird, auch wenn die deutsche Dienstaufsicht der Division anwesend ist? Wie verständigt man sich bei Offizier-/Unteroffizierweiterbildungen auf Divisionsebene? Oder einigen wir uns auf NATO-Standards?“ Für ihn sind noch viele Fragen offen.

Ein weiterer Punkt sind die national unterschiedlichen Arbeitszeitregelungen. Während für die Deutschen die Soldatenarbeitszeitverordung gilt, haben die Niederländer schon länger verschiedene Modelle zur Auswahl, wie Christian Pflügler erzählt. „Beispielsweise kann jemand entscheiden, dass er nur 36 Stunden in der Woche bei einer verlängerten Dienstzeit arbeitet. Gerade für Fernpendler ist das durchaus eine interessante Option. Andere arbeiten lieber länger in der Woche und sparen so Lebensarbeitszeit an, um den Dienst früher beenden zu können.“ Es gehe nun darum, die beiden nationalen Modelle zu harmonisieren. Er veranschaulicht die Notwendigkeit an einem Beispiel: „Am Montag braucht man vor 10 Uhr gar nicht versuchen, bei einem Fernpendler aus den Niederlanden anzurufen.“ An dieser Praxis könnten die deutschen Vorgesetzten nicht immer „teilhaben“.

Apropos Vorgesetzte: Auch in diesem Punkt gibt es aus Sicht von Oberstleutnant Pflügler Harmonisierungsbedarf. Beispielsweise kann der nationale Vorgesetzte Urlaub rechtswirksam genehmigen, auch wenn es dem internationalen Vorgesetzten missfallen mag.

Ähnlich sehe es beim Disziplinarrecht aus, bei dem die Unterschiede in den nationalen Gesetzen auch kaum auflösbar seien. Abstraktes Beispiel: Ein Deutscher und ein Niederländer begehen das gleiche Dienstvergehen in Sachen Materialverantwortung, sprich: Sie verursachen fahrlässig einen Verkehrsunfall. Während der Deutsche vom deutschen Kompaniechef disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden kann, sind ihm beim niederländischen Kameraden die Hände gebunden. „Das muss dann sein Stellvertreter übernehmen, in der Regel ein niederländischer Offizier“, so Pflügler.

Natürliche Partner

Während der Deutsche BundeswehrVerband die starke Stimme für alle Menschen in der Bundeswehr ist, sieht es in den Niederlanden etwas anders aus. „Die Schwierigkeit ist, dass sie dort mehrere Interessenvertretungen haben, die für Soldaten eintreten. Und ich weiß nie, wer vor ihnen in einer Gewerkschaft ist und wer nicht. Gewerkschaftsarbeit an der Basis, so wie das für uns im Deutschen BundeswehrVerband ganz normal ist, kennen die Niederländer nicht“, erzählt Christian Pflügler. Dabei wäre eine niederländische Soldatengewerkschaft ein ganz natürlicher Partner für den DBwV, wenn es um die Interessen der Soldaten des Deutsch-Niederländischen Corps geht.

Doch die Realität sieht momentan noch anders aus. „Wenn unsere Verbandszeitschrift am Standort und in der Poststelle ankommt, kann es passieren, dass die Kartons mit den Zeitschriften nicht einmal angenommen werden, da man keine Gewerkschaftsarbeit verrichten will. Alles schon erlebt in der Vergangenheit. Deutsche sind da ganz anders“, veranschaulicht Pflügler die Situation. Gleichzeitig weiß er, dass die niederländischen Kameraden die Arbeit des DBwV ganz genau verfolgen und diese durchaus auch als Vorbild für sie geeignet wäre.

Wie es mit der deutsch-niederländischen Kooperation weitergeht, wird Oberstleutnant Christian Pflügler selbst künftig aus der Ferne beobachten. Während der Arbeit an unserem Verbandsmagazin erhielt er die Anfrage für eine Versetzung ab September nach Norfolk/Virginia und hat zugesagt. So sehr ihn dies beruflich freut, so sehr bedauert er es, dass er sich bei der jüngsten Landestagung des Landesverbands West im Mai nicht mehr als Bezirksvorsitzender Westfalen zur Wahl stellen konnte. „Ich habe alle meine DBwV-Mandate immer sehr gern ausgeübt und mich auch auf das des Bezirksvorsitzenden sehr gefreut. Ich gehe daher wirklich mit einem lachenden und einem weinenden Auge in die USA“, sagt er.

Mit Christian Pflügler haben wir auch in unserem Podcast gesprochen.

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