Wohin steuert der Sanitätsdienst? Im Interview gibt der Inspekteur, Generalstabsarzt Dr. Ralf Hoffmann, Antworten. Foto: Bundeswehr/Burghardt

Wohin steuert der Sanitätsdienst? Im Interview gibt der Inspekteur, Generalstabsarzt Dr. Ralf Hoffmann, Antworten. Foto: Bundeswehr/Burghardt

27.10.2024
Von Stefan Sprengers und Frank Jungbluth

„Wir alle müssen anpacken“

Generalstabsarzt Dr. Ralf Hoffmann ist seit Mai der neue Inspekteur des Sanitätsdiensts der Bundeswehr. Seit dem 1. Oktober ist der Sanitätsdienst Teil des neuen Unterstützungskommandos der Bundeswehr. Kurz vor der Einnahme der neuen Struktur haben wir mit dem Generalstabsarzt Dr. Hoffmann gesprochen. Die Landes- und Bündnisverteidigung stellt die Gesundheitsversorgung vor neue und herausfordernde Aufgaben.

Anfang Mai haben Sie das Kommando über den Sanitätsdienst der Bundeswehr von Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner übernommen. Ab 1. Oktober ist der Sanitätsdienst Teil des neuen Unterstützungskommandos. Was war Ihr Schwerpunkt bisher, wie geht es nach dem 1. Oktober weiter?

Dr. Ralf Hoffmann: Meine Absicht ist es weiterhin, die anstehenden Veränderungen so zu nutzen, dass wir kaltstartfähig eine resiliente und durchhaltefähige Gesundheitsversorgung für die Bundeswehr gewährleisten können. Gleichzeitig gilt es, im multinationalen Verbund die medizinischen Anforderungen an die Drehscheibe Deutschland umfassend zu planen und vorzubereiten. Das schaffe weder ich allein, noch mein Stab – wir alle müssen mit anpacken.

Es gab massive Kritik ärztlicher Berufsorganisationen, als die Pläne des Verteidigungsministers publik wurden, den Zentralen Sanitätsdienst als Org-Bereich aufzulösen. Wie können Sie die Kritiker mit Blick auf die neue Struktur beruhigen?

Die Ausrichtung auf die Landes- und Bündnisverteidigung erfordert Überlegungen, militärische Erfordernisse und zivile Strukturen im Gesundheitssystem zusammenzubringen. Auch bei Krisen mit Auswirkungen auf das Gesundheitssystem ist der Sanitätsdienst ein wesentlicher Player. Insofern ist die Verschmelzung zu einem Unterstützungsbereich zunächst kritisch gesehen worden. Bei den Planungen der neuen Struktur habe ich aber immer Wert darauf gelegt, keinerlei Fähigkeiten zu verlieren, sondern im Gegenteil unsere Strukturen funktional zum Wohle unserer Soldatinnen und Soldaten, aber auch als Schnittstelle zum zivilen System zu gestalten. Ich denke, dass wir auf einem guten Wege sind. Darüber hinaus sind bereits jetzt positive Synergien durch den Schulterschluss der Enabler erkennbar. Wir schauen also gemeinsam nach vorn und wollen den Unterstützungsbereich zu einem Erfolg machen.

Truppenärztliche Versorgung, Dienstleistungen in den Bundeswehrkrankenhäusern, medizinische Versorgung im Einsatz: Wird es für die Angehörigen der Bundeswehr nach Einnahme der neuen Struktur bei Inanspruchnahme von Leistungen des Sanitätsdienstes spürbare Veränderungen geben?

Mein Schwerpunkt liegt nach wie vor darin, bestmöglich für den Grundbetrieb in der täglichen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten da zu sein, unsere Bedarfsträger in den Dimensionen zu beraten und vor allem: im Ernstfall umfassend unseren Auftrag zu erfüllen. Spürbare Veränderungen wird es kurzfristig nicht geben. Ziel ist natürlich, mittelfristig die Leistungsfähigkeit des Sanitätsdienstes zu verbessern.

Angehöriger einer Teilstreitkraft oder eines Organisationsbereiches zu sein, kann auch identitätsstiftend sein. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass sich Angehörige des Sanitätsdienstes der Bundeswehr nach der Einnahme der neuen Struktur in gewisser Weise herabgestuft fühlen könnten?

Es ist mir klar, dass die strukturellen Veränderungen Unruhe, Ängste und vielleicht sogar Unverständnis mit sich bringen, bis hin zur Sorge um den eigenen, heimatnahen Dienstposten. Ich kenne das aus eigenem Erleben – und ich teile die Sorgen angesichts der gewaltigen Aufgaben, vor denen wir alle stehen. Der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr wird aber auch in der neuen Struktur als in sich geschlossenes System existieren, für das ich als Befehlshaber die Verantwortung trage. Insofern wird die Identität und der Stolz auf unseren Sanitätsdienst nicht angetastet. Zusätzlich zur Identität als Angehöriger des Sanitätsdienstes kommt jetzt aber auch ein gemeinsames Verständnis als Teil des Unterstützungsbereichs. Gemeinsam mit den anderen Enablern sind wir der Treibstoff für den Motor der Streitkräfte. Auch das schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl.

Was können Sie tun, um Ihre Soldatinnen und Soldaten sowie die Zivilbeschäftigten mitzunehmen und für die neue Rolle des Sanitätsdienstes im Unterstützungskommando Streitkräfte zu motivieren?

Eine transparente und offene Kommunikation ist mir ein besonderes Anliegen. Daher werde ich regelmäßig über die Entwicklungen unterrichten. Grundsätzlich hat der SanDstBw keine „neue“ Rolle, wir werden  alle Angehörigen transparent und ehrlich in das neue System mitnehmen. Des Weiteren sind wir uns sicher, dass alle mit anpacken und keine weitere Motivation benötigen werden – weil: Wir konnten uns schon immer auf unsere Soldatinnen, Soldaten und Zivilbeschäftigten verlassen. Genauso, wie auch die uns anvertrauten Patientinnen und Patienten sich auf uns verlassen können.

Die neue Herausforderung für die Streitkräfte ist die alte aus der Zeit vor 1990: Landes- und Bündnisverteidigung. Wie bereitet sich die Sanität darauf vor?

Zum einen müssen wir uns auf die Versorgung von Verwundeten auf dem Gefechtsfeld und am Rande des Gefechtsfeldes, also unseren Kernauftrag konzentrieren. Dabei müssen wir unsere eigenen Ressourcen im Auge behalten, damit wir unseren Auftrag erfüllen können. Wir müssen also den Landstreitkräften entsprechend aufwachsen. Zum anderen müssen wir auf die zivilen Strukturen schauen. In Zeiten des Kalten Krieges hatten wir ein anderes ziviles System. Beispielsweise war die Bundesbahn ein Staatsbetrieb und eben noch keine AG. Und die Kreiskrankenhäuser waren in der öffentlichen Hand und nicht privatisiert. Wir können also nur bedingt auf „Altes“ zurückgreifen. Stattdessen müssen wir neu denken und helfen, neue Strukturen aufzubauen. Dies ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Gerade im Hinblick auf die Landesverteidigung müssen wir hier gemeinsam ein Konzept erarbeiten.

Mit der vom Kanzler proklamierten Zeitenwende und dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro wird umfangreich in die Bundeswehr investiert: Es kommen neue Kampfjets, Kriegsschiffe und Gefechtsfahrzeuge. Wurde der Sanitätsdienst der Bundeswehr aus Ihrer Sicht auch ausreichend bedacht?

Wir sind nicht so kostenintensiv und können schon mit kleineren Summen viel bewirken. Wichtig ist aber, dass wir vom Aufwuchs und der Modernisierung partizipieren. Ich denke, dass uns das bisher gelungen ist und weiter gelingt.

Können Sie auch auf die Erfahrungen der ukrainischen Streitkräfte zurückgreifen? Und sind in Deutschland die zivilen Gesundheitseinrichtungen heute darauf vorbereitet, in solchen Extremlagen zu unterstützen?

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat nicht nur politische und militärische Veränderungen ausgelöst, sondern bietet dem Sanitätsdienst der Bundeswehr (SanDstBw) wichtige Einblicke. Diese Beobachtungen wurden zum Anlass genommen, bisherige Planungen kritisch zu überprüfen und bisher getroffene Annahmen und Rationale zu hinterfragen und auf Kriegstauglichkeit zu testen.

Die zu erbringenden Aufgaben in der „Drehscheibe Deutschland“ sind eine gesamtstaatliche Herausforderung, bei der der SanDstBw eine koordinierende Funktion erfüllt. Darüber hinaus muss auch die medizinische Unterstützung von in Mitleidenschaft gezogener Zivilbevölkerung und von potentiellen Flüchtlingsströmen Erwähnung und Beachtung finden. Die Zahl der Verwundeten aus Kriegshandlungen, die nach Deutschland zurückgeführt werden, wird zunehmen. Und die teils hybriden Kriegshandlungen werden – auf der Zeitachse vermutlich zunehmend – auch Deutschland betreffen. Dies führt neben den normalen Bedarfen der zivilen Gesundheitsversorgung zu einer erheblichen Steigerung der Patientenzahlen. Um dieser Situation wirksam begegnen zu können, sind bereits frühzeitig nationale Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Das betrifft die Etablierung und Stärkung von Trauma- Netzwerken, eine koordinierte Patientensteuerung, die Bevorratung von Blutprodukten und Sanitätsmaterial, Planungen und Vorhalt von Material für Zentralunterkünfte und Sanitätszonen sowie Organisation und Vorhalt von Transport- und Aufnahmekapazitäten. Auch der verlässliche Zugriff auf in Deutschland ansässige Pharmaunternehmen- und Großhändler muss sichergestellt sein. Nur ein zu einem frühen Zeitpunkt zu etablierendes und stets aktuelles Lagebild über alle zuständigen Bundesressorts, Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen hinweg ermöglicht das gesamtstaatliche und koordinierte Handeln. Den Rahmen hierzu muss ein Gesundheitsvorsorge- und -sicherstellungsgesetz bilden, welches im Konzert der bereits erlassenen nationalen Sicherstellungsgesetze bislang aber noch fehlt.

Im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr ab 2010 ist das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr zum 1. Oktober 2012 aufgestellt worden. Wie ist die Ihre Bilanz der Arbeit?

Ich ziehe hier eine definitiv positive Bilanz. Durch das große Engagement aller Angehörigen des Kommandos haben wir alle Aufträge erfüllt und können stolz sein auf das, was der Sanitätsdienst in seiner Gesamtheit mit Führung aus Koblenz geleistet hat. Unsere Stärken konnten wir insbesondere in den Auslandseinsätzen ausspielen und haben uns dort besondere Anerkennung verdient. Die sicherheitspolitische Ausrichtung ist nunmehr eine andere, so dass eine neue Reorganisation notwendig wurde. Dabei wird der Sanitätsdienst aber als ganzheitliches System erhalten, ein Umstand, der auch auf die Leistungen des Kommandos Sanitätsdienst zurückzuführen ist.

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