„Neuer Wehrdienst“: Fragebogen und Auswahl der Besten
Vor Wochen bereits sagte der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner zum Thema Wehrpflicht: „Für mich steht fest: Aufgrund der sicherheitspolitischen Lageänderung kann das „Ob“ niemand mehr in Zweifel ziehen, der sich mit der Bedrohungslage ernsthaft auseinandersetzt. Es geht also nur noch um das „Wie“.“
Die Frage nach dem „Wie“ hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Mittwoch erst im Verteidigungsausschuss des Bundestages und danach in der Bundespressekonferenz beantwortet. Der Minister plant die Einführung eines „Neuen Wehrdienstes“ schon im nächsten Jahr. Im Sommer oder Herbst 2025 sollen nach entsprechenden Änderungen im Wehrpflichtgesetz und im Soldatengesetz die ersten neuen Rekruten ihren Dienst antreten. Zuvor will Pistorius die Wehrerfassung wieder aktivieren.
Männer im wehrdienstfähigen Alter sollen Fragebogen ausfüllen
Der „Neue Wehrdienst“ soll als Grundwehrdienst mindestens sechs Monate andauern. Danach gibt es für die Rekruten eine Option für einen zusätzlichen freiwilligen Wehrdienst, der bis zu 17 weitere Monate dauern kann. Grundlage für den „Neuen Wehrdienst“ wird eine verpflichtende Erfassung und eine bedarfsorientierte Musterung, wie es im Konzept des Verteidigungsministeriums heißt.
So sollen Männer im wehrdienstfähigen Alter, denen man einen Fragebogen zusendet, verpflichtet werden, diesen auch auszufüllen und zurückzusenden. Wer darin seine Bereitschaft erklärt, dienen zu wollen und Auskunft über seine körperliche Fitness gegeben hat, kann dann bei Eignung zur Musterung eingeladen werden. Aus den dann bereits Gemusterten sollen die Geeignetsten und Motiviertesten ausgewählt werden, wie der Verteidigungsminister sagt. Frauen können diesen Fragebogen ausfüllen, müssen aber nicht. Das wäre vergleichbar mit dem schwedischen Modell der Wehrpflicht.
Oberst André Wüstner: „Die Wehrbeauftragte musste erst jüngst feststellen: „Die Truppe altert und schrumpft“ - das gleiche betrifft die Reserve. Just in diesem Monat liegen die Personalzahlen auf dem tiefsten Stand seit 2018. Keine Frage, ein „Neuer Wehrdienst“ ist keinesfalls das Allheilmittel für die Personalgewinnung und -bindung für Führungs- und Fachpersonal der Bundeswehr, dafür braucht es noch in diesem Jahr einige Anpassungen dienstrechtlicher, attraktivitätssteigender Rahmenbedingungen durch die Regierungskoalition. Ein neuer Wehrdienst wird aber dennoch helfen, denn in der Vergangenheit haben sich viele Wehrpflichtige entschieden, in der Bundeswehr zu bleiben – einige sind sogar Berufssoldaten geworden. Damals konnte man von der Bundeswehr viel mehr als heute vom „Spiegelbild der Gesellschaft“ sprechen.“
Unabhängig davon, so Wüstner weiter, war die Wehrpflicht das Fundament zur Bildung einer starken Reserve, die der Aufwuchsfähigkeit, dem Feldersatz und damit der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit diente – das nach wie vor bedeutendste Argument für diese Debatte. „Früher wie heute gilt, dass effektive Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit unsere Lebensversicherung darstellen.“
Der Plan: Erste Rekruten im Sommer/Herbst 2025
Der neue Wehrdienst wäre dann so wie in Österreich, wo Rekruten bei Eignung sechs Monate dienen müssen, aber insgesamt zwölf Monate dienen können, um beispielsweise beim Grenzschutz im Einsatz zu sein. Frauen können in Österreich dienen, müssen aber nicht.
Pistorius will den neuen Wehrdienst schnell umsetzen, dafür braucht er im Bundestag eine Mehrheit für notwendige Änderungen im Wehrpflichtgesetz und im Soldatengesetz. Der Plan ist: Referentenentwurf im Sommer, parlamentarische Beschäftigung im Herbst, Verabschiedung im Januar 25, erste neue Rekruten im Sommer/Herbst 2025. „Wir wollen die Besten und die Motiviertesten“, betont der Minister. 5000 Wehrpflichtige würden rund 1,4 Milliarden Euro kosten.
„Der brutale, imperialistische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zwingt uns zu einer beschleunigten Restrukturierung unserer Streitkräfte und zur Refokussierung auf die klassische Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage nach der Aufwuchsfähigkeit unserer Bundeswehr“, betont der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner. Er sagt auch: „Ich fordere seit 2018 eine konzeptionelle Planung der Aufwuchsfähigkeit unserer Bundeswehr und bin froh, dass Boris Pistorius der erste Minister ist, der das nun tatsächlich angeht.“
Recht auf Kriegsdienstverweigerung bleibt
Pistorius rechnet mit 400.000 jungen Männern, die zur Erreichung des 18. Lebensjahres einen Fragebogen bekommen. Der Minister geht davon aus, dass ein Viertel davon sich bereit erklären würde, dienen zu wollen. Nach der Auswertung der Fragebögen durch die Bundeswehr sollten, so ist der Minister sicher, 40.000 junge Männer bleiben, die gemustert werden. „Das Recht den Kriegsdienst zu verweigern, bleibt“, sagt Boris Pistorius.
Die #Bundeswehr muss im Verteidigungsfall personell aufwuchs- und durchhaltefähig sein. Minister #Pistorius hat dazu heute sein Modell zum „Neuen #Wehrdienst" vorgestellt. Er schlägt einen Auswahl-Wehrdienst vor, der vorrangig auf Freiwilligkeit beruht. pic.twitter.com/X9L0ILuUrK
— Verteidigungsministerium (@BMVg_Bundeswehr) June 12, 2024
Man wolle auch zeigen, was die Bundeswehr zu bieten habe und hoffe, dass sich viele schon zu Beginn des Wehrdienstes länger verpflichten. Diesen Rekruten wolle man Verpflichtungsprämien zahlen. „Der Dienst soll attraktiv und sinnstiftend sein“, sagt Boris Pistorius. Eine Wehrpflicht einzuführen, die auch Frauen einschließe, hält Pistorius für zu langwierig. „Wir haben nicht die Zeit, bis eine dafür nötige Grundgesetzänderung passiert wäre.“ Das gelte auch für eine allgemeine Dienstpflicht. Der Minister sagt aber auch: „Wenn wir nicht genügend Freiwillige bekommen, die für die Reserve greifbar sind, müssen wir auch über eine verpflichtende Form nachdenken.“
Pistorius: Langfristig werden 260.000 Reservisten benötigt
Ziel des neuen Wehrdienstes sei vor allem, die Aufwuchsfähigkeit für den Ernstfall herzustellen. Er gehe, sagt Pistorius, davon aus, dass die NATO 75.000 Reservisten nachfordern werde, betont aber gleichzeitig, insgesamt würden langfristig für den deutschen Beitrag zur Bündnisverteidigung 260.000 Reservisten und 200.000 aktive Soldatinnen und Soldaten benötigt.
Der Minister weiter: „Wir wollen nicht den alten Wehrdienst zurück. Wir wollen uns mit dem neuen Wehrdienst auch um Frauen bemühen, denn wir haben viel zu wenige in der Bundeswehr.“ In den neuen Wehrdienst werden auch die heute Freiwillig Wehrdienstleistenden integriert, sowie die wenigen hunderte Freiwillig Wehrdienstleistenden im Heimatschutz. Man habe in der Truppe Kapazitäten, um insgesamt 15.000 Wehrdienstleistende im Jahr auszubilden.
Die Ausbildung im neuen Wehrdienst soll für alle, die nur sechs Monate dienen wollen, auf Grundfähigkeiten beschränkt werden. Pistorius nennt sie Gewehrträger, die entsprechend dem Operationsplan Deutschland vor allem im Heimatschutz eingesetzt werden. Der Grundwehrdienst, nicht die Wehrpflicht, ist seit 13 Jahren ausgesetzt. CDU und FDP hatten das seinerzeit mit ihrer Mehrheit im Bundestag beschlossen.
Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Männer und Frauen hält Bohnert zumindest in dieser Legislaturperiode nicht für realistisch, sagte er dem Bayrischen Rundfunk, denn dafür sei eine Änderung des Grundgesetzes mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig.
Aktualisiert am 13.06.2024, 15:30 Uhr