Ein ukrainischer Soldat in Kiew, im Hintergrund das verkohlte Wrack eines Militärfahrzeugs. In der Nacht ist in der ukrainischen Hauptstadt zu schweren Gefechten gekommen. Nach ukrainischen Angaben ist die Lage unter Kontrolle. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Efrem Lukatsky

Ein ukrainischer Soldat in Kiew, im Hintergrund das verkohlte Wrack eines Militärfahrzeugs. In der Nacht ist in der ukrainischen Hauptstadt zu schweren Gefechten gekommen. Nach ukrainischen Angaben ist die Lage unter Kontrolle. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Efrem Lukatsky

26.02.2022
Yann Bombeke/mit Material von dpa

Ukraine-Krieg: Nächtliche Kämpfe um Kiew – Gefechte auch nahe Lwiw

Die schweren Kämpfe in der Ukraine sind auch in der Nacht fortgesetzt worden. Es wird von Gefechten am Stadtrand von Kiew berichtet. Auch im Westen des Landes soll es in der Nähe von Lwiw (Lemberg) zu Kämpfen gekommen sein. Die Lage bleibt insgesamt sehr unübersichtlich.

Gefechte in Kiew

Russische Einheiten haben in der Nacht offenbar versucht, weiter ins Zentrum von Kiew vorzudringen. Die ukrainische Hauptstadt ist nach Angaben von Bürgermeister Vitali Klitschko aber weiter in der Hand der Regierung. „Die Nacht war schwer, doch es gibt keine russischen Truppen in der Stadt“, sagte Klitschko in einem am Samstag verbreiteten Clip im Nachrichtenkanal Telegram. Er betonte zugleich: „Der Feind versucht, in die Stadt vorzudringen.“ Mit Stand 5.00 Uhr MEZ gebe es 35 Verletzte, unter ihnen zwei Kinder.

Klitschko rief die Bevölkerung auf, sich in Sicherheit zu bringen. „Bleibt in den Bombenschutzkellern, denn der Feind greift aus der Luft an.“ Die Infrastruktur funktioniere, die U-Bahn fahre. Klitschko forderte dazu auf, mutmaßliche Markierungen von Angriffszielen auf Häusern zu entfernen. „Wir haben Kontrollpunkte eingerichtet, daher wird die Bewegung in der Stadt eingeschränkt und erschwert.“ Klitschko sagte: „Es wird schwer, aber wir sind verpflichtet durchzuhalten, denn die Armee ist mit uns, die Gebietsverteidigung ist mit uns, die Gerechtigkeit ist mit uns.“

Zuvor hatte auch der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podolak gesagt, die Regierung beherrsche die Lage. „Sowohl in der Stadt selbst als auch am Stadtrand von Kiew ist die Situation unter Kontrolle“, sagte Podolak der Agentur Unian zufolge. Die Angreifer versuchten, große Zahlen von Militärtechnik und Streitkräften in die Stadt zu bringen. Dort seien russische Saboteure aktiv, gegen die ukrainische Sicherheitskräfte erfolgreich vorgingen. In den Außenbezirken kämpfe die Armee gegen die russischen Angreifer.

Augenzeugen berichteten von Dutzenden Detonationen in der Stadt mit etwa 2,8 Millionen Einwohnern. Auch zahlreiche Schüsse seien zu hören gewesen. Im Südwesten sei seit knapp einer halben Stunde kein Beschuss mehr zu hören gewesen, berichtete ein Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur am Vormittag.

In einem Wohnblock soll ein Geschoss eingeschlagen sein, Videos im Netz zeigen ein klaffendes Loch in einem mehrgeschossigen Gebäude. Nach ersten Informationen soll es keine Toten oder Verletzten geben. Weitere in den sozialen Medien verbreitete Videos zeigen, wie Schützenpanzer versuchen, eine improvisierte Straßensperre zu durchbrechen und von den Verteidigern mit Molotow-Cocktails beworfen werden. Überprüfen lassen sich diese Videos nicht. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba veröffentlichte bei Twitter ein Foto des getroffenen Hochhauses. „Kiew, unsere schöne, friedliche Stadt hat eine weitere Nacht unter Beschuss von russischen Bodentruppen und Raketen überlebt“, schrieb er dazu. «Ich fordere die Welt auf: Russland vollständig isolieren, Botschafter ausweisen, Ölembargo, die russische Wirtschaft zerstören», schrieb Kuleba. „Stoppt russische Kriegsverbrecher!“

Russische Luftlandetruppen versuchen zudem, einen Militärflughafen in der Nähe von Kiew unter Kontrolle zu bringen. Bei den heftigen Kämpfen in Wassylkiw seien ukrainische Soldaten getötet und verletzt worden, sagte die Bürgermeisterin der Kleinstadt, Natalija Balassynowytsch, in der Nacht zu Samstag ukrainischen Medien. Es seien viele russische Fallschirmjäger gelandet. „Wir haben Verluste. Wir haben viele Verletzte. Es sind leider 200“, sagte sie. Der Luftwaffenstützpunkt liegt etwa 40 Kilometer vom Kiewer Zentrum entfernt.

Am Donnerstag hatte es einen ähnlichen Landeversuch auf dem Flugplatz Hostomel nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt gegeben, der aber nach Kiewer Armeeangaben abgewehrt wurde. Bei den Kämpfen um Wassylkiw gab die ukrainische Armee an, eine russische Transportmaschine vom Typ Iljuschin Il-76 mit Fallschirmjägern abgeschossen zu haben. „Rache für Luhansk 2014“, schrieb Generalstabschef Walerij Saluschnyj auf Twitter.

Zu Beginn der Kämpfe in der Ostukraine 2014 hatten die von Russland angeleiteten Separatisten eine ukrainische Militärmaschine des gleichen Typs abgeschossen. Damals waren 49 ukrainische Soldaten getötet worden.

Kämpfe bei Lwiw

Zu Gefechten kam es auch im Westen des Landes nahe der Stadt Lwiw (Lemberg). Drei Hubschrauber hätten am Samstagmorgen etwa 60 Fallschirmjäger bei der Stadt Brody abgesetzt, rund 90 Kilometer nordöstlich von Lwiw, schrieb der Bürgermeister der Stadt, Andrij Sadowyj, bei Facebook. „Unsere Truppen haben sie zurückgeschlagen.“ Die Angreifer hätten sich vorerst zurückgezogen. „Wir behalten die Situation unter Kontrolle“, betonte Sadowyj.

Auch in anderen Landesteilen kam es zu Kampfhandlungen. Russische Stellen meldeten die Einnahme der Stadt Melitopol im Süden des Landes. Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums sagte, die russische Armee habe die „vollständige Kontrolle“ über die Stadt nahe der Krim übernommen. Zudem seien ukrainische Militäreinrichtungen mit Marschflugkörpern angegriffen worden, die unter anderem von Kriegsschiffen im Schwarzen Meer abgefeuert worden seien.

Die ukrainische Seite berichtet ihrerseits von hohen Verlusten unter den russischen Angreifern. Seit Beginn der Invasion seien 3500 russische Soldaten getötet und 200 gefangen genommen worden, teilte das ukrainische Militär mit. Zudem seien 14 Flugzeuge, 8 Hubschrauber, mehr als 100 Panzer und 530 weitere Militärfahrzeuge zerstört worden. Von russischer Seite gibt es keine Meldungen über eigene Verluste. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es nicht.

Weiterhin unklar ist auch das Ausmaß der Verluste unter der Zivilbevölkerung. Via Facebook sprach der ukrainische Gesundheitsminister von 198 bislang getöteten Zivilisten, darunter drei Kinder. Zudem seien 1115 Menschen verletzt worden.

Zehntausende versuchen, das Land zu verlassen

Immer mehr Ukrainer verlassen ihr Land und flüchten in die Nachbarländer Polen, Rumänien und in die Republik Moldau. In Polen sind nach Regierungsangaben bislang Zehntausende angekommen. „In den vergangenen 24 Stunden haben 35.000 Menschen die polnisch-ukrainische Grenze in Richtung Polen überquert“, sagte Vize-Innenminister Pawel Szefernaker am Freitagabend dem öffentlich-rechtlichen Sender TVP.

Nach seinen Angaben handelt es sich hauptsächlich um Frauen mit Kindern sowie Männer im nichtwehrfähigen Alter. Auf der ukrainischen Seite der Grenze hätten sich lange Staus gebildet. Die Abfertigung der Flüchtlinge dort werde auch dadurch langsamer, weil es durch die Kriegssituation zu Ausfällen im Computersystem des ukrainischen Grenzschutzes komme, sagte Szefernaker weiter. Polen sei in der Lage, täglich bis zu 50.000 Flüchtlinge aus der Ukraine an der Grenze abzufertigen.

Flüchtlinge am Grenzübergang Medyka-Schehyni berichteten laut einer Reporterin der Deutschen Presse-Agentur von stundenlangen Wartezeiten auf der ukrainischen Seite auch für Menschen, die die Grenze zu Fuß überqueren wollen.

Trotz aller internationalen Appelle will Russland den Militäreinsatz fortsetzen. „Die Militäroperation zum Schutz des Donbass wird vollständig und bis zum Erreichen aller Ergebnisse durchgeführt. Nicht mehr und nicht weniger“, schrieb der Vize-Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats, der ehemalige russische Präsedent Dmitri Medwedew am Samstag im sozialen Netzwerk Vkontakte. Daran änderten auch die Strafmaßnahmen des Westens nichts.

Medwedew bezeichnete die Sanktionen des Westens als „politische Ohnmacht, die sich aus der Unfähigkeit ergibt, den Kurs Russlands zu ändern“. „Jetzt werden wir von überall vertrieben, bestraft, verängstigt, aber wir haben wieder keine Angst“, sagte der Vertraute von Präsident Wladimir Putin. Russland werde „spiegelbildlich“ antworten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab sich in einem neuen Video aus der Hauptstadt Kiew kämpferisch. Die ukrainische Armee werde die Waffen nicht niederlegen, sie werde sich verteidigen, sagte der übernächtigt wirkende Staatschef auf der Straße in Kiew am Samstag. Er wünsche „allen einen guten Morgen“, sagte er mit einem Lächeln. Er wolle kursierende Falschnachrichten widerlegen, wonach er das Land verlassen habe. „Ich bin hier.“ Das Land müsse verteidigt werden. „Ruhm der Ukraine!“ Der russische Präsident Wladimir Putin hatte zuvor die ukrainische Armee aufgefordert, die Waffen niederzulegen. Das zeichnete sich nicht ab.

Militärhilfe aus dem Westen

Eine ganze Reihe westlicher Staaten unterstützt die Ukraine auch weiter mit Militärhilfe. Tschechien sagte zu, der Ukraine Maschinengewehre, Maschinenpistolen, Scharfschützengewehre und passende Munition zur Verfügung zu stellen, teilte Verteidigungsministerin Jana Cernochova am Samstag bei Twitter mit. Die Lieferung habe einen Gesamtwert von umgerechnet rund 7,5 Millionen Euro.

Das tschechische Innenministerium übernimmt demnach den Transport in die Ex-Sowjetrepublik. „Unsere Hilfe hört nicht auf“, betonte die Liberalkonservative Cernochova. Bereits Ende Januar hatte die Regierung in Prag entschieden, der Ukraine 4000 Artilleriegranaten zur Verfügung zu stellen. Zudem ist man bereit, verletzte ukrainische Soldaten in tschechischen Krankenhäusern zu behandeln.
Die Niederlande werden 200 Stinger Flugabwehrraketen an die Ukraine liefern. Das teilte die Regierung dem Parlament am Samstag in Den Haag mit. Die Regierung reagiere damit auf ein Ersuchen der Ukraine. Die sogenannten Stinger-Raketen können zum Beispiel Flugzeuge und Helikopter treffen.

Bereits in der vergangenen Woche hatten die Niederlande der Lieferung von Waffen und militärischen Gütern zugestimmt. Dazu gehörten 100 Scharfschützengewehre mit 30 000 Stück Munition sowie Radargeräte und Minen-Detektoren. Ein Teil davon sei am Samstag verschickt worden, der Rest solle so schnell wie möglich folgen. Die Niederlande hätten allerdings ebenso wie auch andere Verbündete «logistische» Probleme.

Bei einer Geberkonferenz für die Ukraine haben nach britischen Angaben rund zwei Dutzend Staaten „militärische und humanitäre Hilfe“ zugesagt. Man erwäge jede Option, um Kiew in seiner Verteidigung gegen „Präsident Putins grundlose und illegale Invasion“, teilte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace per Twitter mit. Die Konferenz fand unter britischer Führung am Freitagabend virtuell statt.

Aus Ministeriumskreisen hieß es, die militärische Unterstützung beinhalte Munition und Anti-Panzer-Waffen. Großbritannien habe zudem angeboten, mit „logistischen Operationen“ die Spenden in die Ukraine zu bringen. Dänemark teilte am Samstag mit, 2000 schusssichere Westen und 700 Sanitätstaschen in die Ukraine schicken zu wollen.

„Ich freue mich, dass weitere Verbündete defensive und humanitäre Hilfe angeboten haben“, twitterte Premierminister Boris Johnson am Samstag. Einem Bericht des britischen Senders Sky-News zufolge waren an der Konferenz auch die USA und mehrere Länder beteiligt, die nicht der Nato angehören.

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