Für die Luftwaffe sollen 35 F-35A Lightning II beschafft werden. Selbstverständlich kann die F-35A auch in der Luft betankt werden. Foto: Lockheed Martin

Für die Luftwaffe sollen 35 F-35A Lightning II beschafft werden. Selbstverständlich kann die F-35A auch in der Luft betankt werden. Foto: Lockheed Martin

19.09.2023
Von Frank Jungbluth

„Trotz der großen Herausforderungen: Wir erfüllen verlässlich unseren Auftrag“

Generalleutnant Ingo Gerhartz ist seit 2018 der 16. Inspekteur der Luftwaffe. Im Gespräch erzählt er von den notwendigen Investitionen in neue Kampfjets und schwere Transporthubschrauber und der hohen Motivation der Soldatinnen und Soldaten der Luftwaffe.

Die Bundeswehr: Vor 65 Jahren wurde das erste Jagdgeschwader der neuen Luftwaffe in Dienst gestellt, das Jagdgeschwader 71 in Ahlhorn, es war das erste deutsche Geschwader nach dem 2. Weltkrieg. Jetzt erleben wir eine weitere Zäsur. Inwieweit hat der Beginn des Krieges in der Ukraine vor eineinhalb Jahren auch die Luftwaffe verändert?

Ingo Gerhartz: Der 24. Februar 2022 hat unser aller Denken verändert. Die Diskussion über unsere Sicherheit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Hinter uns liegen fordernde Monate: Der völkerrechtswidrige Krieg Russlands hat uns vor enorme Herausforderungen gestellt – und die Luftwaffe hat geliefert. Wir haben gemeinsam gezeigt, was wir können. Als First Responder stehen wir verlässlich bereit und schützen nicht nur den deutschen Luftraum, sondern auch den unserer NATO-Partner. Ausdrücklich hat sich für die Luftwaffe mit dem russischen Angriffskrieg nicht alles verändert. Im Gegenteil: Wenn wir eine Lehre ziehen können, ist es die, dass die NATO „der“ entscheidende Faktor unserer Sicherheit ist. Und diese Wahrheit gilt in allen Jahrzehnten seit Gründung der Luftwaffe.

Erfüllung der Aufgaben mit der neuen Doktrin der Rückkehr zu Landes- und Bündnisverteidigung, Lieferung von Flugabwehrsystemen ins Kriegsgebiet Ukraine und gleichzeitig Beteiligung beim Schutz der NATO-Partner an der Ostflanke: Wie lange kann die Luftwaffe diesen Spagat noch leisten?

Wir erfüllen verlässlich unseren Auftrag. Auch wenn die Herausforderungen groß sind, werden wir nicht nachlassen. Bestes Beispiel ist unsere FlaRak-Truppe. Unsere Soldatinnen und Soldaten schützen mit ihren Waffensystemen die Ostflanke der NATO und haben gleichzeitig unsere ukrainischen Partner am Waffensystem PATRIOT und IRIS-T SLM ausgebildet. Parallel wurde ein Waffensystem PATRIOT an die Ukraine übergeben. Aus den vielen Gesprächen mit Angehörigen unseres FlaRak-Geschwaders weiß ich, dass all diese Herausforderungen nicht als Spagat wahrgenommen, sondern mit höchster Professionalität gestemmt werden. Spürbar ist ein großer Stolz. Gerade der persönliche Kontakt unserer Soldatinnen und Soldaten zu den ukrainischen Crews hat der Motivation einen enormen Schub gegeben. Die von uns ausgebildeten und ausgerüsteten Soldaten der Ukraine sichern den Himmel ihrer Heimat und retten Leben.

Sie bekommen den neuen F-35A, einen Superjet als Tarnkappen-Mehrzweckkampflugzeug, ist das eine „Revolution“ wie die Einführung des Starfighters 1961, was macht das Besondere an diesem Jet aus?

Ich denke, dass in der Luftwaffe nur noch sehr wenige an den Starfighter und die 60er Jahre denken. Bei der Einführung der F-35 haben wir die Zukunft fest im Blick. 2026 werden die ersten acht Kampfjets zur Ausbildung in die USA ausgeliefert, bevor wir in 2027 dann die erste F-35 in Büchel erwarten. Ende des Jahres 2029 – in sechseinhalb Jahren – wird die Luftwaffe die Einsatzbereitschaft der F-35 melden. Hieran besteht kein Zweifel. Das wichtigste Argument für die F-35 ist, dass dieser Jet die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit und Zukunft ist. Die Entscheidung für die F-35 war folgerichtig, weil unsere glaubwürdige Reaktions- und Abschreckungsfähigkeit die Grundvoraussetzung unserer Sicherheit ist. Die Luftwaffe wird schon bald eine Plattform nutzen, die erprobt, durchsetzungsfähig und zertifiziert ist.

Die F-35 ist das modernste, leistungsstärkste Kampfflugzeug weltweit und verfügt über neueste Sensorik und hohe Vernetzung. In einer Plattform vereint sie Elektronische Aufklärung, Luftlagebild sowie Command & Control. Mit fast 600 bestellten Maschinen ist die F-35 zu dem „Standardjet“ der europäischen Luftstreitkräfte geworden – eine einzigartige Stärkung der NATO.

Die Truppe hat insgesamt Nachwuchsprobleme, die Gesamtzahl droht unter 180?000 Soldatinnen und Soldaten zu rutschen: Ist die Luftwaffe auch so stark betroffen? Was würden Sie dagegen tun?

Unsere Antwort ist ganz klar: Wir müssen zeigen, dass wir es können. Junge Menschen begeistern sich für uns, wenn spürbar ist, dass wir unseren Auftrag verlässlich erfüllen. Vom ersten Tag an habe ich dieses Thema zur Chefsache gemacht. Denn bei der Luftwaffe geht es nicht darum, freie Dienstposten zu besetzen. Wir brauchen die Besten eines jeden Jahrgangs und das betrifft nicht nur unsere Piloten im Cockpit. Einsatzbereitschaft, Attraktivität und der Zusammenhalt im Team in Kombination mit neuen und innovativen Wegen der Personalgewinnung machen den entscheidenden Unterschied. Unsere Türen stehen weit offen für alle, die zupacken und die Zukunft unserer Luftwaffe mitgestalten wollen.

Sie haben die Beschaffung des Raketenabwehrsystems Arrow 3, eine Gemeinschaftsproduktion von Israel und den USA, verkündet. Das System soll in Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Bayern stationiert werden. Deutschland investiert vier Milliarden Euro. Wann werden wir in Deutschland wieder einen Cordon sanitaire wie während des kalten Krieges mit Hawk und Nike Herkules gegen Luftangriffe in Deutschland haben?

Was wir brauchen, ist nicht eine Wiederbelebung des Luftverteidigungsgürtels aus der Zeit des Kalten Krieges, sondern eine flexible, bodengebundene und integrierte NATO-Luftverteidigung – durchgängig vom Nächstbereich bis zum erdnahen Weltraum. Mit der Entscheidung für Arrow 3 können wir selbst weitreichende Flugkörper in großen Höhen bekämpfen. Wir werden das erste System ab 2025 einführen, um auf Bedrohungen reagieren zu können, die in der Ukraine zur brutalen Realität des Krieges geworden sind. Auch diese Entscheidung zeigt, dass wir im Überschallbereich unterwegs sind – und genauso machen wir weiter.

Stichwort Israel: Die Freundschaft mit der einzigen Demokratie im Nahen Osten ist Ihnen sehr wichtig, wie viele wissen. Worauf gründen die besonderen Beziehungen zu Israel?

Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, hat zur Arrow-Beschaffung geschrieben, dass er sehr stolz sei, dass seine Heimat zum Schutz Deutschlands und Europas beiträgt und diese Zusammenarbeit die besondere Tiefe unserer strategischen Beziehungen verdeutlichen würde. Ich stimme ihm zu und möchte zusätzlich betonen, dass Arrow nur ein Teil unserer engen Verbindung ist. Seit Jahren üben unsere Eurofighter zusammen mit der israelischen Luftwaffe in der Negev-Wüste. Das Bedienpersonal unserer He-rondrohnen wird im israelischen Tel Nof ausgebildet.

Doch wir arbeiten nicht nur eng zusammen, sondern sind auch Freunde. Mit zahlreichen Projekten, gemeinsamen Ausbildungen und Austauschprogrammen haben wir in den letzten Jahren unzählig viele Begegnungen initiiert. Mit unserer engen Luftwaffenkooperation verbinden wir Menschen mit Menschen, denn die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern liegt uns am Herzen.

Die Bundeswehr allein hätte im Kalten Krieg Deutschland nicht verteidigen können. Das ging nur in der Allianz mit den NATO-Partnern. Heute hilft Deutschland, vor allem auch die Luftwaffe, bei der Landes- und Bündnisverteidigung an der Ostflanke. Wie gut ist die Luftwaffe auf die Aufgabe vorbereitet, was fehlt noch, um optimal unterstützen zu können?

Deutschland wird im Bündnis verteidigt. Dieser Satz war bereits im Kalten Krieg gültig und hieran hat sich nichts geändert. Die Luftwaffe hat ihre Kaltstartfähigkeit unter Beweis gestellt und ein klares Signal für die Wachsamkeit der NATO gesendet. Die Menschen in unserer Heimat können sich auf unsere Einsatzbereitschaft verlassen und auch unsere Partner in Europa und im Bündnis vertrauen uns. Wir hören nicht auf, besser werden zu wollen, doch unsere Luftwaffe ist bereits heute modern, leistungsstark und im vollen Umfang bündnis- und koalitionsfähig.

Herr Generalleutnant, Sie sind seit 2018 Inspekteur der Luftwaffe und erleben einen historischen Modernisierungsschub: 60 neue schwere Transporthubschrauber vom Typ Chinook CH-47F für acht Milliarden Euro, zehn Milliarden für 35 F-35A Lightning II, vier Milliarden für Arrow 3 – wie viel neues Personal und Infrastruktur bräuchten Sie, um die neuen Zeiten meistern zu können?

Wir „erleben“ den Modernisierungsschub nicht, sondern gestalten ihn aktiv. Für uns kommt es darauf an, dass wir diesen Prozess vorantreiben, bis sämtliche neue Systeme in den Verbänden einsatzbereit sind. Das kostet Geld, aber wer schlagkräftig, durchsetzungsfähig und letztendlich überlegen sein will, muss investieren. Neueste Technologie ist kein Selbstzweck, sondern notwendige Grundlage. All dies hat enorme Konsequenzen auf Personal und Infrastruktur. Ich hatte ja bereits darauf hingewiesen, dass wir bereits Ende des Jahres 2029 die Einsatzbereitschaft unserer F-35 melden werden. Das heißt, dass die Jets ab 2027 in Deutschland durch uns übernommen werden und die Infrastruktur in den nächsten 4–5 Jahren fertiggestellt werden muss.

Dies sind Meilensteine, an denen nicht gerüttelt werden kann, denn das Ende der Nutzungsdauer unseres Tornados setzt uns eine harte Grenze. Alle am Prozess beteiligten Player haben dies verstanden. Es kommt darauf an, dass jeder seine Verantwortung professionell wahrnimmt, Handlungsbedarf sofort erkennt, anspricht und Lösungen entwickelt. Mein klares Versprechen ist nicht nur, dass sich die Luftwaffe mit ganzer Kraft einbringt, sondern dass wir gemeinsam unsere Ziele erreichen werden.

Sie kaufen für mehr als 20 Milliarden Euro in den USA und in Israel ein: Was sagt die heimische Rüstungsindustrie zu den entgangenen Aufträgen?

Bei dieser Frage ist mir zuallererst ein Gedanke wichtig: Im russischen Aggressionskrieg ist unsere heimische Rüstungsindustrie ihrer enormen Verantwortung für die Sicherheit unserer Heimat in vollem Umfang gerecht geworden. Sicherheit ist immer unser gemeinsames, erstes und verbindendes Ziel.

Auch wenn wir in den letzten Monaten viel über die neuen Chinook-Hubschrauber, F-35-Jets und Arrow-Systeme gesprochen haben, ist IRIS-T SLM ein gutes und konkretes Beispiel dafür, dass auch aus Deutschland hervorragende Systeme kommen. Zudem werden wir beim Eurofighter mit der Fähigkeit zum Wirken im elektromagnetischen Spektrum dessen Rolle als Rückgrat der fliegenden Luftwaffe nochmals erweitern. Und beim Kampfflugzeug der sechsten Generation, dem Future Combat Air System, kommt es darauf an, jetzt konsequent in Europa zu entwickeln, damit wir nicht in 20 Jahren gezwungen sind, woanders kaufen zu müssen.

Insgesamt dürfen wir bei der Frage das Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren: So ist es in enger und bewährter Kooperation mit der Industrie gelungen, dass Deutschland fester Teil des globalen F-35-Programms geworden ist. Bereits 2025 wird der Standort Weeze ein globaler Hochtechnologiestandort, wenn dort die Produktion von mehr als 400 F-35-Rumpfmittelteilen für die Luftwaffe und unsere Partner beginnt. Beim Spatenstich der Fabrik am 1. August hatte ich sehr wohl den Eindruck, dass auch die deutsche Industrie partizipiert. Mit unseren Investitionen gelingt es uns, die Sicherheit unserer Heimat mit einer hochmodernen, einsatzbereiten Luftwaffe zu garantieren und gleichzeitig die Rolle Deutschlands als Hochtechnologiestandort zu festigen.

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