In Berlin: Die Teilnehmer der ersten Tagung mit Einsatzsoldatinnen. Die Veranstaltung in der Bundesgeschäftsstelle des DBwV wurde sehr gut angenommen. Foto: DBwV/Schmidt

In Berlin: Die Teilnehmer der ersten Tagung mit Einsatzsoldatinnen. Die Veranstaltung in der Bundesgeschäftsstelle des DBwV wurde sehr gut angenommen. Foto: DBwV/Schmidt

29.11.2019
ch

Tagung mit Einsatzsoldatinnen in Berlin: „Es muss endlich etwas getan werden!“

Sie sind dabei, wenn ihre kämpfenden Kameraden das schützende Camp verlassen. Sie sind da, wenn es um die Erstversorgung geht. Sie sehen brutale Verletzungen und Tod: die Soldaten des Sanitätsdienstes, die an der Seite ihrer Kameraden aus Heer, Luftwaffe und Marine in den Einsatz gehen. Viele von ihnen sind Frauen.

Das Risiko, an Einsatzschäden wie PTBS oder Depressionen zu erkranken, ist für sie mindestens ebenso hoch wie für die kämpfende Truppe. Doch sind die Folgen des Einsatzes bei den Soldatinnen des Sanitätsdienstes anders ausgeprägt als bei ihren männlichen Kollegen? Werden die Frauen mit Einsatzschäden anders behandelt? Was muss getan werden, um dieser Gruppe von Patienten mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen?

Diesen Fragen widmete sich die DBwV-Tagung mit Einsatzsoldatinnen Ende November in der Berliner Geschäftsstelle. Es war die erste ihrer Art, und sie sollte der Verbandsarbeit, aber auch der Arbeit im BMVg neue Impulse geben. Die Leitung hatte Hauptmann Petra Böhm inne, stellvertretende Vorsitzende Sanitätsdienst im DBwV-Bundesvorstand.

Unter den Teilnehmerinnen waren Soldatinnen, die mehr als sieben Auslandseinsätze bestritten hatten, alleinerziehende Mütter, Frauen, die seit Jahren gegen ihre PTBS kämpfen. Eine von ihnen ist Hauptfeldwebel Steffi Matz. Seit 2014 an PTBS erkrankt, kam für sie irgendwann der Moment, „an dem ich aufstehen und über mich erzählen wollte, um anderen Betroffenen etwas geben zu können“.

Matz kann nicht behaupten, dass ihr an irgendeiner Stelle nicht weitergeholfen wurde. Aber das gehe nicht allen so und viele hätten auch nicht die Kraft, sich über die Möglichkeiten an Behandlung und Unterstützung so intensiv zu informieren.

Bereits nach ihrem Einsatz als Rettungsassistentin in Kundus 2011/12 begann bei Steffi Matz „die Fassade zu bröckeln“, wie sie es beschreibt. 2014 folgte ein neuer sechsmonatiger Einsatz in Afghanistan. Sie war in einem teilweise ungesicherten Außenlager untergebracht, wo sie mit den wenigen Kameraden nächtelang die Bilder der Lagerkameras überwachte aus Angst vor Angriffen. „Bei diesem Einsatz bin ich gebrochen worden“, so Matz.

Zurück in Deutschland konnte sie sich nicht mehr fangen, hatte Weinkrämpfe. Erst als sie sich überwand, ihren Eltern von ihrem wahren Zustand zu erzählen, entstand der Mut für die nächsten Schritte: ins Bundeswehrkrankenhaus Berlin zu gehen, an der Gruppe Sporttherapie in Warendorf teilzunehmen, bei den „Invictus Games“ anzutreten und stufenweise in den Dienst zurückzukehren.

Über ihre PTBS-Erkrankung sagt Matz: „Das Gemeine an dieser Krankheit ist, dass ich mich ständig rechtfertigen muss.“ Die Krankheit sei eben nicht sichtbar wie eine körperliche Versehrtheit. Die Soldatin bedauert auch, dass der Zusammenhalt unter den betroffenen Frauen noch viel zu gering sei. „Wir sind uns selbst gegenüber viel zu selten ehrlich.“ Das weiß sie aus eigener Erfahrung, denn vor ihrer Erkrankung hatte auch sie zu denen gehört, die die „sensiblen“ Kameraden belächeln, wenn sie verändert aus dem Einsatz zurückkehren.

Oberstleutnant Carsten Gideon leitet die Gruppe Sporttherapie für einsatzgeschädigte Soldaten in Warendorf und stellte den Sport als Vehikel zur geistigen und körperlichen Gesundung vor. Bei der Sporttherapie handele es sich um eine körperliche Ertüchtigung – keinen Leistungssport – gekoppelt mit sozialer Interaktion und psychologischer Betreuung. „Wir wollen den Teilnehmern die Freude am Leben zurückgeben, die Spirale, die nach unten zeigt, wieder in die Richtung nach oben drehen“, erläutert Gideon. Rund 70 Prozent der Teilnehmer an den zwei- bis dreiwöchigen Lehrgängen leiden an einer einsatzbedingten PTBS, die anderen sind körperlich geschädigt. Leider sei die Teilnahme von Frauen bisher relativ gering.

Wie wichtig Aufklärungsarbeit ist, bestätigte auch Hauptfeldwebel Christiane Müller. Die Lotsin für Einsatzgeschädigte am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg benannte als eine ihrer Kernaufgaben die Beratung von Vorgesetzten und Teileinheitsführern im Umgang mit Einsatzgeschädigten.

Müller ist Teil eines Pilotprojekts, denn bisher seien für den Sanitätsdienst keine Lotsen vorgesehen, obwohl die Belastungen für Sanitätssoldaten in den Auslandseinsätzen mindestens ebenso hoch seien wie für Heereskameraden. Doch noch immer herrsche die Auffassung vor, dass die Sanität Lotsen nicht brauche, da sie sich doch selbst zu helfen wisse.

Dass das ein Irrtum ist, davon zeugten die verzweifelten Worte von Hauptfeldwebel Kathryn Olonschek aus dem Sanitätsversorgungszentrum Strausberg: „Es muss endlich etwas für uns im Sanitätsdienst getan werden! Es muss jemand aufstehen aus der Führung oder aus dem Ministerium. Das kann nicht in unserer Verantwortung liegen, denn wir sind schon kaputt – uns muss geholfen werden.“

Generalarzt Dr. Bernd Mattiesen ist Beauftragter der BMVg für einsatzbedingte posttraumatische Belastungsstörungen und Einsatztraumatisierte. Er höre immer wieder das Argument, dass der Sanitätsdienst so ausgelastet sei, dass niemand für den Lotsendienst abgestellt werden könne. Er berichtete aber auch von positiven Veränderungen: So schreite das Projekt „Rehazentren in der Fläche“ voran und die Facharztzentren würden mit Psychologen ausgestattet. Auch sei die Pilotphase der dreiwöchigen Soldaten-Familien-Kur in der DRK-Klinik Plön erfolgreich beendet.

Aktuell würden die Ausführungsbestimmungen erstellt, die Anmeldung erfolge zukünftig über den Truppenarzt. Und auch die die von den Organisationen des Netzwerks der Hilfe finanzierte einwöchige Jugendfreizeit werde im Sommer wieder angeboten.

Oberstarzt Dr. Peter Zimmermann, Leitender Arzt der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Bundeswehrkrankenhauses Berlin, zitierte aus einer Dunkelzifferstudie über Belastungen bei Soldaten, die im Afghanistan-Einsatz waren. Demnach kamen 21,7 Prozent der Einsatzsoldaten belastet zurück, dabei herrschten Angststörungen, Depressionen, Alkoholmissbrauch und PTBS vor. Geschlechtsspezifische Unterschiede hätten sich in dieser Studie jedoch nicht gezeigt, betonte Zimmermann.

Was er vermisse, sei eine präventive und therapeutische Gesamtstrategie, die alle Bereiche psychosozialer Versorgung integriere.

Optimierungsbedarf im Umgang mit PTBS besteht laut den Teilnehmerinnen insbesondere bei der Aufklärungsarbeit. Dies betreffe sowohl die Truppenärzte als auch die militärischen Vorgesetzten, die häufig nur unzureichend auf mögliche Auffälligkeiten bei den Einsatzrückkehrern achten. Aber auch für die Betroffenen sollte es ein niedrigschwelliges, umfassendes Informationsangebot über alle Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten geben, das insbesondere auch Angebote für Familien umfasst und jungen Müttern Möglichkeiten zur Kinderbetreuung bei Behandlungen, Lehrgängen und ähnlichem aufweist.

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