Rettungsaktion vor der libyschen Küste. An dem Einsatz im Mittelmeer ist auch die Bundeswehr beteiligt Foto: Bundeswehr

Rettungsaktion vor der libyschen Küste. An dem Einsatz im Mittelmeer ist auch die Bundeswehr beteiligt Foto: Bundeswehr

13.06.2017
dpa

Sophia: Mittelmeer-Mission mit Mängeln

Genf. Eigentlich können die Soldaten der Europäischen Union stolz sein auf den Einsatz im Mittelmeer: Mehr als 30.000 Menschen haben sie mit der EU-Militäroperation Sophia allein im Jahr 2016 zwischen Libyen und Italien aus dem Wasser gezogen und gerettet. Doch das ist in erster Linie gar nicht das Hauptmandat der Marinemission.

"Die Operation Sophia arbeitet hervorragend beim Retten von Menschen", sagt Nicola Pedde, der Direktor des Institute for Global Studies, der Schweizer Nachrichtenagentur sda. Die Bootsflüchtlinge werden Tag für Tag vor allem im Dreieck zwischen der süditalienischen Insel Lampedusa und den westlibyschen Städten Sabratha und Misrata aus dem Meer gefischt. Sie müssen Schiffbrüchigen in Not helfen, das ist die Pflicht eines jeden Seefahrers, das schreiben internationale Konventionen vor.

Dabei sollen die Soldaten eigentlich den Schleppern das Geschäft vereiteln. Das zumindest hatte der EU-Rat im Sinn, als er die Mission im Juni 2015 in die Spur setzte.

Fünf Schiffe, zwei Hubschrauber und vier Flugzeuge sind aktuell im Mittelmeer unterwegs, um Schleuserboote abzufangen, zu beschlagnahmen und zu zerstören. 25 EU-Staaten beteiligen sich an der Mission. Seit 2016 sollen die Soldaten nicht mehr nur Schlepper jagen, sondern auch das Waffenembargo der Vereinten Nationen (UN) gegen Libyen umsetzen und die libysche Küstenwache schulen.

Doch die Mission steht schon länger in der Kritik. Sie erfüllt einem Bericht aus dem Oberhaus des britischen Parlaments zufolge nicht ihr Kernmandat. Bis Ende April 2017 hat die Operation der italienischen Polizei demnach 109 verdächtige Schlepper übergeben, offenbar kleine Fische. Und die Operation zerstörte insgesamt 422 Boote.

Die Flucht über das Meer und den vielfachen Tod vermochte sie aber nicht zu stoppen. Im Gegenteil: Hunderttausende nahmen den Weg. Rund 5000 starben im vergangenen Jahr im Meer.

Während der libysche Staat zerfällt, verschiedene Regierungen um die Macht kämpfen und die Wirtschaft am Boden liegt, floriert das Schleppergeschäft an der Küste. Die Organisation Global Initiative against Transnational Organized Crime GITOC schätzt, dass die Schleuser 2015 dort mit ihrem tödlichen Geschäft einen Gesamtumsatz zwischen 255 und 323 Millionen Dollar (227 - 288 Millionen Euro) erwirtschafteten.

Die Schleuser haben ihr "Geschäftsmodell" angepasst


Der EU-Einsatz befördere noch das Schlepperbusiness, sagen Kritiker. Weil die Sophia-Boote bei ihren Patrouillen bis auf wenige Seemeilen an die Küste Libyens heranfahren, machen sie das Geschäft einfacher und billiger für die Schleuser. Und sehr viel gefährlicher für die Flüchtlinge, sagte Tuesday Reitano, stellvertretende Direktorin der Initiative GITOC.

Die Schleuser haben ihr "Geschäftsmodell" angepasst. Sie schicken die Flüchtlinge in immer billigeren Schlauchbooten ins Meer. Die teuren Holz- und Fiberglasboote würden nicht mehr eingesetzt, da es ein "bedeutender finanzieller Verlust" sei, wenn sie zerstört würden, hatte der Generaldirektor des EU-Militärstabes, der Österreicher Wolfgang Wosolsobe, bereits im März 2016 berichtet.

Der Kommandant der Sophia-Operation, Konteradmiral Enrico Credendino aus Italien, schrieb in einem geleakten und von der Bürgerrechtsbewegung statewatch.org veröffentlichten Bericht über die Mission für die Periode Januar bis Oktober 2016: Die Restriktionen hätten die Schlepper noch fahrlässiger im Umgang mit den Gummibooten gemacht. Häufig zögen sie die Gummiboote ohne Motor mit einem Schiff raus ins Meer. Dann ließen sie diese einfach treiben - für die Flüchtlinge häufig eine tödliche Gefahr.

Auch die Ausrüstung der Mission wird als unverhältnismässig kritisiert. Die derzeit fünf Schiffe sind für den Krieg ausgelegt. Einige davon kosteten mehr als 500 Millionen Pfund, sagte Peter Roberts vom britischen Forschungsinstitut Royal United Services Institute. Manche Flugzeuge seien darauf spezialisiert, im Nordatlantik Atom-Unterseeboote zu jagen, während "wir sie derzeit dazu einsetzen, kleine Gummiboote vor der libyschen Küste zu suchen". Die EU solle lieber billigere Handelsschiffe losschicken.

Inzwischen schulen die Soldaten auch die libysche Küstenwache und stellen ihr Schiffe zur Verfügung, um in den eigenen Gewässern zu patrouillieren. Auch da gibt es einen Haken: Berichten zufolge macht die Küstenwache mit den Schleppern teils gemeinsame Sache. Und die Libyer bringen die Geretteten wieder zurück in ihr Land - 2016 waren es wohl mehr als 10.000 Menschen. Dort leben sie aber unter oft entsetzlichen Bedingungen in Haftzentren, wo manche misshandelt werden.

Gerettet zu werden und "dann in so unmenschliche Bedingungen zurückgeschickt zu werden, kann nicht akzeptierbar sein", sagte die stellvertretende UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Kate Gilmore, dazu in Genf im Menschenrechtsrat.

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