Deutsche und US-amerikanische Soldaten der Enhanced Forward Presence Battlegroup bei der multinationalen Übung Ramming Bull in Litauen. Foto: Bundeswehr/Jana Neumann

Deutsche und US-amerikanische Soldaten der Enhanced Forward Presence Battlegroup bei der multinationalen Übung Ramming Bull in Litauen. Foto: Bundeswehr/Jana Neumann

29.12.2023

Sicherheit geht uns alle an: Das sagen die sicherheitspolitischen Sprecher

Ob Bundeswehr, NATO oder Ukrainekrieg: Auch 2024 wird herausfordernd. Wir haben die sicherheitspolitischen Sprecher beziehungsweise Experten der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien nach ihrer Einschätzung für das neue Jahr gefragt.

Wolfgang Hellmich, SPD

Im Interesse unser aller Sicherheit: Die Bundeswehr muss verteidigungs- und durchsetzungsfähig werden.

Im Februar 2024 jährt sich der Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und damit auf die europäische Sicherheitsordnung zum 2. Mal. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete Zeitenwende ist die Richtschnur für die Stärkung unserer Sicherheit im Bündnis der NATO, in Europa und unserer ganzen Gesellschaft. Deshalb muss der Kurs der Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeit konsequent und ohne Abstriche fortgesetzt werden.

Viel mehr als viele Jahre zuvor wurde erreicht: Von der Beschleunigung der Beschaffung von Material für unsere Truppe, über die Entscheidung zur Stationierung einer Brigade in Litauen bis hin zu den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien. Mit dem Aufwuchs des Verteidigungsetats auf fast 52 Mrd., dem Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Mrd. und einschließlich der Hilfen für die Ukraine haben wir 2,1% des BIP erreicht. Die 55 in 2023 von Verteidigungs- und Haushaltsausschuss beschlossenen 25-Millionen-Vorlagen müssen in 2024 in die Umsetzung gebracht werden, damit die Bundeswehr schnellstmöglich den Rüststand erreicht, unser Land und das Bündnis durchhaltefähig und erfolgreich verteidigen zu können. Nichts anderes bedeutet es, Landes- und Bündnisverteidigung mit höchster Priorität zu versehen. Eine effektive Luftabwehr in allen Schichten des Luftraumes, die Beschaffung eines leichten Kampf- und eines schweren Transporthubschraubers, die Einführung mittlerer, schnell verlegbarer Kräfte, mehr Munition und der Aufbau industrieller Produktionskapazitäten, die bessere persönliche Ausrüstung unserer Soldatinnen und Soldaten und vieles mehr dient diesem Ziel.

In 2024 ist über die Sicherung der Finanzierung der Bundeswehr in mittelfristiger Perspektive zu entscheiden. Das Parlament hat als Richtschnur die 2% des BIP gesetzlich festgelegt. Dies muss nun in der Finanzplanung abgebildet werden.

Und weitere Aufgaben müssen in 2024 angegangen werden: Die Gewinnung von zusätzlichem Personal für Bundeswehr, militärisch wir zivil, die Ertüchtigung der Infrastruktur und der Zulauf von Material stehen im Fokus. Und unsere Unterstützung für die Ukraine muss bruchlos fortgesetzt werden.

Aber das nicht allein. Mit dem Operationsplan für Deutschland muss an der Verteidigungsfähigkeit der gesamten Gesellschaft gearbeitet werden. Hier sind nicht nur alle Ministerien, sondern auch Länder und Kommunen gefragt. Unsere Sicherheit geht uns alle an. Um auf unseren Verteidigungsminister Boris Pistorius zurückzugreifen, unsere Bundeswehr muss verteidigungs- und durchsetzungsfähig, sprich kriegstauglich werden.

Denn, Freiheit gibt es nicht umsonst!

Sara Nanni, Bündnis 90/Die Grünen

Die Sicherheitslage in Europa bleibt angespannt. Die Ukraine muss sich auf die fortdauernde Unterstützung der USA und Europas verlassen können. Es geht um die Würde der Ukrainer:innen – und damit aller freien Gesellschaften – und auch um die strategischen Bedingungen für eine langfristige Sicherheitsarchitektur in Europa. Eine Niederlage hätte auch für uns im Bündnis nur Nachteile. Die Einsicht hat sich leider noch nicht bei allen durchgesetzt, daran werden wir also weiter arbeiten. Für die Bündnisverteidigung wird 2024 ein entscheidendes Jahr. Die NATO wird im NATO Defence Planning Process (NDPP) ihre Ziele konkreter definieren. Das wird den Druck auf die Mitgliedsstaaten, den politischen Bekenntnissen auch Taten folgen zu lassen, noch einmal erhöhen.

Die EU wird sich eine verteidigungsindustrielle Strategie geben und hoffentlich auch rasch in die Umsetzung kommen. Es muss darum gehen, eine europäische industrielle Basis für die sicherheitspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu formen. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Entwicklungskosten müssen gepoolt und Skaleneffekte gemeinsam erreicht werden. Hier muss Deutschland konstruktiv auftreten – und zwar Regierung und Industrie gleichermaßen.

Die Bundeswehr wird die Kooperation mit Litauen weiter ausbauen. Das kann intern zu Spannungen führen. Auch die Veränderungen, die durch die Strukturreform, das Gleichstellungsgesetz und den Erlass zu sexualisiertem Fehlverhalten nötig werden, werden beim größten Arbeitgeber der Bundesrepublik nicht ohne Reibung von statten gehen. Manche sagen: warum noch nach Innen verändern, wenn sich die Welt schon so schnell dreht. Ich sage: gerade jetzt! Und ich bin sicher: mit einem hohen Maß an Professionalität und den sicherheitspolitischen Herausforderungen vor Augen werden diese Veränderungen gelingen. Für das Bündnis, Europa, die Bundesrepublik und die Bundeswehr gilt auch 2024: „keep calm and carry on united.“

Alexander Müller, FDP

Ich wünsche mir, dass wir Ende 2024 in einer Lage sind, in der unsere Soldaten sagen: „Das war gute Arbeit, der Truppe geht es spürbar besser als noch zu Beginn der Legislaturperiode.“ Mir schwebt eine Bundeswehr vor, die digitaler ist, beweglicher, unbürokratischer – und kriegstauglich. Prozesse sollten effizienter sein, so dass etwa nach einer Bewerbung ein Kandidat innerhalb von wenigen Tagen eine erste Rückmeldung erhält. Der Truppe muss Verantwortung in die Einheiten vor Ort zurückgegeben werden, und die stark zentralisierte Bundeswehr sollte dieses Vertrauen aufbringen.

Ich wünsche mir dazu eine viel engere europäische Zusammenarbeit, um Europas sicherheitspolitische Autonomie zu stärken.

Wir sollten Schritte unternehmen, die Demokratien der Welt stärker zusammenzuführen, also Staaten wie Japan, Südkorea, Australien und Israel enger und formaler an die NATO zu binden. Der Kooperation der Diktaturen China, Russland, Iran et al. müssen die Verteidiger der Freiheit ein starkes Bündnis entgegensetzen.

Haushalterisch müssen wir das Zwei-Prozent-Ziel als Minimum weiterverfolgen, die restlichen Mittel aus dem Sondervermögen vertraglich binden und in Hardware wandeln. Die Unterstützung für die Ukraine muss ungemindert fortgesetzt und verstärkt werden, wo nötig. Unsere eigenen Strukturen im Ministerium und bei der Truppe müssen weiter an die Erfordernisse der Zeitenwende angepasst werden.

Eine erstarkte Bundeswehr vertritt über LV/BV und IKM hinaus unsere geostrategischen Interessen im Verbund mit unseren Wertepartnern nicht nur mit Präsenz in Litauen, sondern auch beim Schutz globaler Handelsrouten oder Engagement im Pazifik u.a. als Signal der Unterstützung für die taiwanische Demokratie.

Die Bundeswehr hat bei der Evakuierung aus dem Sudan im Frühling ihr Können und hohe Professionalität bewiesen. Für 2024 wünsche ich mir, dass die Kernfähigkeit der Bundeswehr so selten wie möglich gefordert sein wird. Denn am Ende gilt: Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen.

Florian Hahn, CDU/CSU

Zunächst hoffe ich, dass alle Soldatinnen und Soldaten gesund und auch optimistisch ins neue Jahr gestartet sind – trotz andauernder Krisen- und Kriegen. Ich wünsche Ihnen Allen viel Kraft und Zuversicht und möchte mich für Ihren Einsatz im Dienste unseres Landes bedanken. Deutschland kann stolz auf sie sein!

Die Bundeswehr war, ist und bleibt der fundamentale Anker für die Gewährleistung unserer äußeren Sicherheit und wird getragen von herausragenden Männern und Frauen, die durch sich durch ihre vorbildliche Leistungsbereitschaft um unser Vaterland verdient machen. Unseren Soldatinnen und Soldaten sind wir es auch schuldig, dass wir mit dem Ende des Afghanistan- und Mali-Einsatzes der Bundeswehr und der russischen Aggression in der Ukraine jetzt die so wichtigen Weichenstellungen für die zukünftige Ausrichtung der Bundeswehr vornehmen:

Eine einsatzbereite, vollausgestattete Bundeswehr ist DIE Grundvoraussetzung für eine wirksame Abschreckung und so dienen Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zunächst unmittelbar der Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten und lassen es zu, dass wir auch in unserem europäischen Umland für Stabilität sorgen. Nehmen Sie das Kräftedispositiv, welches sich auf Zypern für einen eventuellen Einsatz im Nahen Osten bereitgehalten hat: Das war nur möglich, weil die Division Schnelle Kräfte eben vollausgestattet ist! Diese Vollausstattung haben wir mit dem NATO Force Model in gehörigem Umfang auch der NATO angezeigt: Hier sind wir in der Pflicht, in Europa mit gutem Beispiel voranzugehen und in Richtung unserer Alliierten nicht nur ein Zeichen der Rückversicherung, sondern auch der gerechten Aufgabenteilung zu senden. Mit Blick auf mögliche Entwicklungen in den USA kann dies gleich doppelt wichtig werden.

Mit Blick auf unsere Bundeswehr und zukünftige Einsatzszenare sehe ich vor dem Hintergrund der veränderten Lage unsere Landstreitkräfte zukünftig im Schwerpunkt mit dem Auftrag Landes- und Bündnisverteidigung betraut, wohingegen Einsätze von Luftwaffe und Marine im multinationalen Verbund im Deutschen Interesse auch weltweit vorstellbar sind, zum Beispiel zum Schutz internationaler Handelswege.

Die Bedrohungen und Herausforderungen sind bereits jetzt real! Die Vollausstattung muss es daher auch so zeitnah wie möglich werden.

Klar bleibt: Als Unionsfraktion werden wir uns auch weiterhin wo immer möglich für unsere Soldatinnen und Soldaten einsetzen und ihnen die zur Auftragserfüllung erforderlichen Mittel bereitstellen. Das sind wir Ihnen schuldig!

Dietmar Bartsch, Die Linke

Im kommenden Jahr stehen der Bundeswehr rund 80 Milliarden Euro zur Verfügung. Eine gigantische, eine bislang unbekannte Größenordnung – im Übrigen rein politisch definiert. Während anderweitig gekürzt und geknausert wird, etwa beim Kampf gegen Kinderarmut oder bei Zukunftsinvestitionen, stehen dem Verteidigungsminister Rekordmittel zur Verfügung. Ohne Frage, auch ich will, dass die Bundeswehr ihren grundgesetzlichen Auftrag solide ausgestattet erfüllen kann. Die Mangelwirtschaft der vergangenen Jahre war auch eine Respektlosigkeit gegenüber den Soldatinnen und Soldaten sowie den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die für jede teure Fehlleistung in der Beschaffung und bei der Industrie haften mussten. Hier braucht es eine nachhaltige Trendumkehr, die sorgfältig mit dem Geld der Bürger umgeht.

Vor allem brauchen wir eine politische Trendwende. Eine zunehmend martialische Sprache, die weniger darauf abzielt, Kriege mit allen Mitteln zu verhindern oder zu beenden, sondern sie faktisch zum Katalog des Denkbaren erklärt, lehne ich ab. Die Bundesaußenministerin warnte mit Blick auf die Ukraine vor Monaten vor „Kriegsmüdigkeit“, der Verteidigungsminister referierte davon, „kriegstüchtig“ zu werden und der Generalinspekteur darüber, dass wir „vielleicht einmal einen Verteidigungskrieg führen müssen“. Diese Rhetorik dient in erster Linie dazu, die allzu starren finanziellen Vorgaben der NATO zu erfüllen und den Mittelzufluss für die kommenden Jahre zu sichern. Gleichwohl ist sie in ihrer gesellschaftlichen Wirkung mindestens kritikwürdig.

Die Zielstellung der Bundesregierung für das kommende Jahr sollte eine andere sein. Es sollte endlich versucht werden, den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine zu beenden. Nicht mit einer Verdopplung der Waffenhilfe, der kein anderes Land folgt, sondern mit einer europäisch abgestimmten Friedensinitiative. Krieg darf in Europa keinen Platz haben. Weder blutig bei unserem Nachbarn noch rhetorisch hierzulande.

Rüdiger Lucassen, AfD

Ein Jahr Boris Pistorius als Verteidigungsminister. Sein Start war ambitioniert und schwungvoll. Ein Jahr später ist Deutschland meilenweit von Pistorius‘ ausgegebenen Ziel entfernt, „die stärkste und am besten ausgestatteten Armee in der EU“ zu bekommen.

Ein zentrales Problem bleibt die materielle Einsatzbereitschaft. Pistorius forderte 10 Milliarden Euro mehr für den Verteidigungshaushalt. Er bekam 1,3 Milliarden. Das reicht nicht einmal, um die explodierenden Betriebsausgaben (+ 5 Milliarden Euro) im Einzelplan 14 zu decken. Bis heute schafft der Minister es zudem nicht, eine große Beschaffungsoffensive einzuleiten. Um ihre Haushaltslöcher zu stopfen, zweckentfremdet seine Ampel-Koalition außerdem das für Investitionen vorgesehene „Sondervermögen“. Auch die Waffenlieferungen an die Ukraine werden nun daraus finanziert. Ein skandalöser Wortbruch.

Anstatt an Kampfkraft zu gewinnen, ist die Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte heute geringer als vor der „Zeitenwende“. Im Global Firepower Index ist Deutschland 2023 auf den 25. Platz abgerutscht. Sechs europäische Staaten liegen vor uns. Unverändert sind Deutschlands Streitkräfte materiell, strukturell, personell und ideell nicht einsatzbereit.

Um das zu ändern, braucht es mutiges Handeln. Aufwuchs des Einzelplan 14 auf mindestens zwei Prozent des BIP. Wiedereinsetzung der Wehrpflicht, um den Personalbedarf der Bundeswehr zu decken und den Wehrwillen im Volk zu reaktivieren. Streichung von Art. 87b GG und Integration der Wehrverwaltung in die Truppe. Ertüchtigung der nationalen wehrtechnischen Industrie durch Direktbeauftragung und Abnahmegarantien. Und letztlich die vollständige Ausrichtung von Ausbildung und Ausrüstung am militärischen Kampf.

Deutschland braucht verteidigungsbereite Streitkräfte. Wenn es denn hilft, auch „kriegstüchtige“. Pistorius‘ Analyse ist mittlerweile Allgemeinwissen. Bei der Problemlösung ist der Verteidigungsminister hingegen in seinem ersten Jahr an den eigenen Partei- und Koalitionsfreunden gescheitert.

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