Zwei Generationen von Seefernaufklärern der US Navy auf einem Bild: Vorne links die moderne P-8A "Poseidon", dahinter die P-3C "Orion", die auch bei der deutschen Marine im Einsatz ist. Foto: U.S. Navy photo by Liz Goettee

26.09.2020
Von Fregattenkapitän Holger Schmidt

Seefernaufklärung ist unverzichtbar für moderne Marine

Seit über 100 Jahren stehen die Marineflieger im Dienst ihrer Teilstreitkraft und sind integraler Bestandteil der fahrenden Flotte. Mit diesem Selbstverständnis stehen auch die Seefernaufklärer des Marinefliegergeschwaders 3 „Graf Zeppelin“ uneingeschränkt der Marine zur Verfügung. Dabei ist die Bezeichnung „Seefernaufklärer” im Grunde genommen irreführend. Die Vielfältigkeit eines solchen Luftfahrzeuges betonend, sprechen wir bei einem Seefernaufklärungsluftfahrzeug wie im Fall der aktuellen P-3C „Orion“ von einem Maritime Patrol Aircraft (MPA).

Der Fähigkeiten eines MPA sind vielfältig

In seiner ursprünglichen Rolle als U-Boot-Jäger kann es U-Boote im Verbund oder eigenständig aufspüren, um die Seewege für eigene und verbündete Marinen wie die Schifffahrt zugänglich zu halten. Moderne MPA verfügen hierzu über eine hohe Geschwindigkeit, Reichweite und Stehzeit, um ein definiertes Einsatzgebiet entsprechender Größe schnell zu erreichen und lange abdecken zu können. Hinzu kommt eine spezialisierte Sensorik und Effektorik, um sowohl konventionelle wie auch nuklear betriebene U-Boote aufspüren und mit eigenen Wirkmitteln bekämpfen zu können. Mittlerweile sind MPA mit dieser Fähigkeit eine begehrte Ressource im Bündnis (Nato Shortfall), denn keine Nation möchte ihre Einheiten in Reichweite eines U-Boot-Torpedos einsetzen.

In seiner Rolle als Über- und Unterwasseraufklärer ist es die Aufgabe der MPA, ein Lagebild aufzubauen und dauerhaft zu halten. Dies soll erreicht werden mit moderner Sensorik, Langzeitsensoren, Vernetzung, Kooperation, Datenaustausch bis hin zu Live-Bildern. Auch hierzu leisten die Marineflieger ihren zukunftsorientierten Beitrag. Um ein großes Aufklärungsgebiet effizient zu erfassen, ist ein schnelles Ausbringen von aktiven und passiven Sonarbojen notwendig. Weder Schiffe noch Hubschrauber sind in der Lage, diese Bojenfelder in angemessener Zeit und Bojenanzahl auszubringen und parallel zu überwachen. Dies gelingt nur mit einem MPA. Im Bereich des Überwasserlagebildes fusioniert ein modernes MPA Radardaten und Aufnahmen aus dem Elektrooptischen-Infrarotsensor (EO/IR). Diese Daten können an eigene Kräfte oder Bündnispartner weitergegeben werden, sofern keine eigenständige Wirkung im Ziel erfolgen soll.

Aufgrund hoher Reichweite und Nutzlast kann ein MPA jedoch nicht nur lediglich als Übermittler von Zieldaten dienen, sondern zudem auch als autonomer Träger von Wirkmitteln gegen Ziele über und unter Wasser eingesetzt werden. Darüber hinaus können weitere Rollen übernommen werden, wie zum Beispiel die Unterstützung sowie das Absetzen von Spezialkräften. Das beständige Üben im nationalen und internationalen Rahmen garantiert die Kompatibilität der Einsatzgrundsätze und angewandten Verfahren.

Mit diesen Fähigkeiten und Vorteilen bietet das MPA der Politik unter anderem für Operationen mit Aufklärungsschwerpunkt eine leicht konsensfähige Möglichkeit des Handelns mit situationsabhängigem Eskalationspotential. Die P-3C der Marine ist heute der einzige maritime Fähigkeitsträger der Bundeswehr, der diese Fähigkeiten erfüllt. Mit diesem Luftfahrzeug deckt Deutschland seit Jahren hochpriorisierte Fähigkeitsbeiträge für Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen der Nato und der EU ab. Es ist das am häufigsten in nationalen wie internationalen Einsätzen, Manövern und Übungen gebundene Luftfahrzeug der Marineflieger.

Modernisierungsvorhaben der P-3C „Orion“ wurde vorzeitig beendet

Aber auch im Fall der P-3C „Orion“ befinden sich die Marineflieger im Umbruch und stehen vor der Herausforderung, das Waffensystem bis 2025 auszutauschen. Aufgrund ungenügender materieller Einsatzbereitschaft, nicht zu kalkulierendem Finanzbedarf sowie auf Basis einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung hat das BMVg entschieden, das bereits angelaufene Modernisierungsvorhaben P-3C „Orion“ vorzeitig zu beenden. Der Fähigkeitserhalt „Seefernaufklärung“ steht jedoch keineswegs infrage. Lediglich über das „Wie” oder besser „Womit” ist zeitnah zu entscheiden. Marktsichtung und entsprechende Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen laufen, um eine tragfähige Lösung ab 2025 ohne Fähigkeitslücke zu finden und zu realisieren. Diese Übergangslösung soll mindestens so lange in Betrieb gehalten werden, bis das deutsch-französische Rüstungsprojekt MAWS eine marktverfügbare Lösung eines Maritime Airborne Warfare Systems auf Basis einer europäischen Plattform ab etwa 2035 zur Verfügung stellt.

Aufgrund der zeitnahen Relevanz ist für die Marineflieger zunächst die Betrachtung des Transitionsmusters höchst prioritär. In der Betrachtung sind verschiedene Plattformen mit unterschiedlichem Sensor- und Effektoren-Mix. Während kleinere marktverfügbare Plattformen zu erheblichen Einbußen in den dargelegten Fähigkeiten führen würden und die Grundforderungen an ein deutsches MPA nicht erfüllen können, erscheint aus Sicht der Marineflieger allein die P-8A von Boeing die einzige marktverfügbare Transitionsplattform zu sein, die in den gegebenen Zeitlinien zu beschaffen und mit der die Fähigkeit „Seefernaufklärung und U-Boot-Jagd“ im geforderten Spektrum zu erhalten ist. Auch hier bringt sich das Marinefliegerkommando als Fähigkeitskommando der „Seekriegführung aus der Luft“ mit seiner Expertise ein.

Die Fortführung der Missionen der letzten Jahre, wie zum Beispiel Atalanta am Horn von Afrika, Assurance Measures im Baltikum sowie der Nato-Verpflichtungen setzt die Vorzüge eines großen MPA in Bezug auf Geschwindigkeit, Stehzeit, Sensormix, Fernmeldeverbindung und schnelle Verlegbarkeit voraus. Vor allem aber die Bereitstellung anpassungsfähiger Handlungsoptionen ist die Stärke der MPA auch im militärpolitischen Raum, womit sie neben den maritimen Kernfähigkeiten auch streitkräftegemeinsame und ressortübergreifende Szenarien – auch über Land – bedienen kann. Im Falle der P-8A würde dies auch im Kollektiv mit anderen europäischen Nationen erfolgen können, als Beitrag der EU-Verteidigung im Nato-Rahmen.

Für die Marineflieger gilt es nun, zum einen den erfolgreichen operativen Betrieb mit dem MPA P-3C „Orion” in jeglichen Operationen bis 2025 einschließlich der hierfür notwendigen personellen Regeneration fortzuführen. Zum anderen ist es an der Zeit, sich auf die Herausforderungen einer anderen Plattform im Bereich Personal, Material und Infrastruktur zunächst in Gedankenmodellen einzustellen. Die zu treffende Entscheidung über die Plattform des Transitionsmusters ist dann für die Detailplanung und Realisierung ausschlaggebend.

Unter der Betrachtung der maritimen Kernfähigkeit zum weiträumigen Unterwasser- und Überwasserseekrieg sowie weiträumige Seefernaufklärung bleibt somit unbestritten, dass hoch einsatzbereite Seefernaufklärer mit ihrer Bandbreite an Fähigkeiten für die Auftragserfüllung einer modernen Deutschen Marine unverzichtbar sind.

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