Rechtsextremismus in der Bundeswehr: Eine aktuelle Analyse
In den vergangenen Wochen und Monaten häufen sich Meldungen über Rechtsextremismus in der Bundeswehr, speziell im KSK (Kommando Spezialkräfte). So sprach der Präsident des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Christof Gramm, Ende Juni bei einer öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die deutschen Nachrichtendienste von einer „neuen Dimension des Problems Rechtsextremismus in der Bundeswehr“. Die Verdachtsfälle von Rechtsextremisten und „Reichsbürgern“ in der Bundeswehr seien in den letzten Monaten auf mehr als 600 angestiegen. „Wir schauen genauer hin auf Extremisten und auch auf Personen mit fehlender Verfassungstreue. Dabei werden wir fündig“, erklärte der Präsident des MAD.
Weiter erklärte Gramm gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium für deutsche Nachrichtendienste, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr eine Berufspflicht zur Verfassungstreue hätten: „Wer den Staat unseres Grundgesetzes negiert, wer in einem extrem zugespitzten Freund-Feind-Denken lebt, wer sich rassistisch, fremdenfeindlich oder antisemitisch äußert, kann und darf keine Heimat in der Bundeswehr finden.“
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ meldete Anfang Juli 2020, dass die Bundeswehr nach Sicherheitsüberprüfungen in den letzten Monaten mehr als 800 Reservisten wegen Extremismusverdachts von Reservedienstleistungen ausgeschlossen habe. Ende Juni berichtete die Zeitschrift „Der Spiegel“ darüber, dass der MAD bei einem rechtsextremistischen Reservisten der Bundeswehr eine Politikerliste mit Handynummern und Privatadressen gefunden habe und umgehend ein Uniformtrage- und Dienstverbot verhängt worden sei. Nach mehreren Hinweisen auf Rechtsextremisten unter Reservisten der Bundeswehr hatten der MAD und das Bundesamt für Verfassungsschutz 2019 eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegründet, in der seither mehr als tausend Fälle von möglicherweise rechtsextremistischen Soldaten untersucht wurden.
Aktuelle Reaktionen der Verteidigungsministerin und der Wehrbeauftragten
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte im ARD-Sommerinterview, dass sie sich mit aller Kraft und Konsequenz gegen Rechtsextremisten innerhalb der Bundeswehr einsetzen werde. Wenn die Soldatinnen und Soldaten, die für eine wehrhafte Demokratie ständen und einen Amtseid für die Verfassung abgelegt hätten, „gegen diese Verfassung kämpfen, erkennbar rechtsextremistisch sind, dann gefährdet das die Stabilität der gesamten Demokratie“, so die Verteidigungsministerin. Deswegen bezeichnete diese das Vorgehen gegen rechtsextremistische Tendenzen in der Bundeswehr als „unser aller Aufgabe“ und „meine ganz besonders“. Weiter führte die Ministerin aus, dass man es der überwiegenden Mehrheit der Soldaten, die sich verfassungstreu verhielten, gegenüber schuldig sei, „dass all diejenigen, die das nicht tun, in der Bundeswehr erkannt und aus ihr entfernt werden“. Zeitgleich müssten die Rahmenbedingungen, die ein solches Verhalten begünstigen, abgestellt werden. Dieser Aufgabe stelle sich das Bundesministerium der Verteidigung, sagte die Ministerin. In diesem Zusammenhang forderte die neue Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, dass „es keinen Generalverdacht auf Rechtsextremismus in der Bundeswehr“ geben dürfe.
Rechtsextremismus im KSK
Die Problematik „Rechtsextremismus im KSK“ ist nicht neu, hat aber in diesem Frühjahr eine neue Qualität und Quantität angenommen. Nach einem Hinweis, der beim MAD Anfang des Jahres einging, durchsuchten polizeiliche Ermittler des Landeskriminalamtes Sachsen das Privathaus und den Garten eines Kommandosoldaten und fanden dort eine große Anzahl von Munition – berichtet wurde von zehntausenden Schuss Munition und etlichen Kilo Sprengstoff – sowie Waffen. Der Oberstabsfeldwebel wurde noch in der Kaserne festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Dresden ist der Kommandosoldat dringend tatverdächtig, gegen Waffen- und Sprengstoffgesetze sowie das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen zu haben. In dem Waffenversteck waren auch ein Schalldämpfer, Zündschnüre für den Sprengstoff sowie NS-Literatur. Mit diesem Vorfall, sagte die Verteidigungsministerin später, sei endgültig eine „neue Dimension“ von Rechtsextremismus im KSK erreicht worden. Ebenfalls im Mai schrieb der Kommandeur des KSK, Brigadegeneral Markus Kreitmayr, einen offenen Brief an seine Soldaten, in dem er Rechtsextremismus anprangerte und Soldaten mit solchem Gedankengut aufforderte, das KSK zu verlassen.
Der Präsident des MAD erläuterte Ende Juni im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Nachrichtendienste, dass beim KSK bei rund zwanzig Soldaten in Bezug auf Rechtsextremismus ermittelt werde. Es sei in den letzten Wochen gelungen, dort nach und nach mehr Licht ins Dunkel zu bringen. So habe der MAD im KSK „keine rechtsextremistische Untergrundarmee entdeckt“. Nach Angaben des Präsidenten des MAD gebe es im KSK „einen ausgeprägten Korpsgeist“ und eine „Mauer des Schweigens“. Allerdings gelinge es dem MAD, bei dieser Mauer „Risse zu erzeugen“. In Bezug auf das KSK bearbeitet der MAD aktuell rund 20 Verdachtsfälle im Bereich Rechtsextremismus, Anfang 2019 sei dies noch etwa die Hälfte gewesen, so MAD-Präsident Gramm. Damit sei die Zahl der Verdachtsfälle Rechtsextremismus beim KSK – im Verhältnis zur Personalstärke von rund 1400 – etwa fünf Mal so hoch wie beim Rest der Bundeswehr. Nach Angaben von Gramm habe der MAD im KSK „Extremisten und Personen mit fehlender Verfassungstreue erkannt, die sich teilweise auch untereinander kennen. Was wir aber nicht festgestellt haben, ist eine entschlossene ziel- und zweckgerichtete, vielleicht sogar gewaltbereite Gruppe, die unseren Staat beseitigen will.“
Gegenmaßnahmen der Verteidigungsministerin
Anfang Juli stellte die Verteidigungsministerin die Ergebnisse einer ministeriellen Arbeitsgruppe vor: Das KSK wird auf deren Initiative hin tiefgreifend reformiert, die zweite Kompanie wird gänzlich aufgelöst. In dem Bericht der Arbeitsgruppe heißt es, Teile des KSK hätten sich über die Jahre hin verselbstständigt. Es gebe den Anschein, dass sich „eine Kultur und ein Nährboden für extremistische Tendenzen“ entwickelt hätten. Um diese Entwicklung zu stoppen, müssten verkrustete Strukturen im KSK aufgebrochen werden, so die Schlussfolgerung. Das BMVg löst als Antwort auf die aktuellen Fälle von Rechtsextremismus im KSK die zweite Kompanie auf und die Aufsichten über das KSK sollen künftig „anders geführt werden“, so Kramp-Karrenbauer. „Wir werden den gesamten Bereich der Ausbildung neu organisieren“, erklärte sie und betonte, dass auch andere Teile der Bundeswehr von Überprüfungen und Neustrukturierungen betroffen seien: „Ich will noch mal sagen, es ist nicht nur die Frage des KSK“, sagte die Ministerin.
Fazit
Damit in Zukunft Rechtsextremisten schneller aus der Truppe entfernt werden können, wird es einen neuen Tatbestand in der Personalführung geben, so der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhardt Zorn. Der CDU-Verteidigungspolitiker Henning Otte bezeichnete die rechtsextremistischen Vorfälle beim KSK als beunruhigend, sieht nach eigenen Angaben aber keinen Grund, das KSK unter Generalverdacht zu stellen. Weiter führte Otte im Deutschlandfunk aus, dass sich zeige, dass das Problembewusstsein für Rechtsextremismus im KSK gewachsen sei und die Aufklärung funktioniere. Auch die Wehrbeauftragte Högl (SPD) begrüßte die von der Verteidigungsministerin geplante Strukturreform für das KSK. Högl sagte, die Vorschläge seien richtig und konsequent, man müsse aber abwarten, wie die Maßnahmen wirkten. Das Agieren des Kommandeurs des KSK, der in einem offenen Brief Verfassungstreue angemahnt hatte, und Soldaten, „die mit dem rechten Spektrum sympathisieren“, zum Austritt aus der Bundeswehr aufgefordert hatte, sei „vorbildlich und gelebte innere Führung“, befand Högl.
Abschließend ist festzustellen, dass Rechtsextremismus in der Bundeswehr die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet und sowohl das BMVg als auch die zuständigen Stellen der Bundeswehr sofort alle notwendigen Maßnahmen ergreifen müssen, um Rechtsextremismus in der Bundeswehr zu unterbinden.
Prof. Dr. Stefan Goertz ist Professor für Sicherheitspolitik, Extremismus- und Terrorismusforschung an der Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei und Reservist der Bundeswehr. Dieser Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder.