v.l.: Alexander van den Busch, die Moderatorin Dr. Janka Oertel, Wolfgang Hellmich, Dr. Nicole Renvert, Generalleutnant Carsten Jacobson, Jens-Oliver Kaiser, André Wüstner und Lars Klingbeil. Foto: DBwV

v.l.: Alexander van den Busch, die Moderatorin Dr. Janka Oertel, Wolfgang Hellmich, Dr. Nicole Renvert, Generalleutnant Carsten Jacobson, Jens-Oliver Kaiser, André Wüstner und Lars Klingbeil. Foto: DBwV

21.01.2016
jf

Politik muss Farbe bekennen

Munster. In einer immer turbulenter werdenden Welt steht die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik vor großen Herausforderungen. Um künftige Aufgaben bewältigen zu können und die Bundeswehr entsprechend auszurichten, sind verbindliche Leitlinien erforderlich. Dem will die Politik mit dem Weißbuch 2016 Rechnung tragen. Eine Podiumsdiskussion dazu fand anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Deutschen BundeswehrVerbands im niedersächsischen Munster statt. Die örtliche Standortkameradschaft um ihren Vorsitzenden, Oberstleutnant Jens-Oliver Kaiser, gewann dafür hochrangige Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär.

Mit Wolfgang Hellmich führte ein ausgesprochener Fachmann in die Diskussion ein. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags schilderte die in den letzten Jahren veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und die daraus resultierenden, in das Weißbuch einfließenden Forderungen. Der SPD-Politiker bedauerte, dass in der deutschen Öffentlichkeit über das Vorhaben keine öffentliche Diskussion geführt wird. Ohne die Ergebnisse des Weißbuchs vorwegzunehmen, stellte Hellmich fest, dass über nationale Regelungen hinaus „eine europäische Perspektive“, beispielsweise in Sachen Rüstung, dringender denn je sei.

Der Bundesvorsitzende des DBwV, Oberstleutnant André Wüstner, erwartet vom Weißbuch „die klare Benennung nationaler Interessen und Ziele, eingebettet im Bündnis“. „Brauchen wir es wirklich?“, fragte Wüstner, um dies dann mit einem klaren „Ja“ zu beantworten. Er bewertet den Weißbuch-Prozess bisher äußerst positiv, denn mit diesem erfolgt auch eine „gewisse europäische Abstimmung“ mit Blick auf eine in Arbeit befindliche europäische Sicherheitsstrategie parallel zur Vorbereitung des Nato-Gipfels in Warschau. „Die Politik muss mit dem Weißbuch Farbe bekennen“, machte Wüstner deutlich, „denn erst daraus lassen sich die künftigen Fähigkeiten und Schwerpunkte für eine zukünftige Bundeswehr ableiten.“ Er forderte weiter, dass die Diskussion über unsere Sicherheitspolitik und das, was die Streitkräfte als eines von vielen Instrumenten des Staats dafür beitragen können, „in die Gesellschaft und die Parteien hineingetragen werden muss.“

Der Bundesvorsitzende stellte fest, dass die letzte Strukturentscheidung ohne Aufgabenkritik unter großem Zeitdruck und fast ausschließlich mit Blick auf die Sparauflagen entschieden worden sei. In der Truppe leide man aktuell unter enormen materiellen und personellen Lücken. Wenn Politik wie aktuell lediglich die Probleme der Bundeswehr beschreibe, aber andererseits dieser nicht mehr Geld für eine materielle und personelle Stärkung der Bundeswehr zur Verfügung stellen möchte, zieht das einen zunehmenden Vertrauensverlust der Menschen in der Bundeswehr nach sich. Dies dürfe nicht geschehen. „Der momentane Trend zu immer mehr Aufgaben und Aufträgen für unsere Bonsai-Bundeswehr geht nicht“, bilanzierte Wüstner, und Generalleutnant Carsten Jacobson pflichtete ihm bei. Der Kommandeur Einsatz und Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres machte deutlich, dass im Rahmen der Landesverteidigung Fähigkeiten wieder erworben werden müssen, die die Bundeswehr aufgegeben hat.

acobson führte aus, wie schwer es sei, verlorengegangene Fähigkeiten wiederzugewinnen und führte weitere Herausforderungen wie beispielsweise die Munitionsbevorratung an: „Der Themenbogen ist weit gespannt. Was wollen wir investieren, was wollen wir bereitlegen, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein? – mit diesen Worten fasste Jacobson kurz und knapp die Fragen zusammen, die vom Weißbuch beantwortet werden müssen: „Wir haben zu viel gespart, uns tief ins eigene Fleisch geschnitten, aber die Politik hat jetzt erkannt, dass da nachgesteuert werden muss.“

Dr. Nicole Renvert von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik stellte fest: „Wenn Deutschland in der Welt eine wichtige Rolle spielen will, dann braucht es dazu auch die militärischen Mittel.“ Zu den Konsequenzen von militärischen Einsätzen in Krisen- und Kriegsgebieten gehöre, so die Politikwissenschaftlerin, die Terrorgefahr: „Ein größeres internationales Engagement beutet auch eine höhere Bedrohungslage.“

Der Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil bezeichnete die personelle und finanzielle Lage der Bundeswehr als grundlegende Faktoren: „Wenn wir mehr Verantwortung tragen wollen, dann müssen diese Probleme gelöst werden.“ Die langen Entscheidungsprozesse in der Beschaffung kritisierte in diesem Zusammenhang der Beauftragte des Vorstands der Rheinmetall AG, Alexander van den Busch. Die Rüstungsindustrie treffe dabei nach seiner Ansicht nur wenig Schuld. Ein Zuhörer pflichtete ihm bei und benannte die „Schnittstelle“ zwischen Militär und die für Beschaffung zuständige Verwaltung als eine der Hauptursachen.

Die Diskussion zum Weißbuch 2016 fasste Oberstleutnant Andreas Brandes in seinem Schlusswort zusammen. Der Landesvorsitzende Nord dankte den Gästen auf dem Podium für ihre Offenheit und forderte sie auf, in ihren Anstrengungen für eine bessere personelle und materielle Ausstattung der Bundeswehr nicht nachzulassen. Brandes hofft, wie der Bundesvorsitzende, dass die politischen Entscheidungsträger im Sinne der Bevölkerung alles Notwendige für deren Sicherheit tun. Der DBwV wird dies als Interessenvertretung der Bundeswehrangehörigen auch in Zukunft im Auge haben und wie schon bisher auf Handlungsfelder und Fehlentwicklungen hinweisen.

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