Nur eines von zahlreichen Waffensystemen, das die Ukraine gerne im Kampf gegen die russische Armee einsetzen würde: Der Schützenpanzer Marder, hier während der Spezialgrundausbildung der 4. Kompanie des Panzergrenadierbataillons 371. Foto: Bundeswehr/Maximilian Schulz

21.04.2022
fke

Panzer für die Ukraine: Was will die Regierung und was kann die Bundeswehr?

Der Kanzler, der Bundeswirtschaftsminister und die Außenministerin sind sich scheinbar einig: Deutschland will die Ukraine weiterhin militärisch unterstützen. Auf die Frage, ob Berlin auch die aus Kiew gewünschten „schweren Waffen“ und Panzer liefern will, antwortete Kanzler Scholz zuletzt aber mit einem: „Ja, aber…“ Neben der Frage nach dem politischen Willen steht auch die Frage nach dem materiellen Können im Raum. Die Antworten fallen unterschiedlich aus.

Die Ukraine will und braucht schwere Waffen und Offensivwaffen, um eine Chance gegen die russische Aggression zu haben. Aber woher soll sie die kurzfristig nehmen? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war zuletzt von Politikern von FDP, Grünen und Union unter Druck geraten, die Haltung der Bundesregierung zu Umfang und Art der Waffenlieferungen an die Ukraine klarzumachen. Am Dienstag dann sagte Scholz, er habe die deutsche Rüstungsindustrie um eine Liste der Güter und Waffen gebeten, die sie kurzfristig liefern könne. Die Bundesregierung habe der Regierung in Kiew eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt, mit der dann die laut Liste verfügbaren Rüstungsgüter finanziert werden können. Auch „das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann“, sei dabei, so Scholz. Genauere Angaben machte er jedoch nicht.

Der BILD liegt sowohl die Wunschliste aus der Ukraine als auch die Liste der „Unterstützungsmöglichkeiten Industrie – Konsolidiert“ der Bundesregierung vor. Der Vergleich zeigt: Ganz so bereitwillig wie es Kanzler Scholz vermitteln will, lässt das Bundeskanzleramt die Ukraine offenbar nicht bei der deutschen Industrie einkaufen. Der ukrainische Botschafter Melnyk hatte der Bundesregierung bereits vorgeworfen, dass viele der Waffen, die sein Land gefordert hatte, gar nicht auf der Liste auftauchten. Dazu gehören Panzer der Typen „Leopard“, „Puma“- und „Marder“-Schützenpanzer und gepanzerte Truppentransporter „Boxer“ und „Fuchs“. Das ukrainische Militär hatte offenbar auch auf Mehrfachraketenwerfern und Anti-Schiff-Raketen sowie Panzer-Abwehr-Raketen vom Typ „Milan“ und „Spike“ gehofft. Die Mehrzahl dieser Waffen hätte die Industrie laut BILD-Angaben wohl liefern wollen, das Kanzleramt habe dann aber fast alle gestrichen.

Auf der Liste der Militärgüter, die die Ukraine kaufen kann, stehen zunächst einmal Fahrzeuge. Gemeint sind aufgewertete Geländewagen, gepanzerte Lkw, gesicherte Busse sowie fast 100 schwere Sattelschlepper vom Typ HX81 zum schnellen Transport ukrainischer Panzer. Dazu kommt, persönliche Ausrüstung, Aufklärungstechnik, Munition, Logistik, Waffen und Handwaffen. Dabei sind auch Hightech-Radars sowie ferngesteuerte Waffenstationen zur Montage auf ukrainischen Panzerfahrzeugen. Die Angaben sind – wohl aus Sicherheitsgründen – allgemein gehalten.

Was der Grund für die Streichungen ist, ist bisher unklar. Denkbar ist, dass die Regierung mit Blick nach Moskau weiterhin unbedingt den Eindruck vermeiden möchte, Deutschland liefere schwere Waffen an die Ukraine – und könnte damit als Kriegspartei wahrgenommen werden. Ebenso möglich: Man will die Ukraine nicht genau das militärische Großgerät kaufen lassen, das die Bundeswehr selbst beschaffen will oder bereits bestellt hat – und bei dessen Auslieferung durch die Rüstungsindustrie es immer wieder Verzögerungen gab. Denkbar ist auch, dass es in der SPD oder der Ampel Stimmen gibt, die einer Lieferung von Panzern im Weg stehen und die Streichungen das Ergebnis eines politischen Kompromisses sind.

Kann die Bundeswehr noch mehr liefern?

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verwies auf Einschätzungen aus dem Verteidigungsministerium, nach denen die Bundeswehr aus eigenen Beständen nicht mehr Waffen an die Ukraine liefern könne. Es sei demzufolge sinnvoll „quasi Ringtausche zu organisieren“ und die Ukraine so militärisch weiter zu ertüchtigen. Ähnlich äußerte sich gestern Außenministerin Baerbock (Grüne), derzeit im Baltikum, um den dortigen Partnern die deutsche Solidarität zuzusichern. Für Deutschland sei zwar die Lieferung gepanzerter Fahrzeuge absolut „kein Tabu“ aber da „kurzfristig bei uns nichts vorhanden ist, was wir jetzt wirklich schnell und unverzüglich liefern können“ seien die Ringtausche die aktuell einzige Lösung. Der angekündigte Ringtausch werde laut Christine Lambrecht (SPD) mit Partnern aus EU und NATO organisiert. Nach Angaben der Deutschen Presseagentur heißt das konkret, dass Slowenien eine „größere Stückzahl“ seiner T-72-Kampfpanzer an die Ukraine abgeben wird. Der Ringtausch könne „in den nächsten Tagen“ beginnen, so Ministerin Lambrecht. Die slowenischen Bestände werden dann aus Deutschland mit Schützenpanzern „Marder“ sowie Radpanzern „Fuchs“ wieder aufgefüllt.

Die Verteidigungsministerin erklärte heute früh im ntv-Interview: „Die Bundeswehr ist in einer Situation, in der sie leider keine Waffen abgeben kann, wenn ich die Landes- und Bündnisverteidigung weiter gewährleisten will. Und das will ich und das werde ich auch.“

Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Generalleutnant Markus Laubenthal, im ZDF-Interview bereits gestern. Durch Verpflichtungen im Rahmen der Schnellen Eingreifkräfte der NATO seien „genau die Fähigkeiten, die hier in Rede stehen, unsere Kampfpanzer und unsere Schützenpanzer und vor allem die Artillerie“ gebunden. Auch sei es keinesfalls möglich, wie vom ukrainischen Botschafter Melnyk gefordert, eine gewisse Anzahl von Schützenpanzern des Typs „Marder“ an die Ukraine zu liefern. Zum einen seien die von Melnyk erwähnten 100 Exemplare nicht einfach übrig, sondern perspektivisch für Übungen gebunden, um potenzielle Nachfolgekräfte für die Schnelle Eingreiftruppe auszubilden. Zum anderen könne man das System nicht einfach so zur sofortigen Nutzung übergeben, da die Besatzung erst ausgebildet werden müsse und Versorgung mit Munition und Wartung nicht von den ukrainischen Streitkräften gewährleistet werden könne.

Es gibt allerdings auch Zweifel an dem aus Ampel-Kreisen mehrheitlich zu hörenden Narrativ, die Bundeswehr könne nach den bereits erfolgten Lieferungen von Panzerfäusten, Luftabwehrraketen und Maschinengewehre nun keine Panzer entbehren.

Carlo Masala, Militärexperte und Professor an der Universität der Bundeswehr in München, betonte im ZDF Morgenmagazin, dass das ukrainische Militär eine ganze Reihe an Rüstungsgütern brauche: Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie, Feldartillerie, Panzerhaubitzen, Flugzeuge Kommunikationsgeräte und Nachtsichtgeräte. Angesprochen auf die besagten 100 „Marder“ erklärte er, es sei „sicherlich nicht möglich, den Marder in großer Zahl zu liefern, aber das heißt nicht, dass jeder Marder gebunden ist.“ Aus der sogenannten „Umlaufreserve“ könnten sicherlich einige an die Ukraine geliefert werden. Eine erforderliche Ausbildung zur Nutzung des Waffensystems könne man „auch verkürzen“ und „wenn die Verteidigung des Bündnisses an 15 Mardern hängt, dann ist es um die Verteidigung des Bündnisses nicht gut bestellt.“ Er halte dieses Argument für „vorgeschoben“. Auch könne er nicht nachvollziehen, dass die Bundesregierung einerseits darüber nachdenke, italienische Panzerlieferungen an die Ukraine durch deutsche Nachlieferungen aus dem Bestand der Bundeswehr auszugleichen – wenn es doch heiße, dass die Bundeswehr keine Kapazitäten mehr habe.

FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff stimmte Ministerin Lambrecht zwar zu, dass es wichtig und richtig sei die Bestände der Bundeswehr im Blick zu haben. Er vermutete im ntv-Interview aber auch, dass es „an der einen oder anderen“ Stelle durchaus noch Waffen gäbe, die man an die Ukraine abgeben könne. Ob er damit auch Panzer meint, blieb offen. Lambsdorff brachte aber die „leistungsfähige Rüstungsindustrie“ ins Spiel, „die zum Teil Gerät auf dem Hof stehen“ habe wie etwa „Bergepanzer, Brückenpanzer, Schützenpanzer mit und ohne Bewaffnung“ die man an die Ukraine liefern könnte – auch, weil Robert Habecks Ressort die Ausfuhrgenehmigungen zugesagt habe.

Aus ukrainischen Regierungskreisen werden die deutschen Militärhilfen bisher folgendermaßen beziffert: Gut 2500 Luftabwehrraketen, 900 Panzerfäuste mit 3000 Schuss Munition, 100 Maschinengewehre und 15 Bunkerfäuste mit 50 Raketen habe man erhalten. Hinzu kommen 100 000 Handgranaten, 2000 Minen, rund 5300 Sprengladungen sowie mehr als 16 Millionen Schuss Munition verschiedener Kaliber für Handfeuerwaffen vom Sturmgewehr bis zum schweren Maschinengewehr.

Was liefern die anderen?

Neben der Bundesrepublik unterstützt auch die EU und einzelne EU-Staaten sowie die USA das ukrainische Militär.

Ende Februar und Anfang April hatte die EU der Ukraine bereits 500 Millionen Euro für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte zur Verfügung stellen. Der Rat der EU-Mitgliedsstaaten kündigte gestern in Brüssel an, noch einmal 500 Millionen zur Verfügung zu stellen. Mit den Geldern sollen laut der Mitteilung persönliche Schutzausrüstung, Erste-Hilfe-Kästen und Treibstoff, aber auch Waffen zu Verteidigungszwecken finanziert werden.

Das Geld für die Militärhilfe kommt aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität. Sie ist ein neues Finanzierungsinstrument der EU, das auch genutzt werden kann, um die Fähigkeiten von Streitkräften in Partnerländern zu stärken. Für den Zeitraum von 2021 bis 2027 ist die Friedensfazilität mit rund fünf Milliarden Euro ausgestattet. Deutschland finanziert nach Angaben von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht rund ein Viertel der EU-Unterstützung.

Die Niederlande wollen laut ntv-Bericht außerdem die Panzerhaubitze 2000 liefern. Verteidigungsministerin Lambrecht bestätigte, dass Deutschland ukrainische Soldaten an der Panzerhaubitze ausbilden werde.

Die USA haben die Ukraine seit Beginn der russischen Invasion mit Waffen im Wert von über 2,5 Milliarden US-Dollar ausgestattet. Die Lieferungen beinhalteten laut Redaktionsnetzwerk Deutschland: Elf Hubschrauber russischer Bauart vom Typ Mi-17, 200 gepanzerte Mannschaftstransporter vom Typ M113, 100 gepanzerte Allzweckfahrzeuge vom Typ Humvee, 18 Feldhaubitzen vom Typ 155mm mit 40.000 Artilleriegeschossen sowie Schutzausrüstung für chemische, biologische und nukleare Vorfälle. Hinzu kamen zehn Radarsysteme zu Artillerieaufklärung, zwei Systeme zur Luftaufklärung, 300 unbemannte Drohnen vom Typ Switchblade, 500 Panzerabwehrlenkwaffen vom Typ Javelin sowie „tausende“ weitere panzerbrechende Waffen. Außerdem hat Washington Sprengstoff vom Typ C-4, autonome Schiffe zur Küstenverteidigung und 30.000 Kombinationen aus schusssicheren Westen und Helmen geliefert.

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