„Operation Tür“: Bergung in den frühen Morgenstunden
In einer gefährlichen Mission werden im September 2011 zwei „Dingo“-Türen aus der Ortschaft Isa Khel geborgen. Sie befanden sich dort seit dem Karfreitagsgefecht 2010 und zeugen von jenem blutigen Tag.
Der 9. September ist ein Tag, der vielen von uns noch lange in Erinnerung bleiben wird. Auch für viele Afghanen hat er eine besondere Bedeutung: Es ist der nationale Gedenktag zu Ehren von Ahmad Schah Massoud. Der Kampf gegen die Sowjetarmee ließ den Tadschiken Anfang der 1990er Jahre zu einer Legende werden und als Anführer der Mudschaheddin-Kämpfer wurde er später zur Symbolfigur des Widerstandes gegen die Taliban. Am 9. September 2001 starb Massoud durch die Bombe zweier als Journalisten getarnter Selbstmordattentäter. Kurz danach wurde er durch den afghanischen Präsidenten offiziell zum Nationalhelden erklärt.
Exakt zehn Jahre später brummen in der nordafghanischen Kundus-Provinz die Motoren von deutschen Schützenpanzern und Gefechtsfahrzeugen. Seit einer knappen Dekade ist auch die Bundeswehr in den Krieg am Hindukusch involviert. Über die Jahre hatte sich die ISAF-Mission von einem humanitär orientierten Stabilisierungseinsatz zu einem Kampfeinsatz entwickelt und forderte unter Bundeswehrangehörigen und alliierten Verbündeten seine Opfer. Im Jahr 2010 hatte der damalige Generalmajor Hans-Werner Fritz die deutschen Ausbildungs- und Schutzbataillone in Dienst gestellt – zwei voll ausgestattete Gefechtsverbände, die als Task Forces Kundus und Masar-e-Sharif an vorderster Front operierten. Spätestens damit wurde auch auf taktischer Ebene endgültig der veränderten Bedrohungslage Rechnung getragen.
Wir waren Teil der Task Force Kundus III und begannen in den frühen Morgenstunden des 9. September 2011 mit der „Operation Tür” im Unruhedistrikt Chahar Darreh. Absicht war es, zwei „Dingo“-Türen aus der Ortschaft Isa Khel zu bergen, die sich dort seit dem Karfreitagsgefecht 2010 befanden. Sie zeugten von jenem blutigen Tag, an dem drei deutsche Soldaten in schweren Kämpfen ihr Leben ließen und etliche weitere verwundet wurden. Neben dem Kundus-Bombardement im September 2009 gilt der Karfreitag 2010 als tiefe Zäsur und Wendepunkt für die öffentliche Wahrnehmung des deutschen Einsatzes.
Nun befindet sich der verstärkte Infanteriezug Bravo mit auf- und abgesessenen Kräften am Ort des damaligen Geschehens. Trotz der frühen Uhrzeit hat das Thermometer bereits die 40-Grad-Marke durchbrochen und die Soldatinnen und Soldaten bahnen sich schwer bepackt ihren Weg in die Ortschaft. Pioniere und Kampfmittelspezialisten detektieren den Boden nach Sprengfallen und die gepanzerten Fahrzeuge schieben sich in ihrem Schutz allmählich an den Flusslauf, in dem Infanteristen der Kompanie die Türen vor einigen Wochen entdeckt hatten. Die abgesessenen Kräfte führen Gespräche mit Einheimischen und sichern den Vormarsch der Gefechtsfahrzeuge in alle Richtungen.
Kurz nach der schweißtreibenden Bergung der mehreren hundert Kilogramm schweren Türen – gegen 10.30 Uhr – erreicht die Kompanie die Information, dass sich auf dem Hochplateau Westplatte nahe der Ortschaft Nawabad ein IED-Strike auf einen Spähtrupp der Aufklärungskompanie ereignet hat, bei dem deutsche Soldaten verwundet wurden. Die Operation in Isa Khel wurde sofort abgebrochen und nach einem Koordinierungshalt an der Höhe 432, bei dem wichtige Unterstützungskräfte in den bereits aufgefahrenen Panzergrenadierzug Charlie eingegliedert wurden, verlegten die alarmierten Kräfte mit voller Geschwindigkeit zum fast zehn Kilometer entfernten Anschlagsort. Der vorausfahrende Schützenpanzer „Marder“ überhitzte und fiel an einer Engstelle kurz vor Erreichen des Zuganges zur Westplatte aus. Der folgende „Marder“ schob ihn, auch auf die Gefahr einer Beschädigung der Kühlanlage hin, von der Straße und der Marsch konnte zügig fortgesetzt werden. Während unseres Anmarsches wurden wir durch amerikanische „Black Hawk“-Helikopter begleitet, die bereits einen knappen Kilometer vor unserem Erreichen der Anschlagsstelle zur Landung ansetzten und einen Verwundeten aufnahmen. Unter Inkaufnahme eines hohen persönlichen Risikos sind sie damit, wie so oft, in einer „heißen Zone“ gelandet und haben dadurch eine schnelle ärztliche Versorgung gewährleisten können.
Nach der Rundumsicherung des Anschlagsortes mit den Schützenpanzern erfolgte eine Absuche durch unsere Kampfmittelbeseitiger, um die Gefahr von Second-IEDs zu minimieren. Die aus dem Feldlager Kundus gerufenen Bergekräfte luden das zerstörte Aufklärungsfahrzeug auf einen Schwerlasttransporter und wichen anschließend unter unserer Überwachung aus. Entgegen der ursprünglichen Operationsplanung für die Kompanie ist der Infanteriezug Bravo anschließend in eine Nachtaufstellung auf der Westplatte übergegangen und hat bei eingeschränkter Sicht leichte Spähtrupps an den Ortsrand Nawabads durchgeführt, um dem Gegner nicht das Gefühl eines Triumphes zu vermitteln.
In derselben Nacht schlug in unmittelbarer Nähe des Feldlagers Kundus eine BM1-Rakete ein, die aus dem nordöstlichen Teil Isa Khels abgefeuert wurde. Eine am 11. September 2011 zusammen mit afghanischen Sicherheitskräften durchgeführte Post-Blast-Analyse im Ort blieb allerdings ohne Ergebnis. Noch am selben Abend wurde erneut eine Rakete in Richtung des Feldlagers abgefeuert. In der Folge setzten die 2. und 3. Kompanie im Wechsel Scharfschützentrupps in Begleitung von Infanteriekräften ein, die Beobachtungsstellungen auf Isa Khel bezogen. Diese blieben zwar ohne besondere Aufklärungsergebnisse, verhinderten aber zumindest vorübergehend den Abschuss weiterer Raketen auf das Feldlager.
Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert war von Juni 2011 bis Januar 2012 Kompaniechef und Oberstabsfeldwebel Andy Neumann Zugführer in der Task Force Kundus in Afghanistan.