Frank-Walter Steinmeier mit „Die Bundeswehr“-Redakteurin Christine Hepner (Foto: Nadine Boldt)

Frank-Walter Steinmeier mit „Die Bundeswehr“-Redakteurin Christine Hepner (Foto: Nadine Boldt)

27.01.2016

„Oft wird unterschätzt, wie vielfältig der Instrumentenkasten der Außenpolitik ist“

Der Außenminister im Interview: Frank-Walter Steinmeier über mehr Verantwortung in Europa, die vielen Krisenherde in der Nachbarschaft und eine mögliche Beteiligung an einer Ausbildungsmission für libysche Sicherheitskräfte

Die Bundeswehr: Zu Beginn Ihrer Amtszeit sprachen Sie von der Aufgabe, den „Graben zu überwinden“ – zwischen den Anforderungen an uns von außen einerseits und dem, was unsere Gesellschaft bereit ist, international an Verantwortung zu übernehmen, andererseits. Mittlerweile belegen aktuelle Umfrageergebnisse, dass die Zustimmung der Bevölkerung für mehr internationale Verantwortung wächst. Das gilt für Diplomatie, Entwicklungshilfe und sogar für den Einsatz von Militär. Ein Ergebnis Ihrer Arbeit?

Frank-Walter Steinmeier: Mir liegt viel daran, dass in der Debatte die ganze Bandbreite dessen deutlich wird, was deutsche Außen- und Sicherheitspolitik leisten kann. Natürlich gehören Militäreinsätze dazu. Aber die Diskussion sollte sich nicht darauf beschränken. Das ist im Übrigen nicht allein ein Anliegen des Außenministers oder der Diplomaten: Auch unsere Soldatinnen und Soldaten haben ja den berechtigten Anspruch, dass ihr Einsatz immer als Teil einer größeren politischen Strategie verstanden wird. Oft wird ja unterschätzt, wie vielfältig der Instrumentenkasten der Außenpolitik ist – gerade in dem, was ich „vorsorgende Außenpolitik“ nenne: Krisenprävention, die Stärkung fragiler Staaten, Friedensmediation und Konfliktnachsorge.
Das war auch eine der Schlussfolgerungen des „Review-Prozesses“, mit der wir in der ersten Hälfte meiner Amtszeit unsere Außenpolitik auf den Prüfstand gestellt haben: In den Diskussionen mit den Bürgern wurde ganz deutlich, dass wir unser Handeln auch hierzulande besser erklären müssen. Diese Diskussion mit der deutschen Öffentlichkeit wollen wir auch in Zukunft weiter stärken.

Wie der Review-Prozess wird vermutlich auch der Weißbuchprozess den Blick auf die Sicherheitspolitik schärfen. Das dürfte Ihnen gefallen, dient es doch der Überwindung des beschriebenen „Grabens“. Wie ist das AA in den Weiß­buchprozess eingebunden?

Das Auswärtige Amt steuert im Weißbuchprozess Perspektiven und Schwerpunkte zur zukünftigen Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik bei. Dabei geht es zum einen um Krisenfrüherkennung: Wie können wir möglichst schnell und flexibel auf die nächste Krise reagieren? Ein anderes wichtiges Thema ist die Konfliktbewältigung: Welche Instrumente funktionieren in welcher Situation? Die Frage, wie aktiv wir außenpolitisch, sicherheitspolitisch und verteidigungspolitisch sein können, hängt aber nicht zuletzt auch davon ab, wie groß das Verständnis und die Zustimmung für unser Engagement im eigenen Land ist. Deshalb ist es uns auch so wichtig, die Öffentlichkeit in den Weißbuch-Prozess mit einzubeziehen.

Gelegentlich beschleicht einen das Gefühl, die Welt drehe sich immer schneller. Die Medien­gesellschaft lässt keinen Raum für Atempausen. Wie gehen Sie mit diesem Mangel an strate­gischer Geduld um?

Die Welt dreht sich immer schneller. Das gilt nicht nur für die Medien: An Atempausen ist nicht zu denken, wenn Krisen sich wie Buschbrände verbreiten. Gerade in solch turbulenten Zeiten wie jetzt brauchen wir einen inneren Kompass, dem wir vertrauen können. Mir ist vor allem wichtig, dass wir in der Außenpolitik am Grundsatz festhalten, trotz aller Unwägbarkeiten, Rückschläge und Widerstände im Dialog gerade mit schwierigen Akteuren zu bleiben. Wir müssen zudem das Wichtige vom weniger Wichtigen unterscheiden – denn wer immer mitrennt, hat am Ende keine Kraft mehr. Und schließlich ist es wichtig, bescheiden zu bleiben, seine Handlungsspielräume zu kennen und sich nie zu überschätzen.

„Wenn Außenpolitik Konjunktur hat, ist das meist kein gutes Zeichen für den Zustand der Welt“, sagen Sie gelegentlich. Die Russland-Ukraine-Krise, ein weltweit zunehmender Zerfall von Staaten, der Kampf gegen den IS – wie kann man da als Außenminister ruhig schlafen?

Wenig Schlaf gehört wohl grundsätzlich zur Jobbeschreibung eines Außenministers. Aber Sie haben Recht – manchmal gleicht die Außenpolitik einer Sisyphusarbeit. Grund zur Sorge gibt es angesichts der vielen Krisenherde in Europa und in der Nachbarschaft. Aber Aufgeben gilt nicht. Wo immer wir können, versuchen wir, zu Konfliktlösungen beizutragen. Und diese Bemühungen tragen sichtbar auch Früchte, wie beispielsweise die historische Einigung mit dem Iran. Nicht zu vergessen: Wenigstens in Europa leben wir derzeit – trotz aller Unvollkommenheit – in einem „himmlischen Frieden“ im Kant’schen Sinne, den es unbedingt zu bewahren gilt.

Die Spannungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien haben Nebenwirkungen. Beide Staaten kämpfen um die Vormachtstellung in der Region. Inwiefern behindert diese Situation den Kampf gegen den IS und den Weg zu einer befriedeten Region?

In der Tat: Das letzte, was die Region braucht, ist eine neue Konfrontation zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien. Meine Sorge ist, dass der politische Konflikt um die Vorherrschaft in der Region immer stärker religiös aufgeladen wird und so der Spielraum für politische Kompromisse geringer wird. Deshalb kommt es gerade in der Region des Nahen Ostens darauf an, Gesprächskanäle zu erhalten, nicht in Sprachlosigkeit zu verfallen und gemeinsame Interessen zu identifizieren, bei denen eine Vertrauensbildung ansetzen kann.

Sollte es durch gute Diplomatie in Libyen zu ei­ner Regierungsbildung kommen und der Bedarf für eine Ausbildungsmission für libysche Sicherheitskräfte entstehen, welchen Beitrag wäre Deutschland zu leisten bereit?

Dass es nach langen Anstrengungen gelungen ist, eine Kabinettsliste für die neue Regierung der nationalen Einheit zu vereinbaren, ist gut und ein weiterer Schritt auf einem langen Weg. Jetzt muss diese Kabinettsliste auch vom Parlament gebilligt werden. Damit wären die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass eine Regierung der nationalen Einheit auch tatsächlich von libyschem Boden aus die Arbeit aufnehmen kann. Wir haben zugesagt, dass Deutschland bereitsteht, eine neue libysche Einheitsregierung beim Wiederaufbau staatlicher Strukturen zu unterstützen. Natürlich überlegen wir bereits jetzt, was wir anbieten können. Dazu gehört sicherlich die humanitäre Hilfe, dazu gehört aber auch Unterstützung im Sicherheitssektor. Aber all das wird vor allem auch davon abhängen, welche Unterstützung sich die zukünftige libysche Einheitsregierung von uns wünscht und erbittet.

Die Nato wünscht sich Deutschland als zentralen Stabilitätsanker Europas und insgesamt mehr Lastenteilung. Wie reagieren sie während der Nato-Außenministertreffen darauf?

Wir haben bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 angekündigt, dass Deutschland mehr Verantwortung übernehmen will, und wir setzen das auch um. Deutschland – und die Europäer insgesamt – haben im Zuge der Ukrainekrise ihr Engagement ausgebaut und den europäischen Pfeiler der Nato gestärkt: Die neu aufgestellte Schnelle Eingreiftruppe wird von europäischen Staaten geführt. Deutschland zeigt großes Engagement bei den Rückversicherungs- und Anpassungsmaßnahmen in Osteuropa – zum Beispiel beim Ausbau des Multinationalen Korpshauptquartiers in Stettin, im Rahmen der Luftraumüberwachung im Baltikum, mit AWACS-Flügen und mit der Beteiligung an Stehenden Marineverbänden. Mit diesen Initiativen gehen wir in die richtige Richtung. Aber natürlich werden wir hier auch künftig auf transatlantische Zusammenarbeit setzen.

Zwischen der Nato und Russland herrscht seit der Russland-Ukraine-Krise nahezu Funkstille. Sollten die alten Gesprächsforen wiederbelebt werden?

Die letzten Monate haben uns deutlich gezeigt, wie schnell militärische Zwischenfälle ungewollt eskalieren können. Bereits im Dezember 2014 habe ich daher beim Nato-Außenministertreffen für einen Krisenkontaktmechanismus plädiert – dieses „rote Telefon“ zwischen Nato und Russland gibt es inzwischen. Beim letzten Nato-Außenministertreffen im Brüssel im Dezember 2015 habe ich mich zudem dafür stark gemacht, dass wir den Nato-Russland-Rat wiederbeleben, was auf große Zustimmung gestoßen ist und jetzt angegangen wird. Außerdem müssen wir weitere Vorschläge zur militärischen Risikovermeidung entwickeln, um zukünftige Konfrontationen zu vermeiden. Ich würde mich freuen, wenn auch die russische Seite wieder zu Gesprächen im Rahmen der Nato bereit wäre.

Mit Beginn dieses Jahres hat Deutschland den Vorsitz der OSZE übernommen. Welche Ziele haben Sie sich für diesen Vorsitz gesteckt?

Durch die Krise in der Ostukraine ist die OSZE zudem als ein Instrument des Krisenmanagements bekannt geworden und hat sich bewährt. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit wird daher die Stärkung der Überwachungsmission in der Ost­ukraine sein. Aber wir wollen darüber hinausgehen und die Fähigkeiten der OSZE in allen Phasen des Konfliktzyklus stärken: Nicht nur im Krisenmanagement selbst, sondern auch bei der Frühwarnung, Konfliktverhütung und Konfliktnachsorge. Schließlich geht es darum, die OSZE wieder stärker als Dialogforum zu nutzen. Nur so können wir auch längerfristig das in Europa verloren gegangene Vertrauen neu aufbauen und wieder zu einer stabilen Sicherheitsordnung gelangen. Bei meiner Auftaktrede haben alle anwesenden Botschafter ihre Unterstützung zur Stärkung der OSZE zugesichert. Ich hoffe, dass es nicht nur bei Worten bleibt.

Etliches aus diesem Gespräch wird während der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar erörtert werden. Was wird Ihrer Auffassung nach ein, wenn nicht DAS zentrale Thema werden?

Das Spannende an der Münchener Sicherheitskonferenz ist, dass nicht vollständig planbar ist, was die Teilnehmer am stärksten bewegt. Das veränderte, zuletzt wieder positivere Verhältnis USA–Russland wird sicherlich Gesprächsthema sein. Die beruhigte, aber bei weitem noch nicht gelöste Krise zwischen Russland und der Ukraine gehört natürlich ebenfalls auf die Agenda. Vieles wird sich aber erst aus der Konferenzdynamik ergeben. Aber ganz ohne Zweifel wird der Mittlere Osten, die neuen Spannungen im iranisch-saudischen Verhältnis und ihr Einfluss auf die Bemühungen um eine Entschärfung des Syrien-Konflikts und die besorgniserregende Ausbreitung des islamistischen Terrorismus und der Kampf gegen IS in vielen Diskussionen im Vordergrund stehen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Steinmeier.

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