„Mehr als ein Versprechen“
Auch der 3. Ortskräftekongress in Berlin befasste sich mit den in Afghanistan verbliebenen Einheimischen, die als berechtigt klassifizierte Ortskräfte noch immer auf die zugesagte Ausreise nach Deutschland warten.
Berlin. Seit drei Jahren ist die Bundeswehr nicht mehr in Afghanistan stationiert – und noch immer gibt es viel aufzuarbeiten, was den gesamten Einsatz, den überstürzten Abzug der Truppe sowie die Evakuierung betroffener Mitarbeiter und Ortskräfte angeht. Mit der Aufarbeitung dieses längsten und gefährlichsten Auslandseinsatzes der Bundeswehr befasste sich nicht nur der Bundestag, der sowohl einen Untersuchungsausschuss als auch eine Enquete-Kommission eingerichtet hat, auch diverse Menschenrechtsorganisationen und Verbände beschäftigten sich mit dem Afghanistaneinsatz und seinen Folgen.
In Berlin ist es das Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte e.V. (PAO), das nun zum dritten Mal zum Ortskräftekongress in die Friedrichsstadtkirche einlud, um gemeinsam mit der Evangelischen Akademie zu Berlin, Pro Asyl und dem Deutschen BundeswehrVerband auf ein Versprechen aufmerksam zu machen, das die deutsche Regierung bislang noch nicht vollständig einlösen konnte: nämlich die restlichen afghanischen Ortskräfte und ihre Kernfamilien nach Deutschland zu holen. Denn sie und ihre Familien leiden besonders unter dem derzeitigen Taliban-Regime, besonders Frauen und Mädchen, die nach dem jüngsten „Tugend-Gesetz“ noch nicht mal mehr sprechen dürfen im öffentlichen Raum.
Wichtig zu wissen ist dabei: Unter Ortskräfte fallen nicht nur ehemalige afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr, sondern auch alle anderen, die zwischen 2013 und 2021 einen Arbeitsvertrag mit einem deutschen Ressort hatten. Das Versprechen zu erfüllen ist daher nicht nur Aufgabe der Bundeswehr, sondern eine gesamtstaatliche Mission, in der die verschiedenen Ressorts zusammenarbeiten, um ihre ehemaligen Mitarbeiter sicher nach Deutschland zu bringen.
„Ohne die Ortskräfte seinerzeit hätte die Bundeswehr ihre Mission nicht erfüllen können“ erinnerte der Moderator und PAO-Mitglied Generalmajor a.D. Markus Kurczyk deshalb auch gleich zu Beginn der Veranstaltung die Versammelten. Auch wenn es bei der jetzigen Lage manchmal schwer sei, Kontakt zu allen Verbliebenen zu halten und sich noch nicht alle in Sicherheit befinden, sind diejenigen, die noch in Afghanistan warten, nicht vergessen und sollen auch nicht in Vergessenheit geraten. Dazu unter anderem diene auch dieser Kongress.
„War es das wert?“, fragen sich deutsche Einsatz-Soldaten
Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, stellvertretender DBwV-Bundesvorsitzender und selbst Afghanistan-Veteran, betonte wie schon im letzten Jahr, dass sich der DBwV „immer für das Schicksal der Menschen, die an der Seite unserer Bundeswehrangehörigen in Einsätzen standen, engagieren wird“. Da verspüre man im Verband eine „anhaltende moralische Verantwortung“. Generell habe gerade der Afghanistan-Einsatz auch bei vielen Bundeswehr-Soldaten zu einer Art „Sinnverlust“ geführt. „War es das wert?“ würden sie sich fragen angesichts des Ausgangs des Krieges, der Menge an traumatisierten Soldaten und all der Milliarden, die für den Aufbau einer funktionierenden Zivilgesellschaft ausgegeben wurden – quasi umsonst.
Bohnert nahm aber zufrieden zur Kenntnis, dass die Veranstaltung dieses Mal voller sei als die beiden vorangegangenen: „Da sieht man, dass das Thema noch nicht vollends an den Rand gedrängt ist“. Während einer Podiumsdiskussion mit den Parlamentariern Johannes Arlt (SPD), Jens Lehmann (CDU), Clara Bünger (Die Linke) und Julian Pahlke (Bündnis 90/Die Grünen) stimmte Bohnert auch einem viel diskutierten Argument zu, wonach in Zukunft bereits vor Auslandseinsätzen ein Verfahren etabliert werden müsse, um Situationen, wie man sie jetzt habe, zu vermeiden und allen Beteiligten Sicherheit garantieren zu können. „Ein Durchwurschteln ist dann hinfällig“, so Bohnert. Schon mit Beginn eines Auslandseinsatzes müsse jeder Beteiligte per Vertrag wissen, worauf er sich einlasse und was passieren würde bei erfolglosem Beenden oder Abbruch eines Einsatzes. Was dann mit ihm und seiner Familie passieren würde. Rechts- und Planungssicherheit also.
Bundesaufnahmeprogramm noch finanziert in 2025?
Dem stimmte auch Michael Müller (SPD) zu, ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin und Vorsitzender der Enquete-Kommission des Bundestages. Er selbst kritisierte die Hürden des Aufnahmeverfahrens: „Die Leute haben gar keine Chance, dieses Verfahren zu bestehen!“ Müller spielte dabei auf viele bürokratische Hindernisse an, die eine Einreise durch das Bundesaufnahmeprogramm erschweren. Auch müsse man fürchten, dass das Bundesaufnahmeprogramm, das im Oktober 2022 aufgelegt worden war, in 2025 überhaupt noch finanziert würde. Eine Ausreise aus Afghanistan ist und soll aber auch in Zukunft weiterhin möglich sein und wenn es über andere Wege als das Bundesaufnahmeprogramm geschehen muss.
Die Bundeswehr selbst hat seit Ende des Auslandseinsatzes Tag und Nacht dafür gesorgt, ihre ehemaligen Ortskräfte nach Deutschland zu holen – das BMVg richtete sogar eine 24/7 erreichbare Telefonhotline ein. Lediglich eine geringe Anzahl von ihnen ist noch in Afghanistan, die meisten befinden sich schon in Deutschland, einige warten noch in Pakistan auf die Einreise nach Deutschland. Zu all diesen Menschen besteht – soweit möglich – enger Kontakt. Auch der DBwV setzte sich von Beginn an für eine schnelle und unbürokratische Einreise der Ortskräfte ein, der Verantwortung, die man gegenüber diesen Menschen trage, darf und wird sich auch nicht entzogen werden, so vertrat es auch Oberstleutnant i.G. Bohnert auf dem Kongress.
Beinahe alle Teilnehmer des Kongresses waren sich darin einig, dass das Ortskräfte-Thema in Zeiten nach dem Messer-Attentat in Solingen und einer verschärften Asylpolitik nicht unter den Tisch fallen dürfe und beides sauber voneinander getrennt werden müsse. Für die Zukunft erhoffe man sich eine noch größere Aufmerksamkeit, vor allem aus der Politik und den verantwortlichen Ministerien. Dafür dürfe sich das Gespräch nicht nur auf Betroffene und zivilgesellschaftliche Organisationen begrenzen. Auch Verantwortliche aus den jeweiligen Ministerien, so auch aus dem BMVg, sollten den Weg zum Kongress finden: Denn nur wenn alle an einem Strang ziehen und miteinander ins Gespräch kommen, können alle verbliebenen schutzbedürftigen Ortskräfte auch sicher und schnell ihre Reise nach Deutschland antreten.