Marine-Inspekteur Kaack: „Wir brauchen unsere Schiffe und Flugzeuge jetzt einsatzbereit – nicht in zehn Jahren“
Rügen. Marine-Inspekteur Jan Christian Kaack (59) hat in einer Grundsatzrede zum Kurs der Marine für das Jahr 2022 zu einer kurzfristig notwendigen Stärkung der Kampfkraft und der Einsatzfähigkeit der Deutschen Marine gemahnt. Die russische Marine, so Vizeadmiral Kaack, „wird aus diesem Krieg im Wesentlichen unbeschadet hervorgehen. Darauf müssen wir – gemeinsam mit unseren Verbündeten – vorbereitet sein.“
„Wir brauchen unsere Schiffe und Flugzeuge jetzt einsatzbereit – nicht in zehn Jahren, und wir müssen jetzt die angestoßenen Projekte der letzten Jahre zu einem erfolgreichen Abschluss bringen“, sagte Kaack am Montag, 27. Juni, auf dem Tender „Rhein“ vor den Kreidefelsen der Insel Rügen vor Mitgliedern der Besatzungen des Tenders „Rhein“ sowie der Korvette „Oldenburg“.
„Wir haben unsere Reserven aufgebraucht“
In der Praxis bedeute dies für die Marine – trotz 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die gesamte Bundeswehr – prioritär die Stärkung der Bestandsflotte. Der Ersatzteilmangel sei eklatant. „Wir haben unsere Reserven aufgebraucht“, sagte der vor 100 Tagen in das Amt des Inspekteurs eingeführte Vizeadmiral. „Meine sieben Prioritäten sind: Munition, Munition, Munition, Ersatzteile, Ersatzteile, Ersatzteile – und Führungsfähigkeit“, sagte Deutschlands ranghöchster Marine-Offizier „Kein zusätzliches Schiff wird morgen auslaufen, kein zusätzlicher Hubschrauber wird morgen starten, und kein neues Unterkunftsgebäude wird morgen bezugsfertig sein.“
Konkret forderte Kaack darüber hinaus den „kurzfristigen Aufbau einer leistungsfähigen Erweiterung des Marinearsenals im Ostseebereich“. „Um es klar auszusprechen: Ohne eine substanzielle Stärkung des Marinearsenals ist ein Turnaround in der dauerhaften Einsatzfähigkeit der Marine nicht möglich. Eben diesen Wendepunkt braucht die Deutsche Marine aber so schnell wie möglich“, sagte Kaack.
„Wir drehen gerade jeden Stein um, damit wir besser und schneller werden.“
Marine-intern allein seien diese Probleme nicht lösbar. „Wir drehen gerade jeden Stein um, damit wir besser und schneller werden. Ohne externe Hilfe wird es aber nicht gehen“, betonte der Inspekteur. Als Stichworte nannte er: „Flexibilisierung der Einsätze, Einhalten von Zertifizierungsstandards als Grundlage einer verantwortbaren Entsendung unserer Männer und Frauen in Einsätze sowie die signifikante Verbesserung des Instandhaltungssystems unserer Einheiten“.
Perspektivisch nahm Jan Christian Kaack nicht nur die bereits vor der sogenannten Zeitenwende angestoßenen Projekte in den Blick: die U-Boote 212CD, neue Flottendienstboote und Seefernaufklärer vom Typ P-8 Poseidon.
Kaack regte ferner an, in eine weitere Stärkung der U-Jagd- und Strike-Fähigkeiten zu investieren. Zudem könnten „endlich“ kleine Kampfboote für das Kommando Spezialkräfte der Marine und das Seebataillon realisiert werden. „Im Bereich der Minenabwehr wie auch beim Ersatz der Tender, Hilfsschiffe und Tanker sehe ich Licht am Ende des Tunnels“, sagte der Marine-Inspekteur. „Und definitiv längst überfällig: unsere Führungsfähigkeit verbessern – von German Mission Network 2 und 4 über SAT-COM bis zur Ertüchtigung der Bordnetze.“
„Kampfkraft ist eben auch sexy!“
Inspekteur Kaack würdigte die Leistungen der Männer und Frauen der Marine seit dem 24. Februar 2022, als russische Streitkräfte die Ukraine überfielen, als zuverlässigen „Beitrag zur glaubwürdigen Abschreckung und damit zur Sicherung von Frieden in Freiheit im Bündnisgebiet“, und zwar an Land, auf See und in der Luft. Bis zu 28 Einheiten seien in kürzester Zeit in See gebracht worden. Zudem seien die Ständigen NATO-Einsatzverbände verstärkt sowie Schiffe, Boote und Flugzeuge in die östliche Ostsee verbracht worden. „Für unsere kleine Marine ist das schon eine irre Zahl“, sagte Kaack. „Und das trotz der Personal- und Materialmisere, die uns alle quält.“
Dauerhaft sei ein derart hohes Leistungsniveau unter den jetzigen Rahmenbedingungen aber nicht aufrechtzuerhalten, warnte der Marine-Inspekteur. „Diesen Kraftakt können wir nicht unbegrenzt durchhalten.“
Noch etwas mahnte der Marine-Inspekteur an: Dem „schleichenden Fähigkeitsverlust“, der partiell zu beklagen sei, müsse zügig entgegengewirkt werden. Manche junge Offiziere litten unter dieser Situation, dies schade dann der Attraktivität der Marine insgesamt. „Sie alle wollen gefordert werden und den Korpsgeist einer Kampfeinheit ausbilden und nicht nur Handelsschiffe im östlichen Mittelmeer zählen“, sagte Marine-Inspekteur Kaack. „Kampfkraft ist eben auch sexy!“
Marco Thiele: „Weiche“ Themen nicht vernachlässigen
Der Vorsitzende Marine im Deutschen BundeswehrVerband, Fregattenkapitän Marco Thiele, – ebenfalls an Bord des Tenders „Rhein“ – stimmte den Aussagen des Inspekteurs zu. Gleichzeitig mahnte Thiele an, dass „Politik die Rahmenbedingen jetzt und nicht erst morgen dafür zur Verfügung stellt! 100 Milliarden Euro sind eines, aber das Geld in die aktuellen Prozesse fließen zu lassen, lässt die Mittel buchstäblich verdampfen.“
Auch die sogenannten „weichen“ Themen wie Betreuung dürften nicht aus den Augen verloren werden, forderte der Vorsitzende Marine im DBwV. „Betreuungskommunikation im Einsatz auf den Schiffen und Booten ist fast zehn Jahre nach ministerieller Weisung immer noch nicht umgesetzt“, kritisierte Fregattenkapitän Thiele. „Andere Nationen haben das seit Anfang des Jahrtausends, wir haben so gut wie nichts. Das ist vernunftbeleidigend!“
Dabei, so Thiele, gehe es nicht nur um die Kommunikation mit der Heimat aus dem Einsatz heraus. „E-Learning“ als Stichwort sei hier ebenso zu nennen. „Man kann sich auch auf See weiterbilden, wenn denn die technischen Voraussetzungen gegeben sind“, so Thiele. Auch Unterkünfte müssten endlich vorangebracht werden. „Für Besatzungen, die ihr Schiff im künftigen Arsenalstandort Rostock abgeben, gibt es keine Wohn- und Betreuungsmöglichkeiten. Pläne habe ich dafür noch nicht gesehen,“ brachte Fregattenkapitän Thiele es auf den Punkt.
Das Redemanuskript von Vizeadmiral Jan Christian Kaack stellen wir Ihnen hier zur Verfügung. Auf der Homepage der Bundeswehr gibt es in einer Audiodatei die vollständige Rede des Inspekteurs zum Nachhören.