In vielen Konfliktgebieten kommen Kinder als Soldaten zum Einsatz - leider auch oft mit deutschen Waffen Foto: dpa

In vielen Konfliktgebieten kommen Kinder als Soldaten zum Einsatz - leider auch oft mit deutschen Waffen Foto: dpa

10.02.2017

Kindersoldaten: Der Jugend beraubt, zu Mördern gemacht

Kinder werden von bewaffneten Gruppen zu Mördern gemacht, Mädchen als Sexsklavinnen gehalten. Oft sind dabei auch Waffen aus Deutschland mit im Spiel. Der Weg zurück ins normale Leben ist steinig.

Goma. Die schlecht genähte Narbe quer über Josephs Bauch ist etwa 20 Zentimeter lang, sie sieht aus wie ein grober Reißverschluss. Der zehnjährige Kindersoldat im Kongo hatte Glück im Unglück: Er wurde während eines Gefechts von zwei Kugeln getroffen, deswegen ließen ihn seine Peiniger - eine islamistische Miliz - zum Sterben zurück. Soldaten retteten ihn. "Eine Kugel war noch in meinem Bauch. Sie musste gefunden und rausgenommen werden", erinnert sich der Junge.

Wie Joseph* stehen weltweit nach UN-Schätzungen Zehntausende Kinder im Dienst bewaffneter Gruppen, Schätzungen zufolge sind es bis zu 250.000. Betroffen sind zum Beispiel der Kongo, die Zentralafrikanische Republik, der Südsudan, Somalia sowie Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien. "Kindersoldaten sind ein Symptom gescheiterter Staaten und Gesellschaften", erklärt Oliver Müller, Leiter von Caritas international, anlässlich des Tags des Kampfes gegen den Einsatz von Kindersoldaten an diesem Sonntag (12. Februar).

Die Kinder werden zu Tätern gemacht: sie foltern Gefangene, erschießen Angreifer und vergewaltigen Dorfbewohnerinnen. Und doch sind sie vor allem Opfer: Sie werden ihrer Kindheit beraubt. Durch ihre Taten und das, was sie mit ansehen müssen, bleiben sie für den Rest ihres Lebens traumatisiert. "Sie wissen: was sie als Soldaten tun, ist unmenschlich und brutal", erklärt Ekkehard Forberg, Experte der Hilfsorganisation World Vision. "Und sie glauben, es sei ihre Schuld. Diese gefühlte Schuld werden sie nicht mehr los."

Durch Kleinwaffen sterben am meisten Menschen


Und dabei komme leider auch sehr häufig Pistolen und Gewehre aus Deutschland zum Einsatz. Kleinwaffen werden weltweit in Länder exportiert, in denen Kinder von Armeen und Rebellengruppen als Soldaten missbraucht werden, wie das Deutsche Bündnis Kindersoldaten mitteilte. In viele dieser Konfliktregionen, etwa in den Irak oder auf die Philippinen, würden deutsche Waffen und Munition exportiert. Gerade Kleinwaffen seien die tödlichsten Waffen der Welt, ihre Verbreitung nicht kontrollierbar.

Und: Weil Kleinwaffen eben auch schon von Kindern getragen und bedient werden können, sind sie bei Milizen besonders beliebt. "Kleinwaffen fordern weitaus mehr Menschenleben als alle anderen Waffensysteme - meist übersteigt die Zahl der Opfer, die sie alljährlich fordern, die der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki um ein Vielfaches. Gemessen an dem Blutbad, das sie anrichten, kann man Kleinwaffen gut und gerne als Massenvernichtungswaffen bezeichnen", sagte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan deshalb bereits im Jahr 2000.

Das Bündnis aus zehn verschiedenen Organisationen fordert deshalb, den Export von Kleinwaffen und Munition zu stoppen und ein restriktives Rüstungsexportkontrollgesetz zu schaffen. Doch das ist ein fast aussichtsloses Unterfangen, ist der Waffenexport doch ein lukratives Geschäft: Seit 2002 betrug das Volumen der Studie nach rund 800 Millionen Euro.

Joseph wurde als Siebenjähriger von seinem Onkel entführt und der islamistischen Miliz ADF-Nalu im Ost-Kongo übergeben. "Ich musste zusehen, wie sich Menschen gegenseitig getötet haben", erinnert er sich. Joseph war damals noch so klein, dass er noch nicht kämpfen musste. Doch wann immer es Kämpfe gab, musste er als Munitionsträger mit an die Front.

Kampfkunst Capoeira hilft den Aussteigern


Die Milizen im Ost-Kongo sind brutal. Wenn ein Kind zu fliehen versucht, wird es getötet. Und je mehr Verbrechen ein Kind im Namen der Miliz begangen hat, desto größer ist die Scham, die eigene Familie wiederzusehen, desto geringer das Fluchtrisiko. Die Miliz habe "allen beigebracht, mit Kalaschnikows zu schießen", erinnert sich der 16-jährige Eric. Er vergräbt den Kopf in seiner Hand: "Auch ich habe auf Menschen geschossen." Jeder habe Angst gehabt. "Wenn Du einen Befehl verweigerst, dann wirst Du erschossen."

Das Leben in einer Miliz ist für Joseph und Eric vorbei, sie befinden sich jetzt im sicheren Umfeld eines Programms für ehemelige Kindersoldaten. Sie sind für mehrere Monate in einem Heim des UN-Kinderhilfswerks (Unicef) in der Stadt Goma. Dort lernen sie ordentlich Lesen und Schreiben, tauschen sich mit Leidensgenossen aus und bekommen Therapien.

"Aie! Aie! Isso!", schreit der Capoeira-Lehrer Ninja zum Start. Die früheren Kindersoldaten beginnen ihre akrobatischen Bewegungen, begleitet von Trommelmusik. Sie trainieren Capoeira, eine brasilianische Kampfkunst afrikanischen Ursprungs. Es sieht ein bisschen aus wie rhythmisches Kung Fu, nur besteht die Kunst darin, den Gegner nie zu berühren. Capoeira lehrt die Kinder, Aggressionen zu kontrollieren und als Team zu arbeiten.

Im Gespräch sind frühere Kindersoldaten zurückhaltend, sprechen oft mit leiser Stimme und schämen sich ihrer Vergangenheit. Während des Capoeira-Trainings sprühen sie jedoch nur so vor Stolz. "Wir üben zwei Mal die Woche", sagt ein Junge triumphierend. Für das Training verlassen sie das mit Stacheldraht geschützte Unicef-Zentrum. An den Proben nehmen auch Kinder aus dem Stadtviertel teil. Das ist für die früheren Kindersoldaten ein wichtiger Schritt, sie haben erstmals wieder normalen Kontakt zu Gleichaltrigen. Mädchen werden von bewaffneten Gruppen oft als Sexsklavinnen gehalten. Florence etwa war 13 Jahre alt, als sie zum ersten Mal vergewaltigt wurde. Als sie wieder nach Hause kam, als Mutter von sechs Kindern, wurde sie von ihrer Familie als Rebellenbraut abgelehnt.

Eines Nachts stachen ihre Brüder auf sie ein und hackten ihre rechte Hand ab. Die heute 27-Jährige überlebte und wird in Uganda von World Vision unterstützt. "Nach meiner Flucht vor den Rebellen dachte ich, dass ich in Sicherheit wäre." Doch die traumatische Vergangenheit steht ihrer Zukunft im Weg. "Ich denke oft, dass ich nicht mehr leben will. Aber was würden meine Kinder ohne mich machen?"

*Die Namen der Kinder Joseph und Eric sind zu ihrem Schutz geändert worden. Die echten Namen liegen der dpa vor

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick