Der Kurs steht auf Konsolidierung: Finanzminister Christian Lindner hat den Haushaltsentwurf für 2024 vorgestellt. Foto: picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

05.07.2023
Von Yann Bombeke und Frank Jungbluth

Haushaltsentwurf: 1,7 Milliarden mehr für Verteidigung

Die Bundesregierung nennt es eine Rückkehr zur „finanzpolitischen Normalität“. Im Klartext steht der heute vom Bundeskabinett verabschiedete Haushaltsentwurf für einen drastischen Sparkurs. Im Vergleich zu den anderen Ressorts kommt das Verteidigungsministerium noch glimpflich davon.

Berlin. Für die Bundeswehr sieht der jetzt von der Ampel-Koalition verabschiedete Haushaltsentwurf auf den ersten Blick gar nicht schlecht aus: Mit 51,8 Milliarden Euro wird für die Streitkräfte so viel Geld ausgegeben wie nie zuvor. Und zum ersten Mal wird demnach im kommenden Jahr das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreicht – sprich: es werden mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben bereitgestellt. Doch die Tücke liegt wie so oft im Detail.

Dass die Zwei-Prozent-Marke erreicht wird, liegt nur daran, dass ein Teil des im vergangenen Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine beschlossenen Sondervermögens eingesetzt wird – so ergeben sich Gesamtausgaben für die Verteidigung in Höhe von 70 Milliarden Euro. Da das Sondervermögen aber in den kommenden Jahren aufgebraucht sein wird, vermutlich schon um 2027, wird irgendwann ein größerer Haushaltssprung notwendig werden – wenn man die Zwei-Prozent-Marke dauerhaft halten will. Dem Finanzminister ist das klar: „Wir werden gegen Ende des Jahrzehnts das Zwei-Prozent-Ziel der NATO aus dem Haushalt erarbeiten müssen, wenn das Sondervermögen ausgeschöpft ist.“

Wehretat bleibt von Konsolidierungsmaßnahmen verschont

Doch das dürfte nicht leicht werden, denn für die kommenden Jahre rechnet die Bundesregierung nur mit geringen Wachstumsraten. So erwartet das Finanzministerium in diesem Jahr eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 0,4 Prozent. Für 2024 wird zwar mit 1,6 Prozent gerechnet, in den Jahren 2025 bis 2027 beträgt die Steigerung des BIP laut Schätzung jedoch nur noch 0,8 Prozent.

Hinzu kommt: In der Haushaltsplanung geht die Bundesregierung von spürbar geringeren Ausgaben für die kommenden Jahre aus. Beträgt der Gesamthaushalt in diesem Jahr noch 476,3 Milliarden Euro, soll er sich in 2024 nur noch auf 445,7 Milliarden belaufen, um bis 2027 wieder leicht auf 467,2 Milliarden Euro anzusteigen.

Immerhin bleibt der Verteidigungsetat von den Konsolidierungsmaßnahmen verschont, die das Finanzministerium den anderen Ressorts verordnet: Sie alle sollen in den Jahren 2024 und 2025 einen Einsparbetrag in Höhe von jeweils 3,5 Milliarden Euro einbringen.

Finanzminister Lindner sprach bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs von „besonders herausfordernden Umständen“ und „sehr intensiven Gesprächen im Kabinett“. Nun sei aber ein klares Signal gegeben, dass sich Deutschland zu langfristig tragfähigen Staatsfinanzen bekenne. „Deutschland ist damit der Stabilitätsanker in der Europäischen Union“, sagte der FDP-Vorsitzende. Ein prioritärer Bereich im Haushalt sei die Sicherheit. Deshalb wachse der Verteidigungshaushalt auf, um die höheren Personalkosten durch den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst aufzufangen.

Die politischen Reaktionen

So weit die Zahlen, um die es geht. Erwartungsgemäß fallen die politischen Reaktionen je nach Lager sehr unterschiedlich aus.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte: „Die vorgesehene Haushaltsplanung trägt den Aufgaben der Soldatinnen und Soldaten im Bereich der Landes- und Bündnisverteidigung Rechnung. Sie spiegelt gleichzeitig die angespannte Haushaltslage wider und wird einige Anstrengungen im Haushaltsvollzug erfordern. Es ist klar, dass wir hier nicht stehen bleiben können. Die Bundeswehr muss weiterhin modernisiert und vernünftig ausgestattet werden. Gemeinsam mit dem Finanzministerium werden wir dafür Sorge tragen, dass die dafür nötigen Mittel zur Verfügung stehen werden. Das Sondervermögen Bundeswehr gibt uns für die Ausrüstung unserer Streitkräfte zunächst den notwendigen Spielraum. So konnten wir im ersten Halbjahr mit einer hohen Anzahl an 25-Millionen-Euro-Vorlagen im Parlament die Voraussetzungen für eine zügige Umsetzung von Rüstungsprojekten sorgen. Nach der Ausschöpfung des Sondervermögens werden wir allerdings dringend einen deutlichen Sprung beim regulären Verteidigungshaushalt brauchen.“

Ingo Gädechens (CDU), Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Verteidigungsetat im Haushaltsausschuss: „Mit der Veröffentlichung des Haushaltsentwurfs wird die Regierung die große Freudenbotschaft verkünden, dass Deutschland im nächsten Jahr endlich genügend Geld für Verteidigung ausgibt. In Wahrheit ist es aber leider ein ‚Zwei-Prozent-Märchen‘, weil nur durch viele Tricks und Umbuchungen das Ziel erreicht wird. Damit wird unsere Bundeswehr nicht nachhaltig gestärkt, sondern – ganz im Gegenteil – in den kommenden Jahren einem dramatischen finanziellen Risiko ausgesetzt.

‚Besser spät als nie‘, heißt es im Volksmund. Bei den Verteidigungsausgaben sollte man sich aber schon daran erinnern, dass der Bundeskanzler am Anfang seiner Regierungszeit ‚von nun an‘ mehr als zwei Prozent des deutschen BIP für die Bundeswehr versprochen hat. Zwei von vier Haushaltsgesetzen dieser Legislatur wurden seitdem verabschiedet. Und umgesetzt hat er sein Versprechen seitdem nicht. Jetzt soll es soweit sein. Das funktioniert aber mangels Aufwuchses im Kernhaushalt nur mit einer kompletten Umstrukturierung des Sondervermögens Bundeswehr.

Dabei steht nicht im Vordergrund, die Bundeswehr gut aufzustellen. Es geht einzig und allein darum, bis zum Ende der Legislaturperiode den Kanzler und den Verteidigungsminister öffentlichkeitswirksam gut dastehen zu lassen. Mit den aktuellen Plänen werden danach alle finanziellen Dämme brechen. Denn wenn das Sondervermögen aufgebraucht sein wird, bleibt nach den aktuellen Plänen nur noch Geld, um den Betrieb der Bundeswehr notdürftig aufrecht zu erhalten. Neue Waffen können wir dann nicht mehr kaufen, zukunftsweisende Forschung nicht mehr finanzieren. Aber offenbar heißt es für den Kanzler nur: ‚Nach mir die Sintflut…‘

Wir stehen vor einer grotesken Situation: Einerseits will die Regierung den Anschein erwecken, eine gute und finanziell nachhaltige Politik für die Bundeswehr umzusetzen. Andererseits zeigt sich aber ein Geflecht von Tricks und reinen PR-Entscheidungen, die mittel- und langfristig eine finanzielle Katastrophe für die Bundeswehr bedeuten. Die Erzählung, dass im nächsten Jahr endlich das Zwei-Prozent-Ziel erreicht wird, ist leider nur ein Märchen – mit einem absehbar schlimmen Ausgang für unsere Soldatinnen und Soldaten.“

Alexander Müller, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, sieht das anders: „Das Zwei-Prozent-Ziel wird im Jahr 2024 erreicht werden, da ausreichende Mittel hinterlegt sind. Der Verteidigungshaushalt steigt im Jahr 2024 um 3,5 Prozent, alle anderen Ressorts müssen deutliche Einsparungen aufbringen. Dazu wird ein großer Teil des Sondervermögens im kommenden Jahr verausgabt werden. Das zeigt, wie hoch das Thema Verteidigung priorisiert wird.

Der Kollege Gädechens von der CDU hat das Problem, dass die unionsgeführte große Koalition über viele Jahre nichts getan hat, um die Probleme der Bundeswehr zu lösen. Er glaubt, aufgrund dieser peinlichen Situation besonders absurde und drastische Formulierungen wählen zu müssen. Nachdem seine Regierung Merkel ewig bei 1,25 Prozent herumgekrebst ist, wird die Ampel im Jahr 2024 das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreichen.

Mir ist wichtig: Wir sollten die Bundeswehr nicht schlechter reden, als sie ist. Es gibt unbestritten Probleme bei der Einsatzbereitschaft unserer Geräte und Fahrzeuge, die aber systematisch behoben werden, und für deren Erneuerung die Ampel sehr viele Mittel bereitgestellt hat. Die Bundeswehr war und ist in der Lage, unser Land zu verteidigen, und sie wird darin zunehmend besser.“

Wolfgang Hellmich, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sieht den Haushaltsentwurf so:

„Der Finanzminister hat im Zuge seiner Kompetenzen den Rahmen gesetzt: Die Einhaltung der schwarzen Null! Dies hat Einsparungen von 20 Milliarden Euro für den Bund zur Konsequenz. In diesem Rahmen ist die Bundeswehr glimpflich davongekommen.  Der Verteidigungshaushalt steigt im kommenden Jahr um etwa 1,7 Mrd. Euro auf 51,8 Mrd. Euro zur Deckung der gestiegenen Personalkosten. Natürlich haben wir Fachpolitiker uns mehr gewünscht.

Das Zwei-Prozent-Ziel werden wir voraussichtlich erst im kommenden Jahr erreichen. Schon Ende 2023 werden allerdings über 65 Prozent des Sondervermögens vertraglich gebunden sein. Das stimmt uns zuversichtlich, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel im nächsten Jahr erreichen können. Der Verteidigungshaushalt ist als einziger Etat nicht geschrumpft. Aus guten Gründen – die veränderte sicherheitspolitische Lage – musste der Bereich Verteidigung keine Einsparungen hinnehmen. Das erklärte Ziel der Regierung, nämlich die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes zu stärken, ist in diesem Haushalt abgebildet.
 
Es ist bereits 2022 viel Geld für die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten ausgegeben worden. Alleine in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause am 5. Juli haben wir einen zweistelligen Milliardenbetrag für die Ausrüstung unserer Soldatinnen und Soldaten bewilligt. U.a. für Munition, für den dringend benötigten Schweren Transporthubschrauber und für neue Flottendienstboote. Für das zweite Halbjahr 2023 stehen noch über 60 Beschaffungsvorhaben auf der Tagesordnung von Haushalts- und Verteidigungsausschuss. Das heißt, es geht jetzt im Galopp weiter, um die vielen Ausrüstungslücken bei der Bundeswehr zu stopfen, die durch die langen Jahre entstanden sind, in denen die Truppe von der Substanz leben musste. Die Beschaffungsorganisation arbeitet mit Hochdruck und zielgerichtet an der Umsetzung der geplanten Maßnahmen.“

Der Bundesvorsitzende, Oberst André Wüstner, äußerte sich in der ARD zum Haushaltsplan der Bundesregierung: „Ja, wir haben ermittelt, dass der Verteidigungsminister allein sieben Milliarden Euro mehr braucht. Bekommen wird er 1,7 Milliarden Euro mehr. Fakt ist, die Zahlen berechnen sich ja nicht aus dem Nichts. Es geht um Aufträge und Aufgaben, die der Bundeswehr von der Politik aufgegeben sind. Es geht um Modernisierung und auch um Lücken, die wir bei Heer, Marine und Luftwaffe haben.

Eigentlich war das Sondervermögen für Großprojekte vorgesehen, jetzt sehen wir, dass wir auch an vielen anderen Stellen mehr Geld brauchen. Es geht jetzt vor allem auch um Personal für die Bundeswehr. Wir erleben, dass die Zahlen für den Nachwuchs seit Jahren sinken. Das ist ein Thema, das jetzt schnell angepackt werden muss, sonst haben wir irgendwann wieder genug Kampfpanzer, aber kein Personal mehr, das diese Panzer bedienen kann.“

Wie geht es weiter?

Nach dem Kabinettsbeschluss geht es erst einmal in die parlamentarische Sommerpause. Der Bundestag wird sich voraussichtlich Anfang September erstmals mit dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung befassen. Den Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2024 mit dem Finanzplan 2023 bis 2027 haben wir für unsere Mitglieder in der Community bereitgestellt.

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