Soldaten der Panzergrenadierbrigade 37 bei der Übung „Wettiner Schwert“: Das Heer soll bis 2025 eine einsatzbereite Division bereitstellen – und damit zwei Jahre früher als ursprünglich geplant. Foto: Bundeswehr/Marco Dorow

29.05.2022
Von Oberst Nikolaus Carstens

Für eine glaubhafte Abschreckung braucht es mindestens eine einsatzbereite Division

Die Division 2025: So will sich das Heer für die neuen Herausforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung wappnen – es muss jetzt deutlich schneller gehen als ursprünglich geplant.

Was bedeutet die Zeitenwende für das Deutsche Heer konkret? Die Bedeutung der Division 2025

Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt, das bewirkt gerade ein Umdenken auf allen Ebenen. Was heißt es aber konkret, wenn die Bundesministerin der Verteidigung jetzt fordert: „Unser Ziel liegt klar vor Augen: Wir brauchen eine Bundeswehr, die in der Lage ist, die klassische Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung ohne Einschränkung wahrzunehmen.“?

Zeitgleich gibt der Generalinspekteur das Ziel vor, eine einsatzbereite Division jetzt bis 2025 anstatt bislang bis 2027 bereitzustellen! Was sind die NATO-Forderungen, auf die wir uns einstellen müssen? Warum können wir das Ziel der Division aus dem Stand heraus absehbar nicht ohne weitere Anstrengungen erreichen?

Ein Blick in die Geschichte des Heeres hilft: Fähigkeiten, Organisationstruktur, personelle und materielle Umfänge der Divisionen haben sich immer wieder verändert. Die Erwartungen an den Einsatz des Heeres haben sich im Lichte des sicherheitspolitischen Umfeldes stetig gewandelt, Strukturveränderungen waren die logische Folge. Zum Vergleich: Ende der achtziger Jahre – das letzte Mal, als LV/BV im Schwerpunkt der Aufgabenwahrnehmung stand – hatte das Deutsche Heer noch zwölf Divisionen mit 36 aktiven Brigaden. Diese Divisionen waren in allen Aspekten auf den Kernauftrag LV/BV hin ausgerichtet. Sie waren mit den vorgesetzten Korps fest in einen multinationalen Verteidigungsplan der NATO an der innerdeutschen Grenze eingewoben.

Es folgte die politisch vorgegebene „Friedensdividende“ und nun fast drei Dekaden, in denen LV/BV aus dem Fokus der Betrachtung geriet und hauptsächlich das Internationale Krisenmanagement Strukturentscheidungen bestimmte.

Deshalb ist die letzte Struktur („HEER2011“) unter dem Eindruck der Erfahrungen in Afghanistan und der Notwendigkeit der Einsparung knapper Ressourcen ausgeplant worden. Die Grundidee damals war, dass das Deutsche Heer kontinuierlich (nur noch) zwei verstärkte Infanterie-Kampfverbände mit Unterstützungsteilen (je etwa 1000 Soldaten) gleichzeitig und durchhaltefähig für einen Einsatz im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements (IKM) zur Verfügung zu stellen hatte. Ein Einsatz auf Großverbandsebene (Brigade und Division) für Operationen in der Landes- und Bündnisverteidigung, befähigt zum Gefecht der verbundenen Waffen, war nicht mehr planungsleitend.

Die Divisionsebene wurde nachhaltig geschwächt. Die Divisionen verloren den Großteil ihrer Divisionstruppen, die Kampfunterstützungs- und Führungsunterstützungstruppen wurden stark reduziert. Ganze Fähigkeiten und Truppengattungen, wie z.B. die Heeresflugabwehr, fielen den engen Rahmenvorgaben zum Opfer. Damit gab es keine hinreichenden Divisionstruppen für das Gefecht der verbundenen Waffen mehr.

Für Einsätze weiterhin benötigte Kernfähigkeiten wurden in die Streitkräftebasis ausgelagert, teilweise anderswo zusammengefasst. Verfahren und Abläufe wurden so gestaltet, dass benötigte Einsatzkontingente aus allen TSK und militärischen Organisationsbereichen zusammengestellt wurden: „tailored to mission“. Dadurch hatte sich aber auch die Anzahl der Schnittstellen und der damit verbundene Koordinations- und Abstimmungsbedarf zur Aufstellung von einsatzbereiten Kräftedispositiven stark erhöht. Die fehlende Kohäsion, kein gemeinsamer „Mindset“, die verschiedenartige Ausrüstung und unterschiedliche Ausbildungsstände wurden durch den langfristigen Vorlauf bis zum Zeitpunkt der Verlegung in das Einsatzland teilweise kompensiert, denn DEU selbst war der Taktgeber für den Zeitpunkt des jeweiligen Kontingenteinsatzes.

Die IKM-Brigaden wurden durch Fähigkeits- und damit Truppenzuwachs übergroß und taktisch unbeweglich.

Alles das war seit dem Ukraine-Konflikt von 2014 bereits erkannt. Die Reorientierung zu LV/BV wurde bereits vor Jahren, wenn auch nicht mit der notwendigen Konsequenz im Bereich der Finanzmittel eingeleitet. Nun jedoch hat sich durch die konkrete Bedrohung unserer Bündnisgrenzen durch Russland die Lage nochmals dramatisch verschärft.

Anforderungen der LV/BV an die Großverbände des Heeres

In der derzeitigen Grund- und Binnenstruktur des Heeres sind als Konsequenz keine der drei Divisionen und keine der insgesamt acht Brigaden aus sich selbst heraus „kaltstartfähig“. Auch der Fähigkeitsmix aus schweren, neu aufzustellenden mittleren und leichten Kräften muss sich an den heutigen operativen Erfordernissen ausrichten. Die Großverbände sind strukturell derzeit nicht in der Lage, den Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung, insbesondere im hochintensiven Gefecht, in einem dafür angemessenen Zeitrahmen und mit der geforderten Durchsetzungsfähigkeit gerecht zu werden. Es muss noch ein Stück des Weges zur Erreichung der NATO-Vorgaben gegangen werden. Zwar wurden seit 2016 im Rahmen der VJTF (L)-Gestellung einige punktuelle Anpassungen vorgenommen, die umfassende Anpassung der Binnenstrukturen steht aber erst noch an.

Was fordert die NATO/EU derzeit von Deutschland und was bedeutet das für die Division 2025?

Die von unseren Partnern in NATO und EU an Deutschland gerichteten Erwartungen werden entscheidend durch unsere europäische Zentrallage und darüber hinaus durch unsere wirtschaftliche und damit auch militärische Leistungsfähigkeit beeinflusst. Die damit verbundenen militärischen Beiträge spiegeln sich vor allem in den deutschen Zusagen zu den NATO-Planungszielen wider. Damit werden diese verbindliche nationale Zielvorgaben. Sie legen fest, welche Fähigkeiten die Streitkräfte der deutschen Politik und somit der NATO zukünftig bereitstellen sollen. Deutschland setzt die Erfüllung der akzeptierten NATO-Planungsziele als nationale Ambition im Rahmen des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr (FPBw) um. Diese SOLL-Vorgabe für die Streitkräfteplanung dient u.a. als Grundlage für Rüstungsplanung, Strukturplanung und Priorisierung von Vorhaben. Konkret war das Heer bislang aufgefordert, bis 2027 diese Division aufzustellen und zwei weitere bis 2031 folgen zu lassen.

Somit muss die Division aus NATO-Sicht, um als einsatzbereit („combat ready“, „kriegstüchtig“) zu gelten, im Kern über vier Kampftruppenbrigaden sowie zusätzlich über robuste Kampf-, Einsatz- und Führungsunterstützung in Bataillonsstärke als Divisionstruppen verfügen (d.h. z.B. Artillerie, Logistik, Aufklärung, Pionier-und Fernmeldetruppen). Um das gesamte Einsatzspektrum der NATO abzubilden, sind weitere Fähigkeiten wie ABC-Abwehr, Feldjäger, operative Kommunikation und zivil-militärische Zusammenarbeit mindestens durch jeweils ein Kompanieäquivalent abzubilden. In jedem Bataillon der vier Kampftruppenbrigaden muss eigene Sanitätsunterstützung vorhanden sein.

Getrennt von diesen längerfristigen Zusagen der Nationen im Rahmen der NATO-Streitkräfteplanung sind grundsätzlich die konkreten operativen Reaktions- und Verteidigungsplanungen der Allianz zu betrachten, die vor allem derzeit mit dem Begriff der Graduated Response Plans verbunden sind. Vor dem Hintergrund der Folgen des Angriffskrieges Russlands werden die NATO-Pläne für die Verteidigung unseres Bündnisgebiets derzeit angepasst. Es ist zu erwarten, dass beim NATO-Gipfel Ende Juni 2022 in Madrid die ersten Entscheidungen dazu fallen. Insbesondere auf das Heer werden erweiterte Aufgaben an der Ostflanke zukommen. Glaubhafte Abschreckung und die Verteidigung Europas wird erwartbar nur mit mindestens einer einsatzbereiten deutschen Division zu organisieren sein.

Dazu besteht dringender Handlungsbedarf u.a. in den Bereichen materielle Vollausstattung, dem Schließen von Fähigkeitslücken, Digitalisierung, Anpassung der Binnenstrukturen, Multinationalität im Heer und der hinreichenden Einbeziehung von Fähigkeiten anderer Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche, die für erfolgreiche Landoperationen erforderlich sind. Mit der Bereitstellung der 100 Mrd. EUR Sondervermögen wäre ein erster wichtiger Schritt getan, dem weitere aber noch folgen sollten.

 

Als nächstes wird es darauf ankommen, die Landstreitkräfte und in ihrem Kern die Divisionen so zu organisieren, dass der innere Zusammenhalt gefestigt wird und sie aus ihren einzelnen Teilen heraus als ein Ganzes wirken können.

Die Division ist mit einem Symphonieorchester vergleichbar, bei der keine Instrumentengruppe fehlen darf, damit das Konzert gelingt. Ohne dauerhaftes Üben wird es nichts mit dem Zusammenspiel im Gefecht der verbundenen Waffen. Jetzt liegt das Nahziel zwei Jahre früher als bisher im Jahr 2025: Eine voll ausgestattete, einsatzbereite und reaktionsfähige mechanisierte Division mit drei deutschen Brigaden nebst der Anschlussfähigkeit für eine multinationale Brigade für LV/BV „auf den Hof zu stellen“.

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