Die Bundeswehr ist auch auf die Reaktion auf den Einsatz von ABC-Kamptstoffen eingestellt, denn der kann aus verschiedenen Gründen nicht ausgeschlossen werden. Foto: Bundeswehr

27.02.2022
PIZ Sanität

Für alle Fälle abwehrbereit

Die Bundeswehr ist mit ihrem Medizinischen ABC-Schutz auch auf Bedrohungen durch radiologische, biologische und chemische Kampfstoffe sehr professionell vorbereitet.

Die Bundeswehr: Beim Sanitätsdienst der Bundeswehr denkt man zunächst an Verwundetenversorgung von Soldatinnen und Soldaten. Aber der Sanitätsdienst der Bundeswehr kann mehr. Können Sie uns einen Einblick in vielleicht weniger geläufige Spezialfähigkeiten geben?

Oberstarzt Prof. Dr. Dirk Steinritz: Der Sanitätsdienst der Bundeswehr muss als „Enabler“ für alle möglichen Konfliktszenarien bereitstehen. Schauen wir uns zunächst die aktuellen Konfliktszenarien an. Wir haben es mit einer Kombination aus terroristischen Aktivitäten, militärischen Bedrohungen, Cyberangriffen, dem Einsatz von Medien zu Propagandazwecken sowie Druck auf den Wirtschafts-, Finanz- und Energiesektor zu tun. Anleitungen für den Bau von „schmutzigen Bomben“, für die Herstellung von chemischen Kampfstoffen oder Bauanleitungen von IEDs mit biologischen Beiladungen finden sich frei zugänglich im Internet oder dem Darknet. Der Einsatz von radiologischen, biologischen und chemischen Kampfstoffen, den sogenannten ABC-Kampfstoffen, kann daher nicht ausgeschlossen werden. Die Bundeswehr muss sich diesen ABC-Bedrohungen stellen und eine hohe Fachexpertise vorhalten, um im Falle eines Falles verzugslos, adäquat und zielgerichtet agieren zu können. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist für die Versorgung, die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Gesundheit von ABC-exponierten Soldaten zuständig. Diese sanitätsdienstliche Aufgabe ist vielschichtig, komplex und auf viele verschiedene Ebenen verteilt. Die Kernelemente des Medizinischen ABC-Schutzes sind an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München verortet. Hier bildet die Abteilung F zusammen mit den Ressortforschungsinstituten des Medizinischen ABC-Schutzes (das Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr und das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr) diese Spezialfähigkeit ab. Die Task Force Medizinischer ABC-Schutz kann mit den Aufklärungs- und Diagnosetrupps aus den Instituten des Medizinischen ABC-Schutzes der Bundeswehr innerhalb kürzester Zeit in Gefahrengebiete weltweit verlegen.

Welche dieser Leistungen bringt nur der Sanitätsdienst und nicht die zivilen Einrichtungen?

Der Einsatz von ABC-Kampfstoffen und vergleichbaren Substanzen ist zum Glück nicht alltäglich. Daher fokussiert sich das zivile Gesundheitssystem eben auf häufig vorkommende Erkrankungen in der Zivilgesellschaft, deren Diagnostik und Behandlung. Medizinischer ABC-Schutz steht dort sicher nicht an erster Stelle. Die besondere, umfassende Expertise im Medizinischen ABC-Schutz ist daher in Deutschland nur in der Bundeswehr vorhanden. Selbstverständlich steht die Beratung durch die Experten der Bundeswehr bei Bedarf auch ressortübergreifend über den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung hinaus zur Verfügung und schließt dann den zivilen Bereich mit ein. Beispiele dafür sind die derzeitige Leitung des Notfallausschusses der Strahlenschutzkommission des Bundes durch den Leiter des Instituts für Radiobiologie der Bundeswehr, die Unterstützung des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr mit Spezialanalytik im Fall Nawalny oder der Nachweis und die Aufklärung der ersten SARS-CoV-2-Infektionen in Deutschland durch das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr hält also medizinische Spezialfähigkeiten im Sinne einer gesamtstaatlichen Daseinsvorsorge vor.

Das ist ein breites Aufgabenspektrum…

Die Leistungen des Medizinischen ABC-Schutzes der Bundeswehr sind in der Tat vielfältig. Die zentrale Fähigkeit des Institutes für Radiobiologie der Bundeswehr ist die biologische Dosimetrie. Wir sind in der Lage, nach einer Strahlenexposition eine zuverlässige Prognose zu Organschäden vorzunehmen. Diese Prognose ist die Basis für eine gezielte Therapie. Das Institut für Radiobiologie hat dazu eine App zur Unterstützung der Vorhersage von lebensbedrohlichen Strahlenschäden entwickelt. In diesem Zusammenhang darf erwähnt werden, dass das Institut für Radiobiologie der Bundeswehr Mitglied in den Dosimetrie-Netzwerken der Internationalen Atomenergiebehörde und der Weltgesundheitsorganisation ist.

Das Institut für Mikrobiologie entwickelt Verfahren zum Schutz vor Erkrankungen durch biologische Kampfstoffe und andere gefährliche Erreger wie Viren, Bakterien und biologische Gifte. Die akkreditierte Diagnostik und Analyseverfahren tragen zu einer zweifelsfreien justiziablen Identifikation potenzieller B-Agenzien bei. Das entspricht dem höchsten NATO-Identifikationslevel. Wir unterstützen somit maßgeblich bei der forensischen Beweisfindung. Insbesondere sind die Entwicklung und Etablierung modernster Verfahren zur Genomanalyse zu nennen, die der Identifizierung des Ursprungs und der Ausbreitung von Erregern, den sogenannten Infektketten, dient. Die Verfahren haben zur Eindämmung des Ebola-Ausbruches in Westafrika beigetragen und dem Nachweis sämtlicher besorgniserregender Varianten des SARS-CoV-2-Virus innerhalb kürzester Zeit. Diese Fähigkeiten sind insbesondere für unsere Auslandseinsätze von Relevanz.

Das Institut für Pharmakologie und Toxikologie ist im Bereich des Medizinischen C-Schutzes führend. Dort liegen die Schwerpunkte in der Aufklärung von Schädigungsmechanismen von hochgiftigen chemischen Kampfstoffen, der Frühdiagnostik, der Optimierung vorhandener Therapien und der Entdeckung neuer Wirkstoffe wie Bioscavenger und Rezeptormodulatoren, um die Behandlung von Personen zu verbessern, die mit chemischen Kampfstoffen vergiftet wurden. Auch der zweifelsfreie Nachweis einer solchen Vergiftung durch hochsensitive massenspektrometrische Methoden gehört zum Aufgabenspektrum des Institutes.


Welche der aufgezählten Aufgaben stellt für den Sanitätsdienst der Bundeswehr die größte Herausforderung dar?

Da kann man kein Fachgebiet herausheben. Jeder Bereich für sich ist in seinen spezifischen Aufgaben herausragend und in Deutschland einzigartig. Der parallele Einsatz von ABC-Kampfstoffen mit konventionellen Waffen führt aber zu großen Herausforderungen für den Sanitätsdienst der Bundeswehr. Hier gilt es, nicht nur die durch ABC-Kampfstoffe verursachten Gesundheitsschäden zielgerichtet zu versorgen, sondern es müssen auch zeitkritische, lebensbedrohliche traumatologische Verletzungen adäquat therapiert werden, um ein Überleben des Patienten überhaupt zu ermöglichen.

Die Zuständigkeiten aus dem Bereich ABC-Schutz werden auch dem ABC-Abwehrkommando der Streitkräftebasis zugerechnet. Wie spielt das zusammen?

Wir sind Teamplayer und keine Einzelgänger. Der Medizinische ABC-Schutz ist als „qualifizierte Befähigung“ ein Baustein im System ABC-Abwehr der Bundeswehr. Der Medizinische ABC-Schutz wird fachlich durch den Sanitätsdienst verantwortet. Es bestehen selbstverständlich enge und sehr gute Arbeits- und Austauschbeziehungen mit dem ABC-Abwehrkommando in Bruchsal, der Schule ABC-Abwehr und Gesetzliche Schutzaufgaben in Sonthofen sowie auch zivilen Dienststellen wie dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologien in Munster. Dem komplexen Thema „ABC“ kann man sich nur gemeinsam stellen.

Was genau unterscheidet die Behandlung der ABC-Patienten von anderen Verwundeten?

Ein ABC-exponierter Patient kann eine erhebliche Gefährdung für das Behandlungsteam darstellen, das entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen muss. Eine gründliche Dekontamination zum Schutz des eigenen Personals und der nachgeschalteten Sanitätseinrichtungen, wie zum Beispiel der Krankenhäuser, ist unbedingt notwendig.

Für die Versorgung, die teilweise unter Vollschutzmaßnahmen erfolgen muss, setzen wir spezifische Antidote, Dekorporationspharmaka und Behandlungsmethoden ein, die nicht zur Standardausrüstung oder dem Standardwissen von medizinischen Rettungskräften und Ärzten gehören. Während traumatologische Verletzungen in der Regel sehr offensichtlich sind, können Erkrankungen nach Exposition mit ABC-Kampfstoffen erst nach Tagen, aus einem Zustand vermeintlicher Gesundheit, entstehen. So kann sich zum Beispiel die akute Strahlenkrankheit erst nach Tagen oder Wochen bei anfänglicher Beschwerdefreiheit entwickeln. Oder auch eine Exposition mit Hautkampfstoffen kann zunächst unerkannt bleiben, da sich Symptome erst Stunden nach dem Hautkontakt entwickeln. Die zügige Identifikation von exponierten Personen und die sofortige Einleitung medizinischer Gegenmaßnahmen ist von sehr großer Bedeutung.

Wie sieht die Ausbildung für diese Tätigkeitsfelder aus?

Die Spezialisten des Medizinischen ABC-Schutzes werden über Jahre in den Instituten des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ausgebildet. Das Erlangen einer medizinisch-wissenschaftlichen Expertise im jeweiligen Fachgebiet ist unabdingbar. Daneben müssen die fachlich hoch spezialisierten Soldaten auch für mögliche Einsätze vorbereitet werden. Militärische Fertigkeiten, zusammen mit medizin-fachlichen Anteilen, werden durch regelmäßige Übungen – sowohl national als auch im NATO- und EU-Rahmen – auf dem erforderlichen Stand gehalten. Weitere Pfeiler sind die lehrgangsgebundene Ausbildung sowie auch die Truppenausbildung in den Sanitätseinsatzregimentern.

Gibt es auf internationaler Ebene etwas Vergleichbares?

Die Fähigkeit des Medizinischen ABC-Schutzes, wie sie der Sanitätsdienst der Bundeswehr bietet, sind international kaum abgebildet oder gar nicht vorhanden. Insbesondere die Verfügbarkeit eines Pools von hauptamtlichen Experten wie Strahlenphysikern, Strahlenbiologen und Ärzten als hochmobile Einheit mit der Möglichkeit des Zugriffs auf die Expertise und Laborleistung eines Ressortforschungsinstituts ist einzigartig. Demgegenüber ziehen viele Nationen im Schadensfall ihre Experten auf Zuruf zusammen.

Auf nationaler Ebene reduzieren sich im Zuge des deutschen Atomausstiegs generell die zivilen Fähigkeiten auf dem Gebiet des Medizinischen A-Schutzes. Aber auch im Bereich des Medizinischen B-Schutzes gibt es kaum Vergleichbares. Die schnellverlegbare Einheit eines Ressortforschungsinstituts für die Task Force Medizinischer ABC-Schutz ist in Deutschland und der NATO einmalig. Das Institut für Pharmakologie und Toxikologie ist derzeit eines von weltweit lediglich 20 designierten Laboren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) für die Analyse von biomedizinischen Proben.

Welche Zusammenarbeit ist intensiver – die mit der EU oder mit der NATO?

Der Expertenkreis im Medizinischen ABC-Schutz ist klein und trifft sich regelmäßig sowohl in NATO-Arbeitsgruppen als auch bei wissenschaftlichen Projekten der EU. Die Bundeswehr leistet mit dem Medizinischen ABC-Schutz einen wesentlichen internationalen Beitrag.

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