Fünf Jahre Aussetzung der Wehrpflicht
Wüstner: Ein „enormer Fehler“
Berlin. Am Ende war sie höchst umstritten: Ihre Befürworter freuten sich, dass die Wehrpflicht den Nachwuchs der Bundeswehr sicherte und zugleich die Verankerung der Streitkräfte in der Gesellschaft stärkte. Ihre Gegner kritisierten vor allem die Tatsache, dass angesichts der geringen Größe der Bundeswehr von Wehrgerechtigkeit keine Rede mehr sein konnte. Tatsache ist auch: Die Welt sah damals anders aus als heute. Angesichts der deutlich veränderten Sicherheitslage in Europa und der Welt sind mittlerweile 36 Prozent der Deutschen jetzt, fünf Jahre nach ihrer Aussetzung, für die Wiedereinführung der Wehrpflicht, wie eine Umfrage von YouGov für die dpa ergab.
Der Deutsche BundeswehrVerband hatte noch zu Beginn der letzten Amtsperiode mit dem Buch "Darum Wehrpflicht" von 2010 auf die Bedeutung des Wehr- und Ersatzdienstes hingewiesen. Rückblickend äußert der Bundesvorsitzende Oberstleutnant André Wüstner: „Die Aussetzung der Wehrpflicht erfolgte vollkommen unüberlegt und war vor allem mit Blick auf die gesellschaftliche Dimension in puncto Dienst für die Gemeinschaft ein enormer Fehler. Die Wehrpflicht und insbesondere auch die sozialen Ersatzdienste hatten eine große integrative Wirkung, die wir in unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft mit ihren getrennten Lebenswelten dringend brauchen und heute vielfach schmerzlich vermissen. Und nebenbei: Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hatte seinerzeit die Behauptung aufgestellt, dass die Bundeswehr mit der Aussetzung der Wehrpflicht effektiver und kostengünstiger würde - und heute weiß jeder, was wir schon damals sagten: Das Gegenteil ist der Fall.“
Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, hätte es vorgezogen, die Wehrpflicht nicht auszusetzen, sondern auf Freiwilligkeit zu bauen: „Alles erfassen und mustern, aber nur Freiwillige - nach Eignung und Bedarf - tatsächlich einziehen. Bekanntlich kam es anders. Doch ohne Konzept einer neuen Nachwuchsgewinnung. Die Devise lautete ja weiter: Personalabbau. Mit den Folgen kämpft die Bundeswehr jetzt. Sie ist zu klein geworden. Und selbst ein minimaler Aufwuchs fällt heute extrem schwer.“ Dass es nicht bleiben konnte, wie es war, begründet er: „Die Hälfte eines Wehrpflichtigen-Jahrgangs als angeblich «untauglich» ausmustern, von der anderen Hälfte nur noch einen Bruchteil einberufen, Grundwehrdienstdauer: 6 Monate - das alles ging gar nicht mehr!“
Die damalige Entscheidung sei gut und wichtig gewesen, meint Ursula von der Leyen. Viele Menschen auszubilden, die nur da seien, weil sie müssten, das entspräche nicht mehr den Anforderungen an die Bundeswehr, sagt die Verteidigungsministerin. „Eine moderne Armee braucht qualifizierte Männer und Frauen, die sich freiwillig und hochmotiviert den immer komplexeren Aufgaben stellen. Beispiel Cyber, Beispiel enge weltweite Zusammenarbeit mit vielen Nationalitäten. Das trägt auch zur Modernisierung des Apparates bei.“ Um den Nachwuchs zu sichern, müsse die Bundeswehr auf dem freien Markt als attraktiver Arbeitgeber überzeugen. Die Ministerin glaubt. „Mit unserer Agenda Attraktivität sind wir bereits auf einem guten Weg. Das zeigt die große Zahl der Bewerbungen.“
Für Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter steht heute nicht mehr die Landesverteidigung für die Bundeswehr im Vordergrund, sondern die Teilnahme an UN-mandatierten multilateralen Einsätzen. Damit entfalle auch weiterhin die sicherheitspolitische Rechtfertigung für die Wehrpflicht, so dass er zusammenfasst: „Die Aussetzung der Wehrpflicht war längst überfällig.“