Ein starkes Symbol für die Truppe
Die 1956 aufgestellte Bundeswehr muss lange ohne sie auskommen: Erst 1965 bekommt sie ihre ersten Truppenfahnen. Für einen, der dabei war, war das ein bis heute unvergessliches Erlebnis.
Die Truppenfahne ist mehr als ein Symbol, sie ist ein wichtiges Zeichen der militärischen Identität des jeweiligen Verbandes. Das gilt heute wie in allen Armeen dieser Welt auch für die Bundeswehr. Doch jahrelang war das gar nicht der Fall. Im Rückblick kurios anmutend: Erst neun Jahre nach Gründung der Bundeswehr bekommen Heer, Marine und Luftwaffe ihre Truppenfahnen.
Als Grund führen Historiker die Stimmung in Deutschland in den 50er Jahren an. Als die Bundeswehr 1955 aufgestellt wird, ist vielen Menschen der Zweite Weltkrieg mahnend in Erinnerung. Eine Wiederbewaffnung Deutschlands stößt in Teilen der Gesellschaft auf Ablehnung. Um daher nicht gleich durch Übernahme alter Traditionen den Gegnern eine Angriffsfläche zu verschaffen, verzichtete man bei der Gründung der Bundeswehr auf die Einführung von Truppenfahnen, wie es heißt.
Doch 1964 kommt es zu einem Umdenken. Und das vor allem aus zwei Gründen: So erreicht die Bundeswehr die Nato-Sollstärke von zwölf Divisionen, ihre Aufbauphase ist quasi abgeschlossen. Gleichzeitig ist die Truppe auf der Suche nach dem „richtigen Geist“. Ein Symbol zur Identifikation ist gefragt. Im Herbst ist es soweit. Die „Anordnung über die Stiftung der Truppenfahnen für die Bundeswehr“ wird veröffentlicht.
Am 7. Januar 1965 verleiht der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke in Bonn dem Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung die allererste Truppenfahne. Gut drei Monate später, am 24. April 1965, treten in Münster Abordnungen von 319 Bataillonen des Heeres gemeinsam mit Vertretern der Luftwaffe an, um aus der Hand ihrer Inspekteure die Truppenfahnen entgegenzunehmen. Parallel erhält in Plön die Marine ihre Truppenfahnen vom Inspekteur der Marine.
Ein ganz besonderer Tag
Einer, der am 24. April 1965 in Münster mit dabei war, ist Alfred Klauke – und bis heute ist dieser Tag etwas ganz Besonderes für den Oberfeldwebel d.R.. Nach vier Jahren bei der Bundeswehr hatte er gerade seine Feldwebelprüfung bestanden, wie er im Gespräch mit unserem Verbandsmagazin erzählt. „Da wurde ich als Fahnenträger unseres Bataillons, des Transportbataillons 81 SW/Sonderwaffen, für die Zeremonie im Preußenstadion ausgewählt“, berichtet der 86-Jährige. Der Stolz darauf ist ihm immer noch anzumerken, aber ebenso das Bedauern darüber, dass es das, wie er sagt, aus taktischen Gründen aufgelöste Lüdenscheider Bataillon heute nicht mehr gibt. „Für mich persönlich war es eine außergewöhnliche Ehre, an diesem Tag Fahnenträger zu sein. Und das Schönste war für mich noch, dass mein Kompaniechef das erste Korps befehlen musste bis hin zur Meldung an den damaligen Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel.“
„Für mich persönlich war es eine außergewöhnliche Ehre, an diesem Tag Fahnenträger zu sein“
An den 24. April 1965, der in die Geschichte der Bundeswehr als ein Tag von historischer Bedeutung eingegangen ist, kann sich Alfred Klauke nicht nur gut erinnern. In seinen persönlichen Unterlagen aus seiner aktiven Zeit als Soldat bewahrt er auch ein Zeitzeugnis auf: den Ablaufplan der Fahnenübergabe im Auftrage des Bundesministers der Verteidigung durch den Inspekteur des Heeres, Generalleutnant de Maizière, an die Bataillone des Heeres. Darin heißt es: „Dabei wird jedes Bataillon vertreten durch den Bataillonskommandeur, zwei Oberleutnante oder Leutnante als Fahnenoffiziere und einen Portepeeunteroffizier als Fahnenträger. Vor Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel und dem Generalinspekteur der Bundeswehr, General Heinz Trettner, marschieren mehr als 2500 Soldaten aus der gesamten Bundesrepublik im Stadion auf, darunter zwei Ehrenbataillone aus Altahlen und Handorf, ein Fähnrichbataillon der Heeresoffizierschulen I-III und der Kampftruppenschule II sowie die Heeresmusikkorps 1 aus Hannover und 13 aus Münster.“
Die Zeitfolge: „Ab 9.30 Uhr Einmarsch der Verbände, 9.50 Uhr: Einmarsch der Ehrenbataillone und Musikkorps mit Fahnen und Standarten alter westfälischer Regimenter, 10 Uhr: Meldung an den Bundesminister der Verteidigung, Abfahren der Front unter Klängen des Präsentiermarschs durch den Bundesminister der Verteidigung, den Generalinspekteur der Bundeswehr und den Inspekteur des Heeres, Ansprachen des Bundesministers der Verteidigung und des lnspekteurs des Heeres, Fahnenübergabe durch den Inspekteur des Heeres, Nationalhymne, Vorbeimarsch.“
Eine neue Zeit hat begonnen
Nach diesem Vorbeimarsch an der Ehrentribüne gingen Klauke und die anderen an der Zeremonie beteiligten Kameraden sofort wieder zum Dienst über. „Unsere Pflicht war getan, dann ging es wieder zurück in die Einheiten. Die Soldaten waren ja aus der gesamten Bundesrepublik nach Münster angereist“, sagt der Oberfeldwebel d.R..
An die Zeit vor der Einführung der Truppenfahnen kann sich Alfred Klauke ebenfalls gut erinnern. Damals, so sagt er, hätten die jungen Rekruten ihren Treueschwur auf die normale Bundesfahne abgelegt. Mit den Truppenfahnen habe dann aber eine neue Zeit begonnen. „Eine Vereidigung was dann das höchste Ereignis. Das war schon immer etwas ganz Besonderes, wenn die Fahne vom Kommandeur mit dem Ehrenzug abgeholt wurde. Dann ging es zum Vereidigungsplatz, einem Stadion oder ähnlichem. Und quasi die gesamte Bevölkerung war dann auf den Beinen, um das Geschehen mitzuverfolgen“, erzählt Klauke.
Bis kurz vor seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr 1970 sei er Fahnenträger seines Bataillons geblieben. Gern hätte er weiter bei der Bundeswehr seine Pflicht erfüllt. Doch eine Verlängerung seines Dienstes oder eine Übernahme als Berufssoldat sei für ihn wie auch die anderen Angehörigen der sogenannten weißen Jahrgänge damals nicht möglich gewesen. Damit werden die Männer zusammengefasst, die für den Militärdienst in der Wehrmacht noch zu jung waren, für den Dienst in der Bundeswehr aber bereits als zu alt eingestuft wurden. „Mein Wunsch, Berufssoldat zu werden, hat sich deshalb leider nicht erfüllt.“ Im Alter von 37 Jahren begann so ein neuer Berufsweg für Alfred Klauke. Nach bestandener Aufnahmeprüfung startete er in eine Karriere bei der Bundesbank, bei der er sich bis zum Amtsinspektor hocharbeiten konnte, wie er erzählt - und darauf sei er auch stolz. Doch darauf, als Fahnenträger im Preußenstadion dabei gewesen zu sein, ist er es genauso: „Es war für mich persönlich der Höhepunkt meiner militärischen zwölfjährigen Dienstzeit.“