Im Rahmen von EUTM Mali halfen deutsche Soldaten unter anderem bei der Ausbildung malischer Pioniere. Foto: Bundeswehr/Falk Bärwald

Im Rahmen von EUTM Mali halfen deutsche Soldaten unter anderem bei der Ausbildung malischer Pioniere. Foto: Bundeswehr/Falk Bärwald

02.03.2024
Marcel Bohnert

Digitale Angriffe auf die Bruchstellen der Gesellschaft

Der Abzug aus Mali beendet die Ära der großen Auslandseinsätze für die Bundeswehr. Kriege werden zukünftig in allen denkbaren Formen geführt – auch bei Social Media.

Mit dem Abzug deutscher Truppen aus Mali ist die Ära der großen Auslandseinsätze der Bundeswehr an ihr vorläufiges Ende gelangt. Aktuell befinden sich noch etwa 2.200 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Einsatzgebieten wie dem Mittelmeer, dem Kosovo, in Niger oder im Irak. Sie dienen dort vorrangig in Klein- und Kleinstkontingenten. Vorbei die Zeit, in der sich knapp 10.000 Bundeswehrangehörige zeitgleich in Auslandseinsätzen befanden und die Streitkräfte vollständig auf asymmetrische Kriegsführung ausgerichtet waren. Die Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung hat inzwischen eine grundlegende Neuausrichtung der Bundeswehr angestoßen.

Der Übergang in die neue Zeit muss zügig gelingen. Unser Verteidigungsminister will Bundeswehr und Gesellschaft in fünf bis acht Jahren kriegstüchtig sehen. Es gibt Analysten, die eher auf drei bis fünf Jahre drängen. Dass die Operationalisierung der Zeitenwende zu schmerzhaften gesellschaftlichen Prioritätenverschiebungen und hartnäckigen inhaltlichen Rangeleien führen wird, war absehbar.

Etwa drei Dekaden lang war es hierzulande relativ einfach, die sicherheitspolitischen Realitäten aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen. Die Soldatinnen und Soldaten leisteten ihren Dienst hinter Kasernenzäunen oder in weit entfernten Krisengebieten, die kaum etwas mit der unmittelbaren Lebenswirklichkeit in Deutschland zu tun hatten. Mit dem Schönreden der sicherheitspolitischen Verhältnisse ging auch eine liebevolle Nichtbefassung mit der Bundeswehr einher.

Weltordnung bekam Risse

Auch innerhalb der Truppe gab es wenig Zweifel daran, dass die Beteiligung an Einsätzen außerhalb des Bündnisgebietes auch zukünftig das schärfste Ende des Soldatenberufes darstellen würde. Nun wurden wir im Februar 2022 eines Besseren belehrt. Der Weltordnung, die wir für fest betoniert hielten, wurden schwere Risse zugefügt.

Warnzeichen gab es viele, aber so richtig vorstellen konnten sich den Angriff Russlands auf europäisches Gebiet die wenigsten. Ein bisschen hat das an die allgemeine Verdrängung der zunehmenden Eskalation des Afghanistan-Einsatzes nach einigen vergleichsweise friedlichen Einsatzjahren erinnert. Als ich 2010 das erste Mal meine Stiefel in den sandigen Boden am Hindukusch setzte, war ich geschockt von der brachialen Intensität der Mission und der Selbstverständlichkeit, mit der deutsche Soldatinnen und Soldaten in Kunduz kämpften. Ich sammelte ein paar Tage lang Eindrücke bei meinen Vorgängern, um meine Kampfeinheit auf ihre Verlegung vorzubereiten. Während dieser Zeit habe ich mir geschworen, nie wieder naiv auf Einsatzszenarien zu blicken.

Da wir nun mit einer Eskalation im Osten Europas konfrontiert sind, ließe sich ableiten, zu den Standards des Kalten Krieges zurückzukehren. Einsatz- und Verteidigungsarmeen unterscheiden sich typischerweise in ihren grundlegenden Logiken: Während auf das internationale Krisenmanagement ausgerichtete Streitkräfte in variablen strategischen Umfeldern agieren, ihren Nachwuchs typischerweise aus Freiwilligen rekrutieren und differenzierte Beziehungen zur Gesellschaft pflegen, gilt in Armeen zur Landes- und Bündnisverteidigung meist ein Pflichtdienst und sie sind gesellschaftlich fest integriert.

Intelligenz, Robotik, Desinformationskampagnen und Social Media Warfare

Zudem verfügen ihre Hauptgegner über konventionelle Streitkräfte. Wenn es eine Lehre aus dem Wandel gibt, den die Bundeswehr seit Beginn der Auslandseinsätze Anfang der 1990er Jahre vollzogen hat, dann ist es allerdings die, dass 180-Grad-Wendungen keine guten Schablonen sind, wenn sich grundlegende strategische Lageänderungen ergeben. Der Generalinspekteur mahnt mit Blick in die Zukunft zurecht die potenzielle Gleichzeitigkeit von Landes-/Bündnisverteidigung und Internationalem Krisenmanagement an. Er will die Bundeswehr zum parallelen Einsatz in allen denkbaren Erscheinungsformen kriegerischer Auseinandersetzungen befähigen. Der Blick auf das heutige Schlachtfeld in der Ukraine zeigt eine Vermischung von brutalen Abnutzungskriegen vergangener Zeiten mit irregulären Kampfformen, einem Drohnenkrieg, zunehmender Hybridität und einer schwelenden Nuklearbedrohung.

Zukünftig werden neben künstlicher Intelligenz und Robotik auch Desinformationskampagnen und Social Media Warfare einen noch viel größeren Stellenwert einnehmen. Zwischen Russland und der Ukraine tobt neben den handfesten Kampfhandlungen schon jetzt ein immer professioneller ausgetragener Informationskrieg. Täglich fluten hunderte von Videos die Sozialen Medien, teils direkt aus den Schützengräben an der Front.

Wie wirkungsvoll die Social Media-Kriegsführung in der Praxis ist, hat sich erstmals 2014 im Irak gezeigt: 1.500 Kämpfern des selbsternannten Islamischen Staates ist es dort gelungen, die Millionenstadt Mosul binnen weniger Tage zu erobern. Ihnen standen nach offiziellen Angaben knapp 60.000 irakische Sicherheitskräfte gegenüber. Mit gut ausgestatteten Combat Camera Teams erzählte der Islamische Staat in Quasi-Echtzeit Heldengeschichten von der Front und zeichnete das Bild einer hochprofessionellen und grausamen Truppe. In den irakischen Sicherheitskräften verbreiteten sich Angst und Schrecken; innerhalb kürzester Zeit brachen Kampfmoral und Verteidigungslinien.

Manipulierte Informationen von Wahrheit unterscheiden

Auch heute zeigt sich die Durchschlagskraft digitaler Schlachtfelder: In Gaza ringen die Israel Defense Forces und Hamas-nahe Online-Plattformen um die Deutungshoheit der kriegerischen Auseinandersetzungen. Der israelischen Seite folgen auf Instagram 1,5 Millionen Menschen, die pro-palästinensische Seite „Eye on Palestine” hat mehr als das Zehnfache an Followern. Ein Krieg um Narrative und Bilder. Das zunehmende Gefühl vieler Menschen, nicht mehr zu wissen, was sie noch glauben sollen und wem sie noch trauen können, ist nur ein Vorgeschmack dessen, was uns in sehr naher Zukunft erwarten wird. Angesichts der schieren Menge und steigenden Qualität von Falschinformationen und Deep Fakes werden wir ohne technische Hilfsmittel nicht mehr in der Lage sein, manipulierte Informationen von Wahrheit zu unterscheiden.

Einen direkten Eindruck davon werden wir in Kürze wahrscheinlich auch hierzulande erhalten: In den kommenden Monaten werden sich militärische Großverbände durch die Drehscheibe Deutschland bewegen. Im Rahmen der Verlegeübung Steadfast Defender nutzen ausgedehnte alliierte Marschkolonnen auf ihrem Weg Richtung Ostflanke unser Autobahn- und Schienennetz. Absehbar werden Plattformen wie TikTok, X und Facebook simultan mit Verschwörungsmythen über unmittelbar bevorstehende Kampfhandlungen und Aggressionen der NATO geflutet.

Eine besondere Herausforderung dabei ist, dass diese Inhalte massenweise produziert und in enormer Geschwindigkeit über unzählige Bots, Multiaccounts und Trolle verbreitet werden. Sie zielen auf die Bruchstellen von Gesellschaften, säen Zweifel und wollen staatliches Handeln delegitimieren. Über die tatsächliche Urheberschaft kann derweil jedoch oft nur gemutmaßt und spekuliert werden. Das gilt ebenso für Cyberangriffe, gezielte Ausspähungen und Sabotage. Sie bewegen sich unterhalb der Schwelle der Beistandsklauseln von EU und NATO und lassen die Grenzen von Frieden, Krise und Krieg verschwimmen.

Friedensdividende, dynamisches Verfügbarkeitsmanagement oder Outsourcing 

Bei all diesen Phänomenen reden wir nicht von temporären Veränderungen. Das krisenhafte sicherheitspolitische Umfeld wird ein Dauerzustand sein, mit dem wir als Gesellschaft umzugehen lernen müssen. Für den Bundespräsidenten markiert der Überfall Russlands auf die Ukraine einen Epochenbruch. Damit macht er klar: Frieden und Demokratie sind auch im Herzen Europas nicht garantiert.

Friedensdividende, dynamisches Verfügbarkeitsmanagement oder Outsourcing sind Schlagworte, die den Verschlankungsprozess der Bundeswehr in den vergangenen Jahrzehnten begleitet haben. Die Truppe hat arg gelitten und quält sich derzeit zurück in die breite militärische Professionalität. Bundeswehr und Gesellschaft tun gut daran, dem Krieg im Informationsraum im Rahmen der Zeitenwende eine hohe Aufmerksamkeit zu schenken. Und – trotz des derzeitigen organisationalen Stresses – auch die Lehren der „Generation Einsatz“ sorgfältig zu konservieren.

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