Zsolt Balla ist seit 2021 Militärbundesrabbiner der Bundeswehr. Foto: Lisa Engler/ Bundeswehr

Zsolt Balla ist seit 2021 Militärbundesrabbiner der Bundeswehr. Foto: Lisa Engler/ Bundeswehr

11.12.2023
Judka Strittmatter

Die neue Seelsorge mit der Kippa: „Ein Jude ist vor allem ein Kamerad”

Der gebürtige Ungar Zsolt Balla (44) ist seit zwei Jahren Militärbundesrabbiner der Bundeswehr. Ein Gespräch über Erreichtes und Unerreichtes, seinen Vater, einen ehemaligen Oberst, und seine Gedanken und Gefühle zum Angriff der Hamas auf Israel.

Herr Balla, Sie sind seit 2021 Militärbundesrabbiner der Bundeswehr, aber Sie sind auch Landesrabbiner von Sachsen und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz. Wie geht es Ihnen dieser Tage, da im Nahen Osten wieder Krieg herrscht?

Zsolt Balla: Wir sehen da eine schwere Situation, deren Ende nicht in Sicht ist und die uns natürlich erschüttert und stark beschäftigt. Ich bitte von hier aus auch um das Verständnis der Politik und der Medien, die große Erwartungen an uns haben. Es gehen viele Hilfsangebote und Besuchsanfragen bei uns ein, und wir freuen uns auch, aber wir haben auch unglaublich viel zu tun. Soll heißen: Wenn wir einmal nicht gleich antworten, heißt das nicht, dass wir schweigen. Zurzeit muss ich viel bei meiner Gemeinde sein, sie beruhigen, kommunizieren. Das ist ein großes Dilemma.

Zu Ihrer Funktion als Militärbundesrabbiner: Wie fällt Ihre Bilanz nach zwei Jahren Arbeit aus? Sie wollten zehn Standorte mit je zwei Rabbinern besetzen, koscheres Essen und die Möglichkeit des Einhaltens religiöser Pausenzeiten für jüdische Soldaten gewährleistet sehen.

Erst einmal muss ich sagen, dass die letzten beiden Jahre unglaublich spannend waren, und ich sehe es als großes Privileg an, diese Arbeit machen zu dürfen. Wir sind zwar nicht in dem Tempo fortgeschritten, das wir erwartet hatten, aber das gilt ja für Veränderungen in der Bundeswehr generell, oder? Ich möchte das gar nicht als Kritik verstanden wissen. Zu unseren Erfolgen: Wir haben fünf von zehn Stellen an drei Standorten besetzt, zwei Rabbiner in Leipzig und Hamburg, einen in Schwielowsee. München und Köln sind auch auf unserem Radar. Wir haben Strategien entwickelt, koscheres Essen zu realisieren, aber man muss vernünftig sein und einen Modus Operandi finden, dass es für die Bundeswehr auch umsetzbar bleibt. Andererseits gilt: Das Weglassen von Schweinefleisch stellt nicht automatisch koscheres Essen her, so einfach ist es nicht. Die Einhaltung religiöser Feiertage könnte sich auch noch besser gestalten.

Was ist das Problem?

Ich würde nicht unbedingt von einem Problem sprechen, eher von einer Herausforderung. Als Militärbundesrabbiner ermutige ich jüdische Soldatinnen und Soldaten natürlich auch, ihre Religiosität zu leben, das kann aber zu Spannungen führen. Dann kommen Fragen auf wie: Warum musst du an Jom Kippur in die Synagoge gehen, letztes Jahr warst du doch auch nicht? Ja, aber Menschen entwickeln ihre Religiosität weiter, das gilt auch für christliche Soldatinnen und Soldaten. Wir reden hier nicht von Missionierung, aber die Religion ist ein Wert und Religion und Modernität schließen sich nicht aus, sie ergänzen einander.

Die jüdische Militärseelsorge will – ebenso wie die katholische und evangelische – für alle Soldaten da sein. Wie gestaltet sich das in Ihrem Falle?

Nun, der Austausch unter uns Seelsorgern ist sowieso sehr lobenswert. Und es gibt da noch den lebenskundlichen Unterricht als Kernaufgabe – und da sind bei uns alle fünf Rabbiner hoch ausgelastet. Dort sprechen sie vor allem mit nicht-jüdischen Soldaten, bringen ihn oft auch das Judentum näher. Und kommen sehr oft mit guten Gefühlen zurück! Wir kennen uns oft einfach nicht gut genug, wir haben stereotype Bilder im Kopf: Was ist ein Jude, was macht er, wie denkt er? Und am Ende spüren die Soldaten: Hey, vor allem ist er ein Kamerad! Ja, wir haben vielleicht einen unterschiedlichen Gott und ein unterschiedliches kulturelles Erbe, aber für alle in der Bundeswehr gibt es diesen gemeinsamen Nenner: Deutschland zu verteidigen.

Was genau sehen Sie als Ihre ureigenste Aufgabe als Bundesmilitärrabbiner an?

Sehr gut entwickelt haben sich seit meinem Amtsantritt die persönlichen Beziehungen, die Sichtbarkeit und die Vernetzung. Ich will vor allem Brücken bauen, denn aufgrund historischer Reflexe ist der Austausch zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen und Soldaten in Deutschland ja eher beschränkt. Dabei ist meine Aufgabe nicht nur das Judentum in der Bundeswehr, sondern auch die Bundeswehr in der jüdischen Gesellschaft zu präsentieren. Und ich finde, wir sollten alle zusammen in diesem Land verstehen, was für einen Wert die Bundeswehr hat, besonders in diesen Zeiten.

Was genau meinen Sie mit Sichtbarkeit der jüdischen Soldaten?

Juden generell in Europa haben sich in den letzten 70 bis 80 Jahren angewöhnt, ihre religiöse Identität nicht zu zeigen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich war mal bei einer CIR-Veranstaltung, bei der mir jemand sagte, er kenne überhaupt keinen jüdischen Soldaten in der Truppe. Genau auf dieser Veranstaltung kam dann später ein junger jüdischer Hauptmann zu mir und bat um ein Gespräch. Wahrscheinlich wusste niemand in seiner Einheit, dass er jüdisch ist. Seine Eltern waren Spätaussiedler. Wir Juden leben auch eine Art Paradoxon. Viele der Kontingentflüchtlinge jüdischen Glaubens, die ab 1991 unter Bundeskanzler Kohl aus der ehemaligen Sowjetunion kamen, haben seit 1917 in einer stark säkularisierten Gesellschaft gelebt, ihre jüdische Identität stand nur in der Geburtsurkunde, sie galt als ethnische Herkunft. Religiosität kannte man gerade noch von den Großeltern. Meine Aufgabe ist es auch, solchen jungen Menschen Religiosität beizubringen.

Würden – wenn es sie gibt – auch Diskriminierungen an Sie herangetragen?

Dazu muss ich sagen: Wir Militärrabbiner sind keine Antisemitismusbeauftragten! Wir sind nicht für politische Bildung da, sondern für die Seelsorge. Ein sehr charismatischer Bundeswehrgeneral sprang mir diesbezüglich einmal bei und sagte in Richtung seiner Soldaten: „Richtig, Herr Balla ist nicht der Antisemitismusbeauftragte, aber jeder einzelne von Ihnen ist es! Ich erwarte von alle meinen Leuten, dass sie aufstehen, wann immer gegen demokratische und grundgesetzliche Werte verstoßen wird.“ Wenn ich einen solchen positiven Beistand erlebe, trage ich den auch zurück in meine jüdische Gemeinde.

Sie sagen, dass Sie auch für muslimische Soldaten da sind. Gilt das auch in Kriegszeiten?

Sie werden es nicht glauben, aber mein erstes Seelsorge-Gespräch war mit einem muslimischen Soldaten. Das war noch vor meiner Amtszeit, es gibt da durchaus eine zeitliche Entwicklung. Ich bin ja nicht im Juni 2021 ex nihilo hier gelandet. Meine persönliche Verbindung mit der Bundeswehr begann schon 2013, es gab im Zentrum Innere Führung in Koblenz eine Zentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen, die ZASaG. Dort konnte ich mit den muslimischen Soldaten, die ich dort getroffen habe, gut reden über den Nahostkonflikt. Dieser Tage hat es sich noch nicht ergeben, aber meinerseits gilt das auch jetzt, da wir diesen grausamen Angriff zu verkraften haben.

Noch einmal kurz zu Ihrem Werdegang: Sie haben erst als Neunjähriger erfahren, dass Sie mütterlicherseits jüdischer Abstammung sind.

Ja, ich habe als Kind immer gern in der Bibel gelesen, 1988 dann gab es einen katholischen Bibelunterricht und ich fragte meine Mutter: Darf ich dahin gehen? Sie meinte daraufhin nur: Wir müssen reden. Dann erzählte sie mir, dass mein Großvater Levit gewesen war.

Ihr Vater war Oberst im sozialistischen Ungarn. Wäre er stolz zu wissen, dass Sie heute auch im Dienst des Militärs stehen?

Mein Vater ist leider schon vor 18 Jahren gestorben, er kam aus sehr armen Verhältnissen aus Nordost-Ungarn, das Militär war seinerseits auch ein Ausbruch aus dieser Armut. Die Armee bedeutete für ihn Versorgung und Sicherheit. Meine Religiosität hat er dennoch unterstützt. Aber Leistung forderte er auch ein, für ihn versinnbildlichte sie ein Leben in geordneten Bahnen. Und er meinte zu mir: Wenn du schon jüdisch bist, dann musst du auch ein Rabbiner sein! Leider hat er meine Ernennung zum Militärbundesrabbiner nicht mehr erlebt, er hat nur meine Anfänge im Judentum mitverfolgt. Also ja, ich denke, er wäre stolz gewesen.

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