Die Motivation ist Mut
Drei Jahre nun schon verteidigen ukrainische Soldatinnen und Soldaten ihr Land gegen die russische Invasion. Einer dieser Soldaten ist Dan. Zur Zeit ist er in Deutschland. „In drei Wochen fahre ich wieder runter“, sagt er Ende Januar. Dann geht der Kampf in der Region Donbass für ihn weiter.
Bis kurz vor Kriegsbeginn hat Dan (Name geändert) noch in Deutschland gelebt. Seine Heimatstadt im Norden der Ukraine ist inzwischen zu großen Teilen zerstört. „Ich kam 2011 zum Studieren nach Deutschland und habe dann hier gearbeitet“, beginnt er zu erzählen. Im März 2022, kurz nach dem russischen Überfall, ging Dan in die Ukraine, um „für sein Land zu kämpfen“, wie er sagt. „Gerade habe ich zwei Monate Urlaub, in knapp drei Wochen beginnt dann meine nächste Rotation und ich fahre wieder runter, Richtung Donbass,“ sagt er während des Gesprächs Ende Januar. In der Ukraine hat Dan einen militärischen Uni-Abschluss gemacht, bevor er nach Deutschland kam. „Dadurch habe ich den Dienstgrad Unterleutnant”, so der 37-Jährige. Der Dienstgrad des Unterleutnants entspricht dem eines Fähnrichs oder Offizieranwärters.
In der Armee ist Dan als Ausbilder für Maschinengewehrschützen eingesetzt. „Für alle möglichen Typen von Maschinengewehren, vor allem für MGs, darunter die MG3. Wir arbeiten aber auch mit italienischen Waffen wie der Beretta. Das ist meine feste Aufgabe, aber ich unterstützte auch in der Logistik“, sagt er. Bis Ende Juni 2022 war er in aktiven Kampfeinsätzen an der Frontlinie.
Das Material, mit dem Dan und seine Kameraden arbeiten, kommt oft aus Deutschland. „Vieles, was wir an Schießmunition verwenden, ist aus deutscher Herstellung“, so Dan. „Wir sind Deutschland und allen anderen Unterstützern sehr dankbar für das, was sie für uns getan haben. Das ist eine extrem große Hilfe. Wir sehen jeden Tag, mit wie viel Material Deutschland und andere Länder die ukrainische Armee unterstützen.“ Doch das reiche immer noch nicht aus. „Wir brauchen vor allem schweres Material und weitreichende Waffensysteme wie Raketen oder Marschflugkörper Taurus. Man muss sagen, dass es schon fast peinlich ist, dass Deutschland immer noch keinen Taurus geliefert hat“, sagt Dan.
Krieg begann bereits 2014
Der Kontakt zu Dan entstand über den deutsch-ukrainischen Verein „Blau-Gelbes Kreuz“, der bereits seit 2014 die Menschen in der Ukraine unterstützt. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 hat der Verein unter anderem 2000 Tonnen Hilfsmittel in die Ukraine geliefert und etwa 20.000 verletzten Menschen in verschiedenen ukrainischen Regionen geholfen.
Zwar kämpfen Dan und seine Kameraden schon seit drei Jahren im Krieg, aber: „Es ist wichtig zu verstehen, dass der Krieg schon seit 2014 bei uns ist, auch wenn die Vollinvasion 2022 begann“, sagt er. Wie lange sie noch durchhalten können? „Ich kann nur aus der Sicht meines Bataillons und meiner Brigade sprechen. Wir werden so lange weitermachen, bis Russland kapituliert.“ Alle seien körperlich müde, die Arbeit sei unfassbar hart. „Aber die Motivation ist Mut“, sagt Dan. „Wir sehen, wie brutal die russischen Soldaten gegen die ukrainische Zivilbevölkerung und die Soldaten vorgehen.“ Das ließe die Motivation bei Dan und seinen Kameraden weiter steigen.
„Es gibt ein Sprichwort bei uns: Harte Zeiten schaffen starke Menschen, starke Menschen schaffen leichte Zeiten, und leichte Zeiten machen die Menschen schwach“, sagt Dan. Die Menschen in der Ukraine hätten noch nie leichte Zeiten gehabt. „Mit einem Nachbarn wie Russland mussten wir immer für unsere Unabhängigkeit kämpfen. Wir hatten nie die Möglichkeit, schwach zu sein. Der Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit ist bei uns Ukrainerinnen und Ukrainern einfach im Blut.“
Dan und seinen Kameraden sei außerdem bewusst, für was sie kämpfen. „Wir kämpfen für unser Land. Nicht für irgendwen oder irgendwas. Wenn wir keine Motivation und keine Perspektive mehr haben, dann haben wir auch bald kein Land mehr“, sagt er. Ihr Wille, weiter für ihr Land zu kämpfen, bestände vor allem aus dem Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. „Außerdem kämpfen wir nicht allein“, sagt Dan. „Meine Kameraden, die inzwischen meine besten Freunde sind, sind an meiner Seite. Bin ich in Deutschland, schreiben sie mir und fragen, wann ich wiederkomme.“
Einsatz von Drohnen hat alles auf den Kopf gestellt
Der Krieg sei inzwischen zu einem Drohnen-Krieg geworden. „Der Einsatz von Drohnen hat den ganzen Krieg auf den Kopf gestellt“, sagt Dan. Es sei ein bisschen wie mit den Panzern, die erstmals im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden. „Damals hat man zum ersten Mal einen Panzer gesehen und nicht gewusst, was man machen soll. Ähnlich ist es mit den Drohnen.“ Inzwischen könne man mit einer 500 bis 700 Euro teuren Drohne einen Panzer vernichten, der mehrere Millionen Euro kostet.
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In Europa fehle oft das Verständnis, dass man nicht gegen Putin allein kämpfe. „Putin fährt nicht die Panzer und Putin schießt auch nicht“, sagt Dan. Es sei Russlands Krieg gegen die Ukraine. „Die russischen Soldaten töten mit Freude. An der Front sehen wir das jeden Tag.“ Die Russen würden davon träumen, ganz Europa einzunehmen und die Sowjetunion wieder aufzubauen. „Immer wieder sehen wir Videos von russischen Soldaten, die ukrainische Soldaten oder Gefangene foltern und töten. Das ist längst alltäglich geworden“, erzählt Dan. Das schüre die Wut weiter. „Manche Europäer mögen das nicht glauben und suchen weiterhin nach dem Guten im Russen“, sagt er. „Währenddessen hat Europa ein Riesenglück, dass wir nicht nur unser Land, sondern auch ganz Europa gegen Russland verteidigen“, so der 37-Jährige. Es scheine, als hätte man in Europa bereits vergessen, wozu Russland überhaupt fähig sei.
„Putin hat alles gesagt“
Die Frage, wie wieder Frieden in das Land einkehren kann, ist für Dan schwer zu beantworten. An Friedensverhandlungen glaube er nicht: „Putin hat alles gesagt und Russland will nicht mehr verhandeln. Das hat Putin bereits mehrere Male gezeigt“, meint er. „Sie wollen, dass die Ukraine kapituliert. So wird der Krieg sich auf dem Schlachtfeld entscheiden.“ Dans Familie ist immer noch in der Ukraine. „Sie hat sich dazu entschieden, dort zu bleiben“, sagt er. Bei seinen Eltern gehen täglich die Sirenen, die vor Raketen- und Drohnenangriffen warnen.
„Meine Mutter fährt eigentlich jeden Tag zur Arbeit“, erzählt Dan. „Manchmal, wenn sie auf dem Weg zu ihrem Auto ist, kommt es in der Nähe zu Explosionen oder die Sirenen gehen los. Dann setzt sie sich neben dem Auto auf den Asphalt und wartet. Wenn nach 10 bis 15 Minuten keine Sirenen, Drohnen oder Raketen mehr zu hören sind, fährt sie zur Arbeit, sonst bleibt sie zu Hause und arbeitet im Homeoffice.“ Unter diesen Umständen versuche man, einfach nur noch zu existieren. Körperlich ginge es seinen Eltern gut. „Aber die Sirenen, die jeden Tag gehen und die Explosionen, die zu hören sind, belasten natürlich.“ Was er sich wünscht? „Das wurde ich auch an Silvester gefragt“, erzählt Dan. „Präsident Wolodymyr Selenskyj trug im vergangenen Jahr ein T-Shirt mit der Aufschrift „make russia small again“, genau das wünsche ich mir auch. Russland soll wieder klein werden.“ Dans größter Wunsch ist, dass die Ukraine siegt. „Wir brauchen Frieden, Unabhängigkeit und Freiheit. Ich will wieder in einem Land leben, in dem wir unsere eigenen Entscheidungen treffen können.“
Ein Leben von Tag zu Tag
Er hofft auf ein Leben, in dem er wieder ein bisschen planen kann. „Im Moment lebe ich nur von Tag zu Tag“, sagt Dan. Früher habe er einen ganz normalen Alltag gehabt. „Ich bin arbeiten gegangen, konnte zwei Mal im Jahr in den Urlaub fahren und Pläne für die nächsten Monate machen“, sagt er. „Sachen, die früher für mich super wichtig waren, bedeuten jetzt gar nichts mehr.“
Der Krieg habe die Menschen verändert: „Ich denke, dass wir tapfer geworden sind. Auch wenn es wir schon vorher waren. Aber es gibt auch keine andere Möglichkeit, als in dieser Zeit tapfer zu sein und weiter durchzuhalten. Jeder versucht irgendwie einen Weg zu finden, um damit zu leben“, sagt Dan. „Das beste Beispiel ist wahrscheinlich meine Mutter, die neben dem Auto auf dem Asphalt sitzt und wartet, dass die Raketeneinschläge aufhören, damit sie zur Arbeit fahren kann.“