„Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist groß“
Das Handelsblatt hat zur sicherheitspolitischen Diskussion eingeladen – der Bundesvorsitzende war dabei.
Berlin. Es ist eine Zeit, in der in Europa und in der Welt nichts zu sein scheint, wie es war: Krisen und Kriege haben sich in den vergangenen Jahren multipliziert, autoritäre Staaten wie Russland, China und Nordkorea agieren immer aggressiver und stellen westliche demokratische Gesellschaften vor Herausforderungen, die sie noch nie so erlebt haben und auf die sie offensichtlich in keiner Weise vorbereitet waren. Wie in der Vergangenheit blind auf den Schutz und die Unterstützung durch die USA zu hoffen, ist nach der erneuten Wahl von Donald Trump als US-Präsident keine Option.
So stellte sich in einer Podiumsdiskussion auf der Handelsblatt Konferenz Sicherheit und Verteidigung die Frage, wie Deutschland kurz vor der Bundestagwahl aufgestellt ist. Wie steht es um unsere Verteidigungsfähigkeit und unsere Wirtschaftskraft? Und wie gehen wir mit der neuen US-Administration um – oder: Wie geht diese mit uns um? Über diese Fragen sprach der Bundesvorsitzende, Oberst André Wüstner, mit Dr. Constanze Stelzenmüller, Direktorin des Center on the United States and Europe, Prof. Dr. Veronika Grimm, Wirtschaftswissenschaftlerin und Mitglied im Sachverständigenrat, und dem Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer. Moderiert wurde die Runde von Moritz Koch, Ressortleiter Politik beim Handelsblatt.
„Es reicht noch nicht“
Nachdem der Generalinspekteur nochmals die Konfrontation hervorgehoben hatte, die Staaten wie Russland und China mit unserem westlichen System suchen, mahnte Oberst Wüstner eine bessere Strategiefähigkeit an. Deutschland sei sehr gut darin, Strategiepapiere und Dokumente zu erstellen. „Aber was machen wir damit? Was haben wir umgesetzt?“ – so die Frage des Bundesvorsitzenden. Bereits nach der russischen Aggression und der Besetzung der Krim 2014 habe man die richtigen Schlüsse gezogen, jedoch danach nicht konsequent gehandelt. „Ich kann nur hoffen, dass wir strategiefähiger werden“, so Wüstner. Zwar habe man in den vergangenen zwei Jahren Fortschritte gemacht, „aber es reicht noch nicht“. Wüstner weiter: „Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist groß und sie wird noch größer, wenn die neuen NATO-Fähigkeitsziele definiert werden.“ Die fehlende Strategiefähigkeit sei auch in Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz deutlich geworden: Erst wenige Tage zuvor war der Abschlussbericht der Enquete-Kommission des Bundestages vorgestellt worden, die sich mit den Umständen des beinahe 20-jährigen deutschen militärischen Engagements befasst hatte. Oberst Wüstner war als Sachverständiger Teil dieser Kommission.
Mit Blick auf gemeinsame europäische Initiativen und Lösungen in der militärischen Zusammenarbeit sagte Wüstner, dass man gegebenenfalls einzelne Schritte mit den osteuropäischen oder skandinavischen Staaten gehen könne – denn diese hätten begriffen, worum es geht. Das Kernproblem blieben jedoch die knappen Haushaltsmittel. Dies bedeute auch, Prioritäten zu setzen. Wie wird das Geld investiert – für Wüster ist dies ein „klassisches Dilemma“. Mehr müsse im Bereich Forschung und Entwicklung getan werden, so der Bundesvorsitzende. „Ich kann nur hoffen, dass dies auch in einem künftigen Koalitionsvertrag festgehalten wird.“
Von größeren Investitionen in Forschung und Entwicklung könnte auch der Wirtschaftsstandort Deutschland profitieren – Stichwort „Dual Use“, also die Entwicklung von Gütern oder Technologien, die sowohl militärischen als auch zivilen Nutzen finden. „Wir haben die Zeitenwende ausgerufen, aber wir müssen noch viel mehr ‚all in‘ gehen“, sagte Prof. Dr. Veronika Grimm. „Wir müssen wirtschaftliche und militärische Kompetenzen aufbauen, um gut aufgestellt zu sein“, sagte die Wirtschaftswissenschaftlerin. Dr. Constanze Stelzenmüller warnte davor, die Signale der neuen US-Administration zu unterschätzen, auch mit Blick auf den Druck, den die USA aktuell auf Panama, Kanada oder Grönland aufbauen. „Wenn wir den Grönländern und den Dänen nicht beistehen, geht noch sehr viel mehr verloren außer Grönland“, sagte Stelzenmüller.