Brigadegeneral Robert Sieger ist Beauftragter des Generalinspekteurs für Erziehung und Ausbildung und stellvertretender Kommandeur des Zentrums Innere Führung in Koblenz. Foto: Bundeswehr

Brigadegeneral Robert Sieger ist Beauftragter des Generalinspekteurs für Erziehung und Ausbildung und stellvertretender Kommandeur des Zentrums Innere Führung in Koblenz. Foto: Bundeswehr

06.08.2022
Von Frank Jungbluth

Die Innere Führung ist ein stabiles Wertegerüst

Brigadegeneral Robert Sieger, beim Generalinspekteur zuständig für Ausbildung und Erziehung, erläutert, wie man in der Truppe Extremisten mit bewährten Mitteln und zeitgemäßen Methoden den Nährboden entzieht.

Herr General Sieger, Sie sind jetzt seit 38 Jahren Soldat: Innere Führung, Staatsbürger in Uniform, Führen mit Auftrag – Ihre Generation hat die Grundprinzipien von Erziehung und Auftrag fest in der DNA. Wie ist die Lage bei den Jüngeren heute?

Brigadegeneral Robert Sieger: Aber auch wir Älteren mussten die Grundsätze der Inneren Führung erst erlernen und sie erleben, um sie leben und vorleben zu können. Das gilt heute auch. Wer zu uns kommt, ergreift einen ganz besonderen Beruf, mit besonderen Regeln, mit besonderen Anforderungen und mit einer Führungs- und Organisationskultur – der Inneren Führung –, um die uns andere Nationen, aber auch die Wirtschaft beneidet. Darauf müssen sich die „Jüngeren“ einlassen. Ich erkenne im weitaus größten Teil der Menschen, die in den Streitkräften dienen wollen, richtig viel Potenzial. Gewiss sind die jungen Menschen heute anders. Aber das war zu jeder Zeit und in jeder Generation so. Das vorhandene Potenzial zu erkennen und zu heben, das ist unsere Aufgabe als Vorgesetzte in unseren Rollen „Führen–Ausbilden–Erziehen“.

Die Bundeswehr ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der wir leben. Kann man da überhaupt verhindern, dass einzelne Soldaten vom festen Boden des Grundgesetzes ins Extremistische abrutschen?

Zunächst einmal könnten wir darüber diskutieren, welche Art von Streitkräften mehr Spiegel der Gesellschaft sein kann: Wehrpflichtarmee oder Freiwilligenstreitkräfte. Aber das ist nicht der Kern. Wir unternehmen als Bundeswehr sehr viel, um zu verhindern, dass Menschen mit Verdacht auf extremistischen Hintergrund überhaupt in die Bundeswehr kommen. Bereits vor der Einstellung kommt hier den Karrierecentern der Bundeswehr eine wichtige Rolle zu. Gleiches gilt für die Sicherheitsüberprüfung durch den MAD. Können uns Menschen dennoch täuschen, können auch Fehler passieren? Aus meiner Sicht ein klares Ja, ich rechne hier jedoch nicht mit großen Zahlen. Sind die Menschen erst einmal in der Bundeswehr, bleibt es unsere Aufgabe – vor allem der Führungskräfte –, durch Erziehung und Vorleben der Inneren Führung deutlich zu machen, was man als Soldat/Soldatin tut oder eben nicht – also Charakterbildung. Es ist aber auch Aufgabe der Kameradinnen und Kameraden, aufmerksam zu sein und nicht aus falsch verstandener Kameradschaft nicht tolerierbares Verhalten letztlich noch zu decken. Denn genau das schadet der Einsatzbereitschaft im Kern.

Die insgesamt geringen Zahlen im gesamtgesellschaftlichen Vergleich zeigen, dass wir sehr aufmerksam und konsequent sind. Natürlich dürfen wir nicht nachlassen – für ein Nachlassen sehe ich allerdings auch keine Hinweise, ganz im Gegenteil.

Welche Instrumente hat die Bundeswehr gemeinsam mit dem Zentrum für Innere Führung ZInFü überhaupt in der Hand, um mit Erziehung und Ausbildung ein solches Abrutschen zu verhindern?

Der Gedanke „Abrutschen“ führt in die Irre. Die Innere Führung fördert Haltung und Verhalten, sie bietet Orientierung durch das Schaffen eines stabilen Wertegerüstes im Kontext militärischen Dienens. Sie ist kein Wohlfühlpaket und keine weiße Salbe. Innere Führung ist ein unverzichtbarer Kräftemultiplikator für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Sie ist als unsere Führungs- und Organisationskultur zu erlernen und zu leben. Sensibilisierung, Prävention, Bildung und Erziehung sind dazu unverzichtbare Bestandteile. Das Zentrum Innere Führung unter der Führung von Generalmajor Bodemann bietet eine ganze Palette von Instrumenten und Angeboten. Diese reichen von der Multiplikatorenausbildung der Ebenen Einheit bis B6+, über mobile Aktionsprogramme vor Ort in der Truppe über speziell auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittene Angebote, Handreichungen für Führungskräfte oder Print- sowie Multimediaangebote, wie zum Beispiel die Zeitschrift „IF“, die jeweilige Schwerpunktthemen aufgreift. In unseren Trainings vermitteln wir die erforderlichen Kenntnisse über Wurzeln und Gründe von Radikalisierung, Erscheinungsformen und Auswirkungen von Extremismus sowie Präventionsmaßnahmen und Unterstützungsmöglichkeiten. Die Immunisierung gegen Extremismus ist für das ZInFü eine vorrangige Aufgabe. Dies bedeutet, mit modernen Vermittlungsformaten differenzierte und zugleich praxisnahe Informationen bereitzustellen. Und dass unsere Trainings greifen, steht für mich außer Frage.

Wie würden Sie einen Extremisten definieren?

Aus meiner Sicht sind wir immer gut beraten, von der offiziellen Definition auszugehen und dann auch sprachlich sauber zu bleiben. Unsere Verfassungsschutzorgane unterscheiden grundsätzlich zwischen Radikalen und Extremisten, obgleich diese Zuweisungen im allgemeinen Sprachgebrauch oft synonym beziehungsweise unscharf gebraucht werden.

Ein Radikaler – gleich welcher politischen oder weltanschaulichen Richtung – neigt in seinem Denken und Handeln dazu, politische und gesellschaftliche Probleme und Konflikte von der Wurzel her, also radikal zu lösen. Dabei bewegt er sich immer noch im Wesentlichen auf dem Boden unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Demgegenüber trachtet ein Extremist danach, den demokratischen Rechtsstaat und die Prinzipien unserer Verfassungsordnung mit allen verfügbaren Mitteln – einschließlich Gewaltanwendung – im Extremfall bis hin zum Terror anzugreifen. Ein Extremist möchte das bestehende System überwinden und beseitigen. Da die Bundeswehr die freiheitlich demokratische Grundordnung schützt und verteidigt, finden zu Recht bei uns nur diejenigen einen Platz, die bereit und willens sind, für diese Grundordnung aktiv einzutreten.

Woran kann man einen Extremisten erkennen?

Darauf gibt es schon alleine deswegen keine einfache Antwort, weil die unterschiedlichen Ausprägungen des politischen, weltanschaulichen und religiösen Extremismus sehr komplex sind und sich in unterschiedlichsten Weisen zeigen, manchmal offen, manchmal subtil, manchmal gut verborgen. Leicht ist es, wenn jemand durch offen rassistische oder extremistische Aussprüche auffällt, szenetypische Erkennungszeichen zur Schau stellt beziehungsweise insbesondere im Bereich des Rechtsextremismus übersteigerten Nationalismus, Fremdenhass und insbesondere Antisemitismus zum Ausdruck bringt. Gerade weil sich Extremisten und extremistisches Verhalten in unterschiedlicher Weise ausdrücken können, befähigen wir insbesondere die militärischen Vorgesetzten zur Früherkennung. Daneben gilt: Vorgesetzte müssen ihre Soldatinnen und Soldaten kennen. Je enger und vertrauensvoller der Kontakt in der militärischen Gemeinschaft, desto eher ist es möglich, Extremisten zu identifizieren und auch pflichtgemäß zu melden. Mir geht es dabei weder um krankhafte Überwachung noch um Denunziation. Es geht mir um unseren klaren Kompass, nämlich dass wir kontroverse Diskussionen zulassen, zugleich keinerlei extremistisches Verhalten dulden und unsere Verfassung auch nach innen schützen.

Erziehen und Ausbilden oder auch Leben, Erleben, Vorleben – sind diese Tugenden heute noch vermittelbar?

Soldat oder Soldatin zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere. Es ist nichts Besseres, aber in jeder Hinsicht etwas Besonderes. Nirgendwo sonst leisten wir einen Eid oder ein Gelöbnis, in dem wir schwören oder geloben, unserem Land treu zu dienen und Recht und Freiheit notfalls unter Einsatz unseres eigenen Lebens zu verteidigen, also bewusstes, aktives Handeln in die Gefahr hinein. Nirgendwo sonst ist das scharfe Ende – notfalls töten zu müssen oder getötet zu werden – in diesem Ausmaß integraler Bestandteil des eigenen Dienens. Unser Dienen, ob auf Zeit oder als Beruf angelegt, unterliegt besonderen Bedingungen und Anforderungen – charakterlich, physisch und psychisch. Entsprechend hoch ist der Orientierungsbedarf gerade junger Soldatinnen und Soldaten. Sie, aber auch Seiteneinsteiger, wissen bei Dienstantritt meist nur wenig über die besonderen Anforderungen des soldatischen Dienstes. Dadurch können wir die erforderliche innere Haltung für die Einsatzbereitschaft nicht vom ersten Tag an erwarten. Diese Haltung muss angelegt und zielgerichtet gefördert werden. Dazu ist der Dreiklang aus Führen, Ausbilden und Erziehen beziehungsweise Leben, Erleben, Vorleben als Kernaufgabe militärischer Vorgesetzter unverzichtbar. Von Vorgesetzten verlangt dies Integrität, Verantwortungsbewusstsein, Empathie, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeitssinn, um nur einiges zu nennen.

Auch wenn einiges, was in unserer Gesellschaft als konsentiertes Verhalten gilt, in der Bundeswehr keinen Platz hat, ist militärische Erziehung keine „Nach-Erziehung“, die vorrangig bisherige Versäumnisse nachzuholen hat. Militärische Erziehung hat die einsatzbereiten Soldatinnen und Soldaten zum Ziel, die im Gehorsam ihrem Gewissen folgen und aus Überzeugung ihren Dienst auf dem Boden unserer Verfassung leisten.

Sind Ihrer Meinung nach die vorhandenen disziplinarischen Maßnahmen im Fall eines nachgewiesenen Extremismus streng genug oder sollte der Gesetzgeber hier noch weiter verschärfen?

Das Disziplinarrecht sieht in Fällen eines nachgewiesenen Extremismus, also einer verfestigten verfassungsfeindlichen Gesinnung, regelmäßig die Entfernung aus dem Dienstverhältnis vor. Das ist die strengste Disziplinarmaßnahme, die es gibt, weshalb sie auch nur das Truppendienstgericht verhängen kann. Das ist nicht nur der sprichwörtliche ,,Rausschmiss“, sondern hat auch den Verlust des erdienten Dienstgrades sowie der Versorgungs- und Berufsförderungsansprüche zur Folge. Es ist also weit mehr als ,,nur“ die Entlassung. Das ist aus meiner Sicht schon jetzt eine sehr tiefgreifende, weitreichende und drastische Maßnahme. Es ist ein deutliches Zeichen, dass Extremismus in der Bundeswehr unter keinen Umständen geduldet, sondern schwer geahndet wird. Deshalb muss der Gesetzgeber hier meiner Meinung nach nicht tätig werden. Viel wichtiger ist, dass jedem Verdacht auf Extremismus schnell und umfassend nachgegangen wird. Das erfolgt aus meiner Sicht. Jetzt geht es darum, hier nicht nachzulassen, aber natürlich auch darum, nach Wegen zu suchen, die bestehenden Verfahren deutlich zu beschleunigen. Eine andere Frage und ganz unabhängig vom Thema Extremismus ist, inwieweit die Bundeswehr grundsätzlich weitere Möglichkeiten benötigt, sich bei Bedarf auch von ihren Angehörigen trennen zu können.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick