„Die imperialistische Bedrohung Putins wird nicht in drei Monaten vorbei sein“
Wie wehrhaft, wie kriegstüchtig ist Deutschland? Um diese Frage, die durch das „Taurus-Leak“ nochmals an Aktualität gewann, drehte sich alles bei der jüngsten Ausgabe von „Hart aber fair“. Oberst André Wüstner diskutierte mit.
Die Luftwaffenspitze tauscht sich über den Taurus-Marschflugkörper aus, mögliche Szenarien, wie die Ukraine die Hightech-Waffe einsetzen könnte, werden besprochen, ebenso die Frage, ob deutsche Soldaten für einen derartigen Einsatz notwendig wären oder nicht. So weit, so gut, kein Grund zur Aufregung, alles im normalen Rahmen. Militärs reden eben über militärische Dinge. Doch dass ein Mitschnitt dieses Gesprächs am vergangenen Freitag vom russischen Staatspropaganda-Organ RT veröffentlicht wird, ist alles andere als normal. Befremdlich wirkt auch, dass das Video-Telefonie-Tool WebEx für das Gespräch genutzt wurde.
„Wie kann es sein, dass ranghohe Offiziere Gespräche über so unsichere Kanäle führen?“ – mit dieser Frage konfrontiert Moderator Louis Klamroth gleich eingangs der Runde den Bundesvorsitzenden, Oberst André Wüstner, der mit einer Reihe weiterer Soldatinnen und Soldaten ins WDR-Studio gekommen ist. „Eine gute Frage“, sagt Wüstner. Verteidigungsminister Boris Pistorius habe den Vorfall „ganz gut eingeordnet“ und beschrieben, dass der Vorfall untersucht werde. „Gut war auch, dass er beschrieben hat, dass das, was erörtert wurde, eigentlich zum Handwerkszeug von Offizieren gehört, Optionen für Politik zu durchdenken, unabhängig davon, dass man das Primat der Politik nicht in Frage stellt.“ Allerdings sei er auch „fassungslos“ gewesen. Denn es sei seit Jahren bekannt, dass immer wieder Eindringversuche und Hacker-Angriffe seitens Russlands erfolgen.
„Das hat alle nochmal aufgeweckt“
„Das zeigt vielleicht auch, dass wir alle nochmal reflektieren müssen, in welcher Art und Weise wir nicht nur in der Bundeswehr, sondern in der gesamten Regierung und der Politik sicherer als bisher kommunizieren müssen.“ Denn der aktuelle Spionagefall habe sowohl internationale als auch innenpolitische Konsequenzen. Der Bundesvorsitzende mahnt aber, erst einmal abzuwarten, was die Aufklärung des Vorfalls ergebe. Sicher sei: „Das hat alle nochmal aufgeweckt in der Bundeswehr, was den Umgang mit sensiblen Daten anbelangt.“
Das „Taurus-Leak“ war sicherlich der Höhepunkt einer turbulenten Woche, die nicht frei von Irritationen blieb. Zunächst drohte Putin – wieder einmal – mit dem Einsatz von Atomwaffen, dann wurde deutlich, wie unharmonisch man derzeit in der Europäischen Union miteinander umgeht. Bundeskanzler Olaf Scholz schloss zunächst in „Basta-Manier“ die Abgabe von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine aus, im nächsten Atemzug wollte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wiederum den Einsatz von europäischen Bodentruppen in der Ukraine nicht mehr völlig ausschließen. Über die europäischen Dissonanzen dürfte sich zumindest einer gefreut haben: Wladimir Putin.
So ist es auch Olaf Scholz, der viel Kritik in dieser TV-Show einstecken muss: Die Verteidigungspolitikerin Serap Güler (CDU) geht dabei auf die Äußerungen des Kanzlers bezüglich Taurus ein, die für Ärger in Frankreich und Großbritannien gesorgt haben, die ihrerseits schon Marschflugkörper der Typen Scalp und Storm Shadow geliefert haben. Scholz habe den Verbündeten „vors Schienbein getreten“. Güler wird deutlich: „Der Kanzler bildet ein echtes Sicherheitsrisiko für unser Land“. Die Kommunikation von Olaf Scholz, dessen Agieren in der Runde durch die frühere Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal verteidigt wird, sei „eine intellektuelle Zumutung“.
„Keinen Millimeter gen Westen“
Widerspruch erntet der Bundeskanzler auch vom Koalitionspartner. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) sieht im Gegensatz zu Scholz nicht zwangsläufig das Risiko einer deutschen Kriegsbeteiligung und eines Angriffs auf russisches Territorium, wenn Taurus von der Ukraine eingesetzt wird. Es sei möglich, den Marschflugkörper zu „geofencen“, also ihn so zu programmieren, dass Angriffe auf russisches Gebiet völlig ausgeschlossen seien. „Die Frage, ob man den Ukrainern trauen kann oder nicht, ist damit hinfällig“, betont Hofreiter.
Wüstner mahnt nach dem Zwist der vergangenen Tage den europäischen Zusammenhalt an: „Es braucht Geschlossenheit in Europa, denn diese imperialistische Bedrohung Putins wird nicht in drei Monaten vorbei sein.“ Die Atomdrohungen von Putin und seinen Gehilfen bezeichnet Wüstner als „eine Art neuer Kriegsführung, unter der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen Grenzen gewaltsam zu verschieben“. Mit Blick auf Gewalt, Folter, Vergewaltigungen müsse man alles daransetzen, „dass das alles keinen Millimeter gen Westen rückt“. Putin wolle Europa dominieren und Europa spalten – die ständigen Drohungen seien seine Masche, bekräftigte der Bundesvorsitzende.
Genau aus diesem Grund sei es elementar, der Gesellschaft klarzumachen, worum es geht: Nämlich mehr in Verteidigungsfähigkeit, in Abschreckungsfähigkeit zu investieren. Ebenso sei es notwendig, die Ukraine weiter zu unterstützen. „Denn dort wird die Freiheit Europas verteidigt“, sagte Wüstner. Man könne den Menschen in Deutschland Ängste nehmen, indem man sich wieder abschreckungsfähig zeige – denn nur diese Sprache der Stärke wirke auf Putin. „Wer verteidigungsfähig ist, schreckt ab, wer es nicht ist, lädt ein“, fasst der Bundesvorsitzende zusammen.
Was bleibt sonst noch von dieser „Hart aber fair“-Sendung? Da ist der Linken-Politiker Jan van Aken, der die aktuelle Bedrohung aus dem Osten mit den Zeiten des Kalten Krieges vergleicht und die Entspannungspolitik von Willy Brandt lobend erwähnt. Für den emotional sichtlich aufgeladenen Hofreiter ein Vergleich, bei dem man „eigentlich davonlaufen“ müsste, ein Vergleich, der „fast bizarr falsch“ sei.
„Als Gesellschaft füreinander da sein“
Dann geht es noch um das Thema Wehrpflicht, wobei Wüstner die besonderen Herausforderungen bei der schwierigen Personalgewinnung hervorhebt. Dass man sich über das Thema Wehrpflicht Gedanken mache, sei jedoch schon ein guter Schritt, sagt der Bundesvorsitzende.
Das Schlusswort zur Sendung bleibt einer Soldatin im Publikum vorbehalten: „Ich bin stolz, Soldatin zu sein und ich bin froh, dass ich heute hier sein und diese Diskussion verfolgen konnte. Wir brauchen den öffentlichen Diskurs über das, was wir machen, darüber, dass wir einen ganz sinnhaften Beruf haben, dass wir wichtig sind für die Gesellschaft, dass wir nicht nur den äußeren Frieden mitverantworten, sondern auch den inneren Frieden. Denn das, was Soldatinnen und Soldaten leisten, das passiert nicht nur im Auslandseinsatz, das passiert jeden Tag. Mit Kameradschaft, mit Zusammenhalt, mit Gemeinschaftsgefühl. Wir sind als Soldaten füreinander da – wir müssen auch als Gesellschaft füreinander da sein.“