Bundeskanzler Konrad Adenauer (r.) und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Bischof Otto Dibelius, unterzeichneten am 20.2.1957 in Bonn einen Vertrag über die Militärseelsorge in der Bundeswehr. Foto: Bundesarchiv/Wikimedia

Bundeskanzler Konrad Adenauer (r.) und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Bischof Otto Dibelius, unterzeichneten am 20.2.1957 in Bonn einen Vertrag über die Militärseelsorge in der Bundeswehr. Foto: Bundesarchiv/Wikimedia

23.02.2022
ffs

Die Gewissen schärfen, statt sie zu beruhigen

Selbst die Seelen sollten zu Gewehren und Kanonenrohren werden. Und die sich um die Seelen sorgten, Priester und Pastöre, denen man vertraut, sollten diese Waffen unter Einsatz ihrer Worte laden und entsichern helfen. Das Wort, es war nicht nur am Anfang!

Elf Tage vor dem Überfall auf Polen notierte die Gruppe Seelsorge im Oberkommando des Heeres (OKH) am 21. August 1939 im „Merkblatt über Feldseelsorge“, wie diese Art der Seelsorge für die politischen und militärischen Ziele des NS-Regimes instrumentalisiert werden sollte. „Alle Kriegserfahrungen haben gelehrt, dass die seelische Kraft eines Heeres seine beste Waffe ist. Sie zieht aber ihre Kraft in erster Linie aus einem festen Glauben“, heißt es in dem Papier. Daraus zieht die Arbeitsgruppe des OKH folgende – auch organisatorische – Schlussfolgerung: „Die Feldseelsorge ist daher ein wichtiges Mittel zur Stärkung der Schlagkraft des Heeres. Sie ist eine dienstlich befohlene Einrichtung der Wehrmacht.“

Circa 60 Millionen Tote später, elf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und gut ein Jahr nach der Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 setzten in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn zwei Politiker und zwei Pastöre ihre Unterschriften unter einen Vertrag, der gewährleisten soll, dass in Deutschland nie wieder evangelische Seelsorger daran mitwirken, Soldaten und Soldatinnen zu manipulieren und seelisch zu deformieren.

Es war vor 65 Jahren, am 22. Februar 1957, da unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU), der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Otto Dibelius, und der Leiter der EKD-Kirchenkanzlei, Heinz Brunotte, den „Vertrag der Evangelischen Kirche in Deutschland mit der Bundesrepublik Deutschland zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge“.

Damit sei „etwas ganz Neues passiert“, sei „die Militärseelsorge ganz neu gedacht worden“, umreißt Dr. Dirck Ackermann, Leiter des Referats für Seelsorge und Theologische Grundsatzangelegenheiten im Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr in Berlin, die historische Dimension des Vertragswerks.

Die Militärseelsorge sollte künftig „eine Gestalt der Kirche sein und nicht eine Gestalt des Militärs“, betonte Ackermann im Gespräch mit dem Historiker Oberstleutnant Dr. Harald Fritz Potempa, Pressestabsoffizier des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Es gebe daher in der Bundeswehr „keine eigenständige Militärkirche mehr“, so Ackermann. „Die Militärseelsorge ist kein militärisches Führungsinstrument.“ Die Militärseelsorger werden vielmehr von der jeweiligen Kirche bzw. Kirchengliederung bestimmt, sie bewegen sich außerhalb der militärischen Hierarchie und sind demzufolge nicht weisungsgebunden. Und die Soldaten sind als Staatsbürger in Uniform ganz normale Gemeindemitglieder.

Seit dem Vertrag von 1957 der EKD mit der Bundesregierung gehe es „nicht mehr darum, dass die Militärseelsorge Einsätze legitimiert und zur Stärkung der Kampfmoral beiträgt“, erläuterte gegenüber Oberstleutnant Potempa der evangelische Theologe im ZMSBw, Dr. Sven Behnke. Vielmehr hätten die Militärseelsorger seither ausschließlich „die Aufgabe, Dienst am Wort zu tun“.

Die unbedingte Konzentration der Militärgeistlichen auf die individuellen ethischen Konflikte, mit denen nicht wenige Bundeswehrsoldaten innerlich rangen, manifestierte sich bereits kurz nach Kriegsende. 1948 beschloss der ökumenische Rat der Kirchen, woran Dr. Ackermann in dem 31. ZMSBw-Podcast „Zugehört!“ erinnerte: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein! Daran fühlte sich auch die evangelische Kirche in Deutschland gebunden.“

Darüber hinaus lag die militärseelsorgliche Neuausrichtung „im Interesse der Streitkräfte selber“, so Dr. Ackermann. Konkret: Sie lag im Interesse der neuen Konzeption der Inneren Führung. Wolf Graf von Baudissin als einer der Väter der Inneren Führung brachte das auf Spannung angelegte Verhältnis von Militär und Kirche auf die Formel: Die Militärgeistlichen sollen die Gewissen der Soldaten schärfen, statt sie zu beruhigen!

An den Schleifsteinen des Gewissens verrichten seither etwa 200 Militärseelsorger ihren Dienst, in der Regel für die Dauer von sechs Jahren, in Ausnahmefällen auch für längere Zeit. Den Soldatinnen und Soldaten stehen jeweils etwa hundert evangelische sowie katholische Militärgeistliche als Ansprechpartner zur Verfügung. Hinzu kommt – momentan – ein Militärrabbiner. Allerdings existiert die Institution des Militärrabbinats erst seit 2019 und ist weiterhin im – nicht unkomplizierten – Aufbau befindlich. Geplant ist die Einstellung von zehn Militärrabbinern, die dem Militärbundesrabbiner unterstellt sind, welcher vom Zentralrat der Juden in Deutschland bestimmt wird.

„Wir vertreten alle jüdischen Strömungen und haben damit die besondere Herausforderung, dass wir allen Strömungen gerecht werden müssen“, berichtet Dr. Angelika Günzel, Leiterin des Militärrabbinats. „Wir gehen in Deutschland von drei großen Strömungen aus: dem liberalen Judentum, dem konservativen und dem orthodoxen.“

Erster Militärbundesrabbiner ist seit dem 21. Juni 2021 der orthodoxe Landesrabbiner von Sachsen, der 43 Jahre alte Zsolt Balla. Der höchste evangelische Militärgeistliche ist seit 2020 der Militärbischof Dr. Bernhard Felmberg, 1965 in Berlin geboren. Auch er steht in keinem Dienstverhältnis zur Bundeswehr, vielmehr wird er vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ernannt und ist allein der Kirche verantwortlich. An der Spitze der katholischen Militärseelsorger steht seit 2011 als Militärbischof der 1964 in Marl geborene Bischof von Essen, Dr. Franz-Josef Overbeck.

Man könnte meinen, dass – angesichts der seit der Wiedervereinigung gesunkenen Truppenstärke – heutzutage weniger Militärseelsorger für die Soldatinnen und Soldaten der Bunderwehr erforderlich wären. Aber das ist ein Irrtum!

Die Auslandseinsätze der Bundeswehr führen vielmehr dazu, dass zwischenzeitlich 20 Prozent der Militärgeistlichen in Kampfgebieten tätig sind, weil gerade dort die Seele erste Hilfe benötigt.

Anschließend beginnt eine zumeist langwierige und komplizierte Pflege der seelisch Verwundeten. „Viele Soldaten kommen belastet aus den Auslandseinsätzen nach Hause“, berichtet Dr. Ackermann. Und dabei gehe es nicht nur um posttraumatische Belastungsstörungen, sondern auch um moralische Verletzungen (Moral Injury).

Das Bundeswehrkrankenhaus führt auf seiner Homepage aus, worum es sich dabei handelt: „Besonders ausgeprägt zeigt sich der Einfluss eigener Wertesysteme auf die psychische Gesundheit, wenn es zu sogenannten moralischen Verletzungen kommt (Moral Injury). Darunter versteht man die Verletzung eines Menschen, die sich nicht auf einer körperlichen oder psychischen Ebene abspielt, sondern die das moralische Erleben in Frage stellt.“

Auslandseinsätze erfordern allerdings nicht nur eine Nachbehandlung der Patienten, sondern – da das erfahrene Leid oftmals kolportiert wird und Ängste freisetzt – auch eine Vorfeldbehandlung. „Militärseelsorger bereiten auf Auslandseinsätze vor und arbeiten sie auch auf“, beschreibt Dr. Ackermann die Lage.

Wie Kinder damit umgehen, wenn ihr Vater nach einem Auslandseinsatz heimkehrt? Oder die Mutter... Wenn zu Hause der Vater, die Mutter plötzlich, aus scheinbar fehlendem Grund, aus der Rolle fallen... Wenn sie förmlich explodieren... Wenn das Kinderzimmer zur Heimatfront wird...

Zu dieser Problematik gibt es inzwischen ein Kinderbuch, „Schattige Plätzchen“ heißt es, das versucht, Kindern zu begreiflich zu machen, warum Vater und Mutter nach dem Auslandseinsatz so anders sind als vorher. Wer interessiert ist, kann sich auf der Homepage des Bundeswehrkrankenhauses einen Eindruck von dieser speziellen Problematik verschaffen.

„Hier liegt eine Aufgabe für eine Generation noch vor uns; denn diese Traumatisierungen verheilen sehr langsam“, sagt Dr. Ackermann vom Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr in Berlin überzeugt. Die Soldatinnen und Soldaten müssten intensiv begleitet werden. „Wir kümmern uns auch um Hinterbliebene von im Auslandseinsatz Gefallenen.“

Doch das allein, so wichtig das auch sei, reiche nicht aus, ist Dr. Ackermann überzeugt. „Es bedarf auch der Solidarität der Gesellschaft, diese Soldaten zu begleiten.“

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