Die Lage von mehr als 100 afghanischen Ortskräften ist zwei Jahre nach dem Abzug der Bundeswehr vom Hindukusch immer noch unklar: Das war auch Thema beim 2. Ortskräftekongress mit (v.li.) Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, stellv. Vorsitzender Deutscher BundeswehrVerband, Marcus Grotian vom Partnerschaftsnetzwerk und Qais Nekzai.

13.08.2023
Von Judka Strittmatter

"Die Bundeswehr ist nicht der Bremser"

Berlin.  Knapp 1.800 Afghanen, die bis zum Jahr 2021 als Ortskräfte für die Truppe gedient haben, sind so genannte berechtigt klassifizierte Ortskräfte, die mit ihren Kernfamilien nach Deutschland dürften. Etwa 1.500 von ihnen sind inzwischen mit ihren Familien evakuiert worden.  Ein großer Teil der Verbliebenen 300 steht kurz vor seiner Ausreise nach Deutschland, jedoch ist das Schicksal anderer ehemaliger Helfer der Bundeswehr und weiterer Regierungsressorts nach wie vor ungewiss. Wie es ihnen ergeht, wie sich die Lage in Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban entwickelt hat und wo es Möglichkeiten der Verbesserung der Verfahren gibt, sind Fragen, die beim 2. Ortskräftekongress beantwortet werden sollten.

Wir haben eine moralische Verantwortung"

Was kann man heute, zwei Jahre nach dem Abzug der Bundeswehr aus dem zerrütteten Land, noch tun? „Wir haben eine moralische Verantwortung“, sagte Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, stellv. Vorsitzender des Deutschen BundeswehrVerbandes am Samstagmorgen zum Auftakt des 2. Ortskräftekongresses in Berlin-Mitte. Diesen Kongress hat der Deutsche BundeswehrVerband gemeinsam mit dem Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte, Pro Asyl und der Evangelischen Akademie zu Berlin in der Französischen Friedrichstadtkirche organisiert.

Der Fokus der Veranstaltung, auf der ehemalige Ortskräfte, Vertreter von Pro Asyl und andere Beteiligte zu Wort kamen, die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) ihre Teilnahme aber kurzfristig abgesagt hatte, lag abermals auf dem ungewissen Schicksal von afghanischen Übersetzern, Fahrern und Helfern, die nach dem Abzug in Afghanistan vor zwei Jahren zurück- und ihrem Schicksal überlassen wurden, obwohl die Bundesregierung versprochen hatte, auch ihnen zu helfen.

Die Auswahl zwischen Bürokratie und Humanität

Man habe zu einem großen Teil der durch die Bundeswehr anerkannten Ortskräfte, die noch in Afghanistan sind, Kontakt über ein eigens eingerichtetes Callcenter des Einsatzführungskommandos und andere Kanäle, erklärte Bohnert, in Teilen sei er aber auch abgerissen. Weit mehr als 100 Ortskräfte, mit denen man in Verbindung stehe, haben gute Chancen auf eine baldige Ausreise mit ihrer Kernfamilie nach Deutschland. Sowohl Marcel Bohnert als auch andere Soldaten, die in Afghanistan stationiert waren, spüren Verantwortung für diese Menschen, mit denen man im Krieg gemeinsam operiert habe. So berichtet es der Oberstleutnant im Generalstabsdienst. Bohnert zitierte während seiner Ansprache auch den Leiter des Afghanistan-Untersuchungsausschusses der Bundesregierung, Ralf Stegner (SPD), dessen Eindruck es sei, dass man sich bei der Wahl zwischen Bürokratie und Humanität für erstere entschieden habe.

Wichtig sei ihm aber zu erwähnen, betonte Bohnert, dass „die Bremser und Blockierer nicht in der Bundeswehr zu finden sind“. Die Aufarbeitung des Emailverkehrs und Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss zur Militärischen Evakuierungsoperation in Afghanistan würden eindeutig belegen, „dass sich die Bundeswehr als Treiber im Ortskräfteverfahren herauskristallisiert hat“. Die Bundeswehr habe seiner Erfahrung nach zudem auch in Graubereichen und Härtefällen immer versucht, eine Entscheidung für die Ortskraft und ihre Familie zu erreichen.

„Die Bundesregierung hat nichts gelernt aus Afghanistan"

Qais Nekzai, 31, vom Patenschaftsnetzwerk machte an diesem Tag seiner Enttäuschung auf und neben der Rednerbühne Luft. Vor zwei Jahren hatte er gehofft, dass das Ortskräfteverfahren mit der neuen Regierung wieder Schwung bekommt – vergeblich. Er selbst hat als Übersetzer im Norden Afghanistans für die Bundeswehr gearbeitet, nachdem er sich 2008 bei selbiger beworben und die schriftliche und mündliche Prüfung bestanden hatte. Nun lebt er schon seit einigen Jahren in Deutschland, hat sein Abitur nachgeholt und Soziale Arbeit studiert. Verstehen kann er auch nicht, dass etliche Afghanen, die ebenfalls als Ortskräfte tätig waren, nicht antragsberechtigt sind, zum Beispiel, weil ihr Vertrag zu weit in der Vergangenheit liegt. Auch diese hätten ihr Leben eingesetzt und ein Recht, in Deutschland in Sicherheit zu leben. „Warum darf ich hier sein, sie aber nicht? Das haben sie nicht verdient!“

Marcus Grotian, Vorsitzender des Patenschaftsnetzwerkes und seinerzeit mit Marcel Bohnert in der gefährlichen Kunduz-Region im Norden Afghanistans eingesetzt, übte wie viele andere auch Kritik an der Ampel-Koalition, der es vor allem an generellen Schutzkonzepten für Krisenregionen mangele, wie gerade auch in Mali und dem Sudan: „Die Bundesregierung hat nichts gelernt aus Afghanistan“, sagte er. Im Prozess um die afghanischen Ortskräfte gestand er aber auch ein leichtes Vorankommen ein. „Um einen Passport zu kriegen, muss heute viel Geld in Kabul hingelegt werden, wir versuchen in solchen Fällen mit Spenden einzuspringen.“

Wenn die Taliban könnten, würden sie das Atmen verbieten

Emotional wurde die Veranstaltung beim Auftritt zweier Mitglieder des AfgActivistCollective, die ihre Rede mit dem Satz „Zwanzig Jahre wurden Steuergelder ausgegeben, um die Taliban durch die Taliban zu ersetzen“ eröffneten und unter Tränen die Lage der Zurückgebliebenen schilderten, vor allem die der jungen, unverheirateten Frauen, welche die Taliban wie Sklavinnen behandeln würden. „Wenn die Taliban könnten, würden sie ihnen das Atmen verbieten“, sagte auch Dr. Alema Alema von Pro Asyl.

 

 

Hören Sie hier die Rede von Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert vom Ortskräftekongress

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