Mit der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung gehen wieder größere Streitkräfteumfänge wie auch die Notwendigkeit eines umfassenden Pools von Reservekräften einher. Foto: picture alliance/ZB/Sascha Steinach

Mit der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung gehen wieder größere Streitkräfteumfänge wie auch die Notwendigkeit eines umfassenden Pools von Reservekräften einher. Foto: picture alliance/ZB/Sascha Steinach

15.08.2023
Von Ines-Jacqueline Werkner

Die Bundeswehr im neuen Modus – Wehrpflicht revisited?

Mit der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung gehen wieder größere Streitkräfteumfänge wie auch die Notwendigkeit eines umfassenden Pools von Reservekräften einher. Dass das nicht einfach ist, dafür gibt es eine Reihe an Gründen.

Die empirisch angelegte Studie analysiert den Wandel der Bundeswehr von der Wehrpflicht- zur Freiwilligenarmee, reflektiert diesen sowohl im Lichte der sicherheitspolitischen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte als auch angesichts einer nunmehr wieder stärkeren Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung.

Deutschland hat lange an der Wehrpflicht festgehalten und gehörte zu den letzten Ländern in Europa, die diese ausgesetzt und sich für eine Freiwilligenarmee entschieden haben. Der Übergang zur ausschließlich freiwilligen Form der Rekrutierung erfolgte weitgehend ohne die von Kritikerinnen und Kritikern prognostizierten Probleme. Eine Entwicklung zu einer „Unterschichtenarmee“ bzw. zu einer „Armee der Perspektivlosen“ hat es nicht gegeben. Im Gegenteil: Das Bildungsniveau der neuen Soldatinnen und Soldaten ist mit der Freiwilligenarmee – gemessen am Schulabschluss – sogar noch leicht angestiegen.

Dazu hat wesentlich auch der im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern geringe Wehrpflichtanteil in der Bundeswehr beigetragen: Dieser reduzierte sich – bezogen auf die Grundwehrdienstleistenden – von 44 Prozent im Jahr 1990 über 17 Prozent im Jahr 2005 auf lediglich 12 Prozent im Jahr 2010. Inzwischen haben sich die sicherheitspolitischen Konstellationen, die zu diesem Wandel führten (wie der Wegfall der unmittelbaren territorialen Bedrohung oder auch die starke Fokussierung auf internationales Krisenmanagement), angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine erneut verändert – nicht nur graduell, sondern radikal.

Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt

Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern europaweit. Mit der Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung gehen wieder größere Streitkräfteumfänge wie auch die Notwendigkeit eines umfassenden Pools von Reservekräften einher. Zugleich sind Freiwilligenstreitkräfte in der Personalgewinnung gefordert. Das betrifft die generelle Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt; zudem wirkt sich aber auch die aktuelle sicherheitspolitische Situation auf die Rekrutierung aus. Denn während für die einen die Landes- und Bündnisverteidigung explizite Motivation sein mag, sich bei der Bundeswehr zu bewerben, lassen sich andere eher davon abschrecken. Auf Letzteres deuten unter anderem die steigenden Kriegsdienstverweigerungen hin.  

So sind – nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Staaten – Debatten darüber entfacht, wie sich die aktuellen Herausforderungen, vor allem Fragen der Personalgewinnung angesichts wieder größer werdender Streitkräfte und der Aufstellung einer umfassenden Reserve, am besten lösen lassen. Mit der Stärkung der Heimatschutzkomponente, dem Pilotprojekt „Dein Jahr für Deutschland“ und der Einführung der Grundbeorderung hat die Bundeswehr wichtige und notwendige Schritte unternommen. Dennoch bleibt die Personalgewinnung ein stetes Ringen auf niedrigem Niveau.

Damit besteht – insbesondere, wenn die Streitkräfte zahlenmäßig weiter anwachsen müssen – die Gefahr, nicht mehr genügend geeignetes Personal rekrutieren zu können. Ein Blick auf aktuelle Zahlen (bezogen auf das Jahr 2022) zeigt: Während bei den Offizieren auf eine Einplanung noch 5,2 Bewerber kommen, sind es bei der Gruppe der Feldwebel, Unteroffiziere und Mannschaften (SaZ) lediglich 2,6 Bewerberinnen und bei den Freiwillig Wehrdienstleistenden gar nur 1,2 Bewerber. Bei der letztgenannten Gruppe muss faktisch fast jede Bewerberin und jeder Bewerber eingestellt werden. Die notwendige Erhöhung des Streitkräfteumfanges ist angesichts dieser Zahlen nicht erreichbar.

Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz wird gut angenommen

Das Pilotprojekt „Dein Jahr für Deutschland“, das im April 2021 startete, stellt ein zusätzliches Angebot des Dienstes in der Bundeswehr dar. Auch wenn es in der Startphase bei vielen Rekrutinnen und Rekruten zu Irritationen hinsichtlich der Ausrichtung dieses Dienstes kam – zum einen die Erwartung, vorrangig für Hilfsleistungen bei Naturkatastrophen ausgebildet zu werden, zum anderen die in der Praxis erfolgte militärische Ausbildung für den Schutz und die Sicherung von Einrichtungen, kritischer Infrastruktur und der Bevölkerung im Rahmen der Landesverteidigung – wird der Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz gut angenommen.

Positiv hervorgehoben werden insbesondere die heimatnahe Verwendung und der Ausschluss von Auslandseinsätzen, die Inhalte und Intensität der Ausbildung, aber auch die Höhe der Besoldung. Dennoch hat das Pilotprojekt – zumindest in seiner Startphase – nur bedingt eine neue Klientel gewinnen können. Dabei hätte es durchaus das Potenzial dazu. Jedoch haben die Karrierecenter einen Großteil der Rekrutinnen und Rekruten, die sich bereits im Vorfeld für einen (längeren) Dienst in der Bundeswehr interessiert haben, in den Heimatschutz ‚gedrängt‘.

Das mag politisch motiviert gewesen sein, um das Pilotprojekt in voller Stärke starten zu können, war aber eher kontraproduktiv. Letztlich vermag „Dein Jahr für Deutschland“ – und das liegt auch an dem nur geringen Umfang von jährlich 1000 Rekrutinnen und Rekruten – den Personalmangel in der Bundeswehr nicht zu lösen.

Vorbild Skandinavien

Vor diesem Hintergrund und auch angesichts der Diskussionen und Entwicklungen in anderen europäischen Ländern ist zu überdenken, ob die Wiedereinführung der Wehrpflicht – nicht der allgemeinen, aber einer selektiven Wehrpflicht nach skandinavischem Vorbild – eine mögliche Option wäre. Hier ließe sich bei der Wehrpflicht weitgehend auf Freiwilligkeit setzen: Verpflichtend rekrutiert würden nur die noch unbesetzten Dienstposten.

Dabei könnte bereits bei der Musterung die prinzipielle Bereitschaft zur Ableistung eines Wehrdienstes eruiert werden. Die Wehrpflicht würde dann – ähnlich wie in Schweden und Norwegen – für Frauen und Männer gelten. Dabei könnte das Pilotprojekt im Heimatschutz von seiner Ausgestaltung her einschließlich seiner finanziellen Anreize (zur Förderung der gesellschaftlichen Akzeptanz) ein solches Modell darstellen. D.h. nach wie vor würden nur Zeit- und Berufssoldatinnen und -soldaten in das Ausland entsendet werden, während Wehrdienstleistende ausschließlich im Inland im Bereich des Heimatschutzes eingesetzt würden.

Mit einer (selektiven) Wehrpflicht ließen sich angesichts der gegenwärtigen Bedrohungslage vier Ziele befördern: Sie könnte die Landesverteidigung verstärken (Sicherung der kritischen Infrastruktur etc.), einen Beitrag zur Personalgewinnung leisten, zum Aufbau einer umfassenden Reserve beitragen und als ein flexibles Rekrutierungsinstrument schnell auf Krisensituationen reagieren. Letztlich – und das zeigen die jüngsten Bevölkerungsumfragen, auch wenn diese eher die allgemeine Dienstpflicht im Blick haben – wäre die Mehrheit der Bevölkerung einer Wehrpflicht gegenüber aufgeschlossen.

Mit Rat und Hilfe stets an Ihrer Seite!

Nehmen Sie Kontakt zu uns auf.

Alle Ansprechpartner im Überblick