100 Milliarden Euro Sondervermögen, schön und gut: Aber der planerische Bedarf der Bundeswehr liegt bei 286 Milliarden Euro. Das sei die Lage und nichts anderes, erklärt der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner im Gespräch mit Professor Sönke Neitzel bei der Diskussion beim CDU-Panel im Konrad-Adenauer-Haus. Foto: Nils Hasenau

24.09.2023
Von Judka Strittmatter

„Deutschland muss stärkste konventionelle Kraft werden“

Mit dem neugegründeten Netzwerk Nationale Sicherheit will die CDU die Sicherheit für Deutschland und somit die Bundeswehr stärken: In einem hochkarätig besetzten Panel im Konrad-Adenauer-Haus diskutierten Experten aus Politik und Bundeswehr über dringende Fragen der „Zeitenwende“. Der DBwV war wortstark vertreten – mit seinem Bundesvorsitzenden, Oberst André Wüstner.

Berlin. „Ich begrüße sie zu einer richtig guten Veranstaltung“, sagte Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, am 21. September im Konrad-Adenauer-Haus, und eröffnete damit das Auftakt-Panel zum neu gegründeten CDU-Netzwerk Nationale Sicherheit. „Starke Bundeswehr für ein sicheres Deutschland“. Das ist das Bekenntnis der CDU zur Truppe. Nur, wie soll die Bundeswehr stärker werden. Darüber diskutierte Oberst André Wüstner, der frühere Generalinspekteur Eberhard Zorn, Professor Sönke Neitzel, Militärhistoriker an der Uni Potsdam, mit Hennig Otte, langjährigem verteidigungspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Moderiert hat Kerstin Vieregge, Obfrau der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion im Verteidigungsausschuss.

„Wir erleben eine tektonische Machtverschiebung“

„Wir erleben eine tektonische Machtverschiebung“, fuhr Generalsekretär Linnemann zur Begrüßung fort und hob damit sofort auf die dringlichen Erfordernisse der „Zeitenwende“ ab. Da seien „die Chinesen mit ihrem „militärischem Weltmarkt- und Weltmachtanspruch, die Amerikaner, die verstärkt ihre eigenen Interessen wahrnehmen – und Europa dazwischen“. Das hieße konkret für Deutschland: „Dieses Land wird mehr Geldbudgets, mehr Zeitbudgets, mehr Gehirnschmalz für diese Herausforderung Sicherheit aufwenden müssen.“ Und Johann Wadephul, Reserveoffizier und CDU-Bundestagsabgeordneter, sekundiert: „Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit. Deutschland muss die stärkste konventionelle Kraft in Europa werden.“

Doch wo steht Deutschland, wo die Bundeswehr heute? Vor allem aber: „Wie kann – oder muss – der Stellenwert der Bundeswehr insgesamt verbessert werden?“ Auch deshalb habe man sich an diesem Tage zusammengefunden, weil man das das Thema Bundeswehr „ins Land tragen wolle“. Die CDU sei zwar gegenwärtig nicht in Regierungsverantwortung, wolle sich aber dennoch stark machen für die Anliegen der Truppe. Geleitet wird das Netzwerk von den drei Bundestagsabgeordneten Kerstin Vieregge, Henning Otte und Johann Wadephul, denen die Bundeswehr und deren Angehörige besonders wichtig sind. Deshalb werde sich das Netzwerk auch an die Basis begeben: Veranstaltungen werden in enger Zusammenarbeit mit den Landes- und Kreisverbänden angestoßen, die über große Bundewehrstandorte verfügen.

Wir haben 100 Milliarden Euro mehr, brauchen aber 286 Milliarden

Zu Beginn ging es gleich um die Finanzierung der Zeitenwende und um das 100-Milliarden-Sondervermögen, das ein Jahr später noch viele Fragen offenlässt. Es müsse viel transparenter gemacht werden, dass das Sondervermögen sehr schnell aufgebraucht werden sei, sagte der Bundesvorsitzende Oberst Wüstner. In seiner Nachbarschaft zuhause höre er immer wieder: „Na, 100 Milliarden, André, jetzt ist doch alles super!“ Der planerische Bedarf aber stehe bei 286 Milliarden, stetig wachsend, mit teilweise 600 Prozent Rüstungsinflation. „Das ist die Lage – und nichts anderes und das muss man ehrlich beschreiben“, so Wüstner. Zum aktuell angestiegenen Ansehen der Bundeswehr in der Bevölkerung, dem sich die Diskussion dann zuwandte, beschrieb er: Seit der Zeitenwende sei er überall hin eingeladen, in Lehrerkollegien, Universitäten, zur Kirche. Früher, zu Zeiten des Afghanistankrieges hätte es aus diesen Kreisen bei Einladungen gern geheißen: „Ohne Uniform wär‘ recht.“ Das habe sich längst verändert. Deswegen bräuchte man keine Angst zu haben, zum Thema Bundeswehr, zum Thema Sicherheit zu investieren: „Ich würde da eher sagen, da liegt der Ball schon im Sechzehner, die Frage ist nur: Läuft jemand rein?“

Tatsache sei, so heißt es: Entgegen der Zusage von Bundeskanzler Olaf Scholz sinkt der Verteidigungsetat und entfernt sich Deutschland von seiner NATO-Zusage, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für den Verteidigungsetat bereitzustellen. So seien die die 100 Milliarden „zwar überraschend in der Höhe gewesen“, formulierte es Eberhard Zorn, aber auch die Forderungen der NATO an Deutschland seien gestiegen, zu dem die Kriegsgefahr in Europa: „Das heißt: mehr Übungen, mehr gemeinsame Manöver, mehr NATO-Bereitschaft an den Außengrenzen.“ Zudem bräuchten Europa und die NATO gemeinsame Standards: „Wir brauchen nicht neue Oberkommandos, wir müssen unten zusammenwachsen. Wir müssen die strukturelle Zusammenarbeit technisch unterlegen.“

Wir sind die, die am schwächsten ausgestattet sind“

Stichwort sei hier auch die Digitalisierung, mit der Deutschland noch hinterher sei. Dieses erlebe man schmerzhaft in Litauen, wenn man dort mit Norwegern, Niederländern und Litauern zusammenarbeite: „Da sind wir die, die am schwächsten ausgestattet sind“, so Zorn. Von der Moderation nach der Stimmung in der Truppe gefragt, beschrieb der Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und ehemalige Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) diese „zwischen hoffnungsvoll und skeptisch“. Die Skepsis würde allerdings überwiegen. „Wird alles passieren, was passieren muss?“ würden sich die Soldaten und ihre Vorgesetzten fragen. „Es braucht Strukturreformen, die von einer Afghanistan-optimierten Bundeswehr hinführen zu einer Bundeswehr, die kollektive Verteidigung wieder kann“, sagte Bartels. Dieses hätte man schon seit vielen Jahren beginnen können.

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wisse die Bundeswehr wieder, dass ihr Daseinszweck an der Bündnisgrenze liege – „gegen einen Gegner, der hochgerüstet ist und der eine Menge mehr kann als das, was er gerade in der Ukraine zeigt“. Johann Wadephul nahm sich des Beschaffungswesens der Bundeswehr an: „Es kann nicht sein, dass das Erwerben von Waffensystemen so lange dauert, und dass wir dafür komplizierteste Prozesse und Prüfmechanismen haben, welche dieses lange in die Zukunft ziehen.“ Mit Blick auf das „endliche Sondervermögen“ adressierte er an die Politik: „Der eigentliche Bundewehretat muss ansteigen. Es nützt nichts, dass wir der Bundeswehr neue Panzer, Schiff und Flugzeuge geben, wir müssen ihr auch die Mittel geben, das zusätzliche Personal zu finanzieren und neue Betriebsmittel zu bezahlen.“

Wann waren sie das letzte Mal tapfer?

Im zweiten Teil des Panels ging es um den Soldatischen Dienst, um dessen Ethos, Anerkennung und Stellenwert in der Gesellschaft. Was der Ukrainekrieg für das Berufsbild und Selbstverständnis der Soldaten bedeute, beantwortete Sönke Neitzel. „Wir kommen zum Daseinskern des Soldatischen zurück, also im Kern: kämpfen, töten, sterben. Damit haben wir uns in Deutschland äußerst schwergetan, vor allem seit 1990, weil wir die Rolle des Soldaten umgedeutet haben. Der Soldat sollte Mediator statt Kämpfer sein.“ Mit dem 24. Februar 2022, dem Überfall Russlands auf die Ukraine, so Neitzel weiter, sei nicht mehr auszuschließen, dass die Panzerbrigade 12 nicht kämpfen muss. Vorher sei es eigentlich egal gewesen, ob die Puma fuhren oder nicht. „Es hat niemanden gejuckt. Weil jeder davon ausging, die müssen eh nicht kämpfen. Und für die Auslandseinsätze hat es ausgereicht. Jetzt ist es anders."

Hört man dem ranghöchsten Soldaten der Republik, dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, zu, so ist bei ihm viel von „Kampf “und „Siegeswille“ die Rede. Die Politik hadere noch mit solchen Worten, auch Minister Boris Pistorius (SPD). Selbst im Verteidigungsausschuss würde von „Kampf“ nur in homöopathischen Dosen gesprochen. Der Einwand von Kerstin Vieregge dazu: „Es gibt aber auch eine gewisse Hürde, Begriffe wie ‚Kampf‘ und ‚Tod‘ in den Mund zu nehmen.“ Neitzel returnierte: „Deutsche Soldaten schwören, das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Und die Frage an Sie in der Politik und Generalität ist: Wann waren Sie zum letzten Mal tapfer? Die Soldaten riskieren ihr Leben, das müssen wir alle nicht!

„Wir müssen junge Leute überzeugen, aber auch Erwachsene"

Mit diesen Worten ging es zum Thema Nachwuchsgewinnung, zu dem Oberst André Wüstner folgende Gedanken beisteuerte: Keiner der jungen Menschen, die sich für die Bundeswehr entscheiden, sei schon der perfekte Staatsbürger in Uniform, betonte er, und wisse, was die Berufswahl Soldat alles von ihm erwarte. Es sei eine Frage von Ausbildung und Erziehung, sich damit auseinanderzusetzen. Eine große Herausforderung, gerade mit Hinblick auf „das scharfe Ende des Berufs“, sei es, nicht nur junge Menschen für den Beruf zu überzeugen, sondern auch die Erwachsenen. Er könne da aus eigener Erfahrung sprechen: „Ich diskutiere da gerade mit meiner Frau, bezogen auf die Ideen meines Sohnes.“

Er sei froh, dass es gelungen sei, Minister Pistorius davon zu überzeugen, eine Task Force auf den Weg zu bringen, um aktuell auszuloten, was man kurzfristig verändern muss, um mehr Personal zu gewinnen und zu binden. Dabei gehe es mittelfristig um Dinge mit Gesetzescharakter, kurzfristig aber auch um welche, die man schon einmal hatte. Nämliche diese, dass Bataillons- und Geschwaderkommandeure wieder selbst entscheiden können, ob sie Soldaten auf Zeit verlängern oder nicht. Und nicht den bürokratischen Akt und dessen Länge dafür abwarten müssen. Bezogen auf den ersten Teil des Panels ergänzte er: „Wenn wir sagen, mehr Geld für Sicherheit und Bundeswehr, dann müssen wir auch sagen wofür. Das kommt oft zu kurz, dass wir die Bedrohungsszenarien auch beschreiben. Und nicht gleich wieder sagen: Beängstigen wir damit die Bevölkerung?“ Es sei eine Frage nicht nur für den Verteidigungsausschuss, sondern ebenso für Parteien und Gesellschaft, die Diskussion dahin zu bewegen, dass man wieder resilienter werden und in Sicherheitsvorsoge investieren müsse.

Nach vielen weiteren Diskussionspunkten wie den Jugendoffizieren und der Sichtbarkeit von Soldaten in der Gesellschaft (Bahnfahren), wurden auch Fragen aus dem Publikum beantwortet und am Ende nahm sich auch der Partei- und Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz ein paar Worte zum Schluss. Dabei dankte er der Bundeswehr im Speziellen. „Aber Danke sagen allein reicht nicht mehr“, betonte er. „Sie gehört zurück in die Mitte unserer Gesellschaft“.

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