Oberstabsfeldwebel Christian Kühlem. Foto: Bundeswehr/BwDLZ Bonn

16.12.2021
Christine Hepner

„Der Spieß sollte ein sehr gutes Gefühl dafür haben, wie das innere Gefüge ist”

Seit sechs Jahren ist Christian Kühlem als „Mutter der Kompanie“ tätig. Schon früh in seiner fast 30-jährigen Bundeswehrzeit hat sich der Oberstabsfeldwebel für diese Verwendung interessiert. Er weiß, welche Eigenschaften für einen Kompaniefeldwebel unabdingbar sind.

Die Bundeswehr: Was gab für Sie den Ausschlag, Spieß werden zu wollen?

Oberstabsfeldwebel Christian Kühlem: Diese Verwendung wollte ich bereits seit meiner Zeit als junger Unteroffizier erreichen. Die Masse der Spieße in meiner Dienstzeit waren sehr gute Kompaniefeldwebel und so wollte ich auch immer werden.

Wodurch haben sich diese Vorgesetzten ausgezeichnet?

Der Kompaniefeldwebel sollte jemand sein, an dem man sich ausrichten kann, da diese Position eine große Vorbildfunktion hat. Man sollte eine hohe soziale Kompetenz mitbringen. Und der Spieß sollte – und so steht es auch in der Vorschrift – Vorbild in Charakter, Können und Pflichterfüllung sein. Genauso waren diese Spieße: ständig präsent, vorschriftensicher, sozial kompetent und sie haben sich um ihre Leute gekümmert. Jeder Spieß ist auch Führer seines Unteroffizierkorps. Ich habe 221 Männer und Frauen, darunter 39 Oberstabsfeldwebel in meinem Unteroffizierkorps. Um die neuen Unteroffiziere zu integrieren, muss man ihnen im Auftreten ein Vorbild sein. Ich muss darauf achten, dass meine Leute vernünftig rumlaufen und dass die militärische Ordnung und Disziplin eingehalten wird, da dies schnell Auswirkungen auf den militärischen Dienstbetrieb und auch aufs Klima haben kann. Es gibt dabei natürlich auch Momente, in denen man als Spieß regelnd eingreifen muss. Das muss man sich zutrauen und da darf man nicht konfliktscheu sein.

Mit welchen Anliegen kommen die Soldaten auf Sie zu?

Menschenführung heißt auch, sich um die Menschen zu kümmern. Das reicht von: „Meine Freundin hat mich verlassen, ich brauche jetzt eine Bude“ bis zu: „Ich habe das und das Krankheitsbild, was soll ich tun“. Die Bezeichnung „Mutter der Kompanie“ trifft das wirklich gut. Man ist auch zuständig für das Seelenheil, man ist Ansprechpartner und oft der lebensältere Kamerad, der einen Rat geben kann. Man hat ja ein gutes Netzwerk, in dem man sich bedient. Dies macht auch das Besondere an dieser Verwendung aus: Natürlich hat man seine Routine, aber man weiß nie, wie der Tag so abläuft. Es steht immer ein Soldat oder eine Soldatin vor der Tür mit einem Problem, das man lösen muss.

Das Großartige an dieser Position ist, dass man, ähnlich wie die Chefin oder der Chef, Potenzial erkennen und fördern kann. Man ist ja so nah dran wie sonst kaum jemand. In einer Kompanie, in einer Kommandobehörde oder in einer Inspektion haben Sie die Menschen täglich um sich herum. Der Spieß sollte ein sehr gutes Gefühl dafür haben, wie das innere Gefüge ist.

Hat sich das Aufgabenspektrum in den vergangenen Jahren verändert?

Die Schaffung eines echten Personalfeldwebels in den Kompanien als Entlastung des Spießes hat Wirkung gezeigt. Früher hat der Spieß auch die Personalangelegenheiten für den Chef geregelt. Das Kerngeschäft, sich um die Menschen zu kümmern, frisst viel Zeit, aber darf natürlich nicht zu kurz kommen. Was auch sehr viel Zeit frisst, sind bürokratische Abläufe. Das werden wir nicht gänzlich ausräumen können. Der Spieß ist in der Regel einer der ersten, der in die Dienststelle kommt und in der Regel auch einer der letzten, der geht. Wenn einer bei mir vor der Tür steht, dann schicke ich ihn nicht weg, nur weil ich gerade irgendeine Papierlade ziehe. Dann kümmere ich mich lieber um mein Jungs und meine Mädels.

Hat die SAZV positive Wirkung gezeigt?

Die SAZV ist ja eines unserer Lieblingsthemen. Ich glaube, dass man der Willkür, die wir früher hatten – und jeder, der länger dabei ist, kennt die auch –, damit einen Riegel vorgeschoben hat. Aber dadurch sind viele andere Baustellen aufgetaucht. Vom Verwaltungsaufwand her ist es jedenfalls nicht weniger geworden.

Wie groß ist das Interesse unter den Soldaten, selbst Spieß zu werden?

Wenn ich mir mein Unteroffizierkorps anschaue: Da will nicht jeder Spieß werden. Manche trauen es sich nicht zu, andere haben kein Interesse, weil das Aufgabengebiet sehr breit und man auch lange da ist. Es gibt aber auch jene, die sagen: Das will ich auch werden. Ich habe viele Kameraden, die mich fragen, was sie dafür tun müssen und wie die Auswahl erfolgt. Natürlich muss der Vorgesetzte die Eignung erkennen, aber man sollte auch selbst in seiner Beurteilung immer in das Feld für persönliche Vorstellungen schreiben, dass man auf lange Sicht Kompaniefeldwebel werden möchte.  Viele Dienstposten sind als Oberstabsfeldwebel dotiert, aber es gibt auch die Möglichkeit, in jüngeren Jahren auf den als Haupt- oder Stabsfeldwebel dotierten Posten Spieß zu werden. Diese sind in der Regel an Schulen zu finden, in Einheiten ohne Einsatzbezug oder dort, wo die Betreuungsstärke nicht so groß ist. Allerdings muss man dazusagen, dass die Betreuungsstärke an den Schulen nicht an den Lehrgangsteilnehmern bemessen wird, sondern am Stammpersonal. Das ist ein leidiges Thema, das immer wieder unter meinen Spieß-Kameraden zu Diskussionen führt.

Ein Mitte 30-Jähriger kann genauso gut Vorbild und wichtiger Berater für seinen Disziplinarvorgesetzten sein. Aber es kommt auf die Einheit an. In meiner Einheit können Sie keinen Hauptfeldwebel an die Spitze eines Unteroffizierkorps stellen, in dem es 39 Oberstabsfeldwebel gibt. Es muss also im Gefüge passen.

Sie sind seit sechs Jahren in der Beratergruppe Spieße beim GI und waren auch bei mehreren Spießtagungen des GI dabei. Mit welchen Anliegen gehen Sie in die aktuelle Spießtagung?

Die Beratergruppe Spieße beim Generalinspekteur ist damals ins Leben gerufen worden, weil General Schneiderhan nicht auf jeder Spießtagung von vorn beginnen wollte, sondern begleitende Beratung von erfahrenen Spießen benötigte. Auch seine Nachfolger haben die Beratergruppe beibehalten. Wir sind sehr dankbar dafür, weil wir so die Möglichkeit haben, in den direkten Austausch mit dem Generalinspekteur zu kommen, sodass er den O-Ton von uns hört und wir auch den O-Ton von ihm hören.

Die Inhalte der Spießtagung werden tatsächlich durch die Beratergruppe vorgeschlagen. Wir tragen die Themen, die uns bewegen, dem Generalinspekteur in einer Vorlage vor und er beauftragt uns, die Punkte auszuarbeiten. Das ist eine echte Hochwertveranstaltung, denn normalerweise haben die Spieße nicht die Möglichkeit, direkt mit dem GI, den Abteilungsleitern aus dem BMVg oder den Inspekteuren der Teilstreitkräfte in den Dialog treten zu können. Wir tragen ja die Sorgen und Nöte unserer Männer und Frauen und das, was wir an der Basis sehen und hören, weiter. Unser Anliegen ist es also, dass sich etwas verbessert.

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