Rückkehr-Apell in Wunstorf: Verteidigungsminister Boris Pistorius begrüßt Heiko Bohnsack und die Soldatinnen und Soldaten, die Mitte Dezember 2023 aus Mail zurückgekehrt sind. Foto: Bundeswehr/Rolf Klatt

Rückkehr-Apell in Wunstorf: Verteidigungsminister Boris Pistorius begrüßt Heiko Bohnsack und die Soldatinnen und Soldaten, die Mitte Dezember 2023 aus Mail zurückgekehrt sind. Foto: Bundeswehr/Rolf Klatt

24.03.2024
Philipp Kohlhöfer

Der letzte Mann

Nach dem Abzug aus Afghanistan war Mali der letzte große deutsche Auslandseinsatz. Für die Armee steht künftig die Landes- und Bündnisverteidigung im Mittelpunkt. Und so ist Oberst Heiko Bohnsack nicht nur der letzte Kommandeur in Mail - vermutlich wird er auch der letzte Kommandeur eines größeren deutschen Auslandskontingents gewesen sein.

Ob der Einsatz erfolgreich war? Heiko Bohnsack, Oberst, letzter Kontingentführer der Deutschen in Mali, derjenige, der das Licht in Gao ausgemacht hat, sagt: „Ich glaube ja“. Er steht am Strand, gerade hat er Kuchen gegessen, überall sonst werden Fischbrötchen angeboten. Nordsee, viele Spaziergänger, noch mehr Möwen, Sand ohne Ende, grauer Himmel, graues Wasser. Runterkommen nach dem Einsatz.

Der Letzte. „War ich schon mal“, sagt er. 2021 war er der letzte deutsche Soldat, der Kabul verlassen hat, für eine Weile zumindest, sieben Wochen, bis die Fallschirmjäger kamen. 2021 war das. Bohnsack sagt: „Das war ein Mini-Abzug, wie, um mich daran zu gewöhnen.“

1.100 Soldatinnen und Soldaten waren vor Ort

Aber diesmal ist es anders. Nach dem Rückzug aus Afghanistan vor zweieinhalb Jahren endet im Winter 2023 in Mali die Geschichte der großen Auslandseinsätze – zumindest, soweit man das aus der heutigen Perspektive beurteilen kann. Obwohl schon im Weißbuch 2016 offiziell wieder in den Mittelpunkt gerückt, ist LV/BV spätestens seit der russischen Invasion der Ukraine im Februar 2022 wieder der Schwerpunkt der Armee. Und so ist Oberst Heiko Bohnsack nicht nur der letzte Kommandeur in Mali. Er ist der letzte, der ein solch großes Kontingent geführt hat. In Mali waren durchschnittlich 1.100 Soldatinnen und Soldaten vor Ort.

„Eine größere Angelegenheit wird es vermutlich so schnell nicht geben“, sagt er. Und dass sie die letzten in der Bundeswehr gewesen seien, die letzten ihrer Art. Sei aber kein Thema gewesen. Auch dass sie das letzte europäische Kontingent waren, Schulterzucken, joah, zu einer stolz geschwellten Brust hat es eher nicht geführt. Dass sie gehen, war allerdings Thema. Bohnsack sagt: „Die Bevölkerung hat es sehr bedauert, dass wir gehen mussten.“ Der Wind kommt jetzt von allen Seiten gleichzeitig, es wird kühl. Er sagt: „Die hätten uns gern länger gehabt. Einige waren sauer, dass wir gehen.“

Der Effekt war da

Was auch die Frage nach dem Erfolg beantwortet. „Fragen Journalisten ja immer“, sagt Bohnsack. „In den Jahren, in denen wir da waren, haben wir einen Effekt erzielt“, sagt er. „Und der ist nicht wegzureden. Der ist ja da.“

Wenn wir beide, sagt Bohnsack und bemüht ein Bild, an einer Bushaltestelle stehen würden und dann begänne es in Strömen zu regnen, er aber habe einen Schirm dabei, würde mich das dann ärgern? Auch wenn zehn Minuten später sein Bus käme, aber nicht meiner? Würde ich mich ärgern, zehn Minuten lang weniger nass geworden zu sein? Spaziergänger gehen vorbei, einer dieser Pfahlbauten, die es nur in Sankt Peter-Ording gibt, ist nur ein paar Meter entfernt. Vielleicht ist das wirklich eine sehr deutsche Diskussion: Nachhaltigkeit.

„Ohne MINUSMA wäre die Sicherheitslage vermutlich schlimmer gewesen“

Die Häuser auf den Stelzen sind jetzt Edelgastronomie, als Trinkhalle waren sie bei der Gründung gedacht, schneller Schnaps nach dem Sprung ins Meer. Ist das nachhaltig? Was ist schon nachhaltig? Bohnsack sagt: „Die MINUSMA hatte den Auftrag, den Frieden von Algier zu überwachen. Und das hat sie getan.“ Die Erwartungshaltung ist dann einfach falsch: Ein Mandat kann nicht der Ersatz sein für einen gescheiterten Staat. Ohne MINUSMA wäre die Sicherheitslage vermutlich schlimmer gewesen – schließlich hat sie sich stetig verschlechtert, seit die malische Regierung die UN-Mission ausgeladen hat, weil sie am Frieden nicht mehr interessiert war. Im Rahmen dessen, was beschlossen war, war der Einsatz ein Erfolg.

Es war bereits Bohnsacks fünfter. Kabul, Pristina, Kunduz, nochmal Kabul. Die Einsätze waren alle anders. Irgendwie warm, irgendwie exotisch, aber immer andere Missionsprofile. Bohnsack sagt: „Ich war immer jemand anders.“ Bis auf den ersten waren alle von „kleiner werden“ gekennzeichnet, immer wurde die Mission geschrumpft.

Respektvoll auftreten

„Zu Anfang,“ sagt er, „zurück in Deutschland, habe ich gedacht, ich bin ganz schnell angekommen.“ Zurückkommen war nie ein Problem. Er hat nie etwas aus den Einsätzen mitgebracht. Er schläft gut, nichts spukt in seinem Kopf umher, alles gut. „Aber runterkommen von ‚den ganzen Tag wirksam sein‘, das dauert eine Weile.“ Er sagt, er sei nicht der Typ für Panik, aber man höre hin, wenn was rumst, schließlich war die Sicherheitslage angespannt, vor allem gegen Ende. Was da hilft? „Wie das Wasser eines Teiches sein, jederzeit bereit, nach allen Seiten abzufließen.“ Generell findet er, dass es Soldaten guttut, in den Einsatz zu gehen.

Man kommt mit einem anderen Selbstbewusstsein zurück. Man hat sich wirksam gefühlt, nützlich, ist dann zufriedener mit sich selbst. Immer unter der Prämisse, dass nichts passiert. Er sagt: „Das bedeutet nicht, dass man in ein Gefecht gehen muss.“ Man dürfe sich nicht in ein Überlegenheitsgefühl hineinsteigern. „Dadurch, wie wir draußen aufgetreten sind“, sagt er, „respektvoll auf der einen Seite, aber eben auch stark und mächtig auf der anderen, waren wir kein attraktives Ziel.“ Er sagt: „Wir tun, was wir können. Wir können, was wir tun.“

50 Grad Celsius in Goa

An einem Freitag landet er mit dem Rest des Kontingents in Wunstorf, am Montag darauf ist er wieder im Dienst. Sofort wird er versetzt, leitet jetzt das Taktikzentrum des Heeres in Dresden, zwischendurch mal ins BMVg, nach Potsdam, hier was zu tun, da was zu erledigen. „Gefühlt verwalte ich mich selbst, seit ich wieder da bin.“

Es fängt jetzt an zu regnen, der Himmel ist noch ein bisschen grauer. Es nieselregnet sich ein, als ob Norddeutschland gleich mal einen Punkt machen will. Nebensaison, fühlt sich so an, als ob das Wetter niemals besser wird, der Wind bläst gefühlt von allen Seiten gleichzeitig. Mehr Kontrast zu Mali ist schlecht möglich. In Gao war es zeitweise bis zu 50 Grad Celsius heiß, an Wasser mangelte es durchgehend. Die Sahelzone ist eines der lebensfeindlichsten Gebiete der Erde.

Stabilität in Sahelzone ist wichtig für EU

Im März, sagt Bohnsack, ging es. Im Mai und Juni wurde es richtig heiß, um sich im Juli und August nochmal zu steigern. „Man ist dann nicht draußen, wenn man nicht muss.“ Weil die Klimaanlage in den gepanzerten Wagen überlastet war, haben sie ein paar Operationen abgebrochen, zu heiß. Abends und nachts war dann die 41 Grad kühle Nachtluft eine echte Entspannung. „Das war schön.“ Im Februar 2024 ist es an der Nordsee etwa 35 Grad kühler.

Natürlich ist es nicht auszuschließen, dass es auch in Zukunft zu einer Situation kommt, in der es ein großes Kontingent deutscher Soldaten braucht, um eine Region zu stabilisieren. Vor allem, weil auch das Nichteingreifen in solchen Situationen katastrophale Folgen haben kann. So ist Mali, genau wie die gesamte Sahelzone, ein Gebiet, dessen Stabilität für die gesamte EU äußerst wichtig ist. Politische Ruhe und im Idealfall auch Mitsprache sorgen dafür, zumindest theoretisch, dass sich weniger Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen.

Zudem steht das Gebiet unter Einfluss islamistischer Kräfte, die, wenn sie sich in ihren jeweiligen Ländern stabilisiert haben, ihren Terror nach Europa expandieren könnten. Hinzu kommt, dass der russische Einfluss in Zentralafrika permanent zunimmt, was wiederum die Südflanke der NATO unter Druck setzt, weil eben Flüchtige auch als Waffe benutzt werden könnten. Dass das kein unrealistisches Szenario ist, haben die Szenen an der belarussisch-polnischen Grenze im Winter 2021 gezeigt. Dennoch: Zukünftige Einsätze im Krisenmanagement dürften sich auf kleine Ertüchtigungs- und Beratungsmissionen beschränken.

Landes- und Bündnisverteidigung benötigt ein anderes Mindset

Etwas über dreißig Jahre liegt der offizielle Umbau von Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) zu einer Einsatzarmee zurück. Am 21. Mai 2003 legt Peter Struck, damals Verteidigungsminister, die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) vor. Sie definieren, dass klassische Landesverteidigung nicht länger die „allein strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr“ ist und die „nur für diesen Zweck bereitgehaltenen Fähigkeiten“ nicht mehr benötigt werden: Die Folge ist ein Abbau von Material und Fähigkeiten. Damit verbunden ist der viel zitierte Satz: „Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“.

Eine Armee, die für Bündnis- und Landesverteidigung gewappnet ist, unterscheidet sich zwangsläufig von einer Armee, die im Schwerpunkt im internationalen Krisenmanagement eingesetzt wird. Abgesehen vom Mehrbedarf an Personal und Material braucht das eine andere Infrastruktur, andere Ausbildung, andere Ausrüstung. Und ein anderes Mindset. Als das Internet abgeschaltet wird in Mali kurz vor dem Abzug und man keine Filme mehr streamen kann, ist das der Stimmung nicht zuträglich.

„LV/BV, da muss man dann all-in“

„Die Aussicht, nicht mehr nach Hause zu telefonieren oder kein Internet mehr zu haben, die hat ein paar Nerven gekostet.“ Die größte Sorge ist für ihn zwar, dass aus Unvorsicht jemand zu Schaden kommt. Die größte Herausforderung ist aber die Laune. Besonders im Sommer, als über den Niger nichts mehr geht, sind manche nervös.

Aber ein Feldlager ist dann doch noch relativ gemütlich. Ein mangelndes Filmangebot zum Streamen wird in einem LV/BV-Szenario vermutlich ein eher kleines Problem sein. Bohnsack sagt: „LV/BV, da muss man dann all-in.“ Heiko Bohnsack ist hier, um abzuschalten, St. Peter-Ording macht einem das leicht eigentlich, man läuft rum, macht Sport, jeder ist da, um nichts zu tun, aber Bohnsack ist mit den Gedanken schon bei seinem neuen Job.

Er ist Jahrgang 1968, bei der Bundeswehr seit 1988, vom Wehrdienst kommend, Offiziersausbildung beim Panzergrenadierbataillon 162 in Wentorf, dann Pädagogikstudium an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Er spricht fließend Französisch, als Türöffner in Verhandlungen in Mali war das gut. Dieselbe Sprache schafft Vertrauen. Er übernimmt das Kommando über das 22. deutsche Kontingent im April 2023, bleibt dann auch für das 23. und 24. Kontingent, das letzte.

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