Ein Bordhubschrauber „Sea Lynx“ steht bei schwerer See an Deck der Fregatte „Sachsen“. Foto: Bundeswehr/Jan Pahl

15.12.2022
Von Jan Christian Kaack

Der Krieg in Europa zwingt uns zur Neuaufstellung

Maritime Sicherheit ist ein Thema, das die deutsche Öffentlichkeit abseits der Badestrände in der Regel nicht besonders beschäftigt. Das hat sich mit dem 26. September 2022 deutlich geändert.

Die Bilder von dem brodelnden Mahlstrom vor Bornholm, mit dem jeden Tag tausende Tonnen von Erdgas aus den Lecks der Nord-Stream-Pipelines entwichen, hat jedem die Bedeutung der kritischen Infrastruktur auf dem Meeresboden drastisch vor Augen geführt.

Eine Bedrohung, die für uns jedoch nicht neu ist. Die Marine und unser Exzellenzzentrum für küstennahe Operationen schauen bereits seit vielen Jahren auf die Thematik des Schutzes der maritimen kritischen Infrastruktur und die rechtlichen, sicherheitstechnischen sowie organisatorischen Herausforderungen. Aspekte, zu denen ich in Gesprächen mit Abgeordneten, im BMVg und anderen Ressorts in den vergangenen Wochen auf großes politisches Interesse und Handlungswillen gestoßen bin. Die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet unter den Marinen hat ad hoc bestens funktioniert. Die Unterstützung Norwegens beim Schutz von Offshore-Infrastruktur auf Initiative des Kanzlers Olaf Scholz ist ein Paradebeispiel für unsere Reaktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit.

National sind die Zuständigkeiten aus meiner Sicht noch nicht hinreichend geklärt und ich habe deshalb angeregt, pragmatisch über die strukturierte Zusammenarbeit mit nicht-militärischen Akteuren zu sprechen. Vorstellbar wäre zum Beispiel ein Unterwasserlagezentrum, in das die Lagedaten aller relevanten maritimen Akteure einfließen, zentral bewertet und bedarfsgerecht geteilt werden. Vielleicht können wir auch das Momentum nutzen und auch dem alten Thema „Seesicherheitsgesetz“ wieder neuen Raum geben. Das Maritime ist wieder in aller Munde. Endlich, möchte ich sagen!

Die Bundeswehr – und so auch die Marine – muss sich den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen stellen. In Europa tobt ein Krieg und zwingt uns zur Neuaufstellung. Während wir uns nach der Annexion der Krim 2014 nur langsam in Richtung Landes- und Bündnisverteidigung bewegt haben, sind wir spätestens jetzt gezwungen hart Ruder zu legen und uns auf die Verteidigung des Bündnisgebietes zu konzentrieren.

Nach drei Jahrzehnten, in denen wir die Bundeswehr konsequent für das internationale Krisenmanagement optimiert haben, ist diese Aufgabe alles andere als trivial. Das gilt insbesondere für die Marine. Schiffe und Flugzeuge lassen sich nicht kurzfristig beschaffen und auch Führungskräfte oder Spezialisten sind für uns nicht marktverfügbar, sondern müssen jahrelang in einem geschlossenen Personalkörper entwickelt werden. Die angesprochene Hartruderlage führt deshalb auch bei voller Fahrt nur zeitverzögert zu einer Kursänderung. Deshalb ist es essentiell, so schnell wie möglich den Sollkurs zu bestimmen und den Drehkreis zu berechnen.

Doch lassen Sie mich zuvor einen kurzen Blick auf die strategische Ausgangslage werfen. Als Reaktion auf den 24. Februar 2022 haben wir konsequent reagiert und wirklich alles, was schwimmen konnte, in See geschickt. Das waren insgesamt 28 Einheiten, die Hälfte der Flotte und fast 95 Prozent der Schiffe, die nicht in der Werft waren. Das Motto war: „Alles, was schwimmt – und fliegt, geht raus.“ Ich bin noch heute stolz auf die Haltung unserer Männer und Frauen, Soldaten und Soldatinnen, die dies in einem Kraftakt ermöglicht haben.

Wach und aktiv

Auch unsere Partner in der Ostsee, allen voran die baltischen Länder, haben das mit großem Wohlwollen beobachtet. Dazu haben wir mit unserem Operationskonzept BALTIC GUARD Führung übernommen und aus dem Stand ein neues Instrument geschaffen, das es uns ermöglicht, Aktivitäten und Kräfte primär in der Ostsee nach Raum und Zeit zu koordinieren sowie gemeinsame Übungsaktivitäten zu stärken und auch verbündete Nationen wie die US Navy einzubeziehen. Sie sehen, wir sind wach und aktiv.

Dieser „All In“-Ansatz war natürlich nicht durchhaltefähig, hat aber gleichwohl die gewünschte Wirkung entfaltet.

Mit dem NATO-Gipfel in Madrid hat sich auch das Bündnis komplett neu aufgestellt. Mit dem NATO New Force Model hat Deutschland sich verpflichtet, seine assignierten Kräfte zu verdoppeln und mehr regionale Führung zu übernehmen. Für uns heißt das, ab 2025 allein bis zu 15 Schiffe und Boote jederzeit einsatzklar zur Verfügung zu halten. Damit wären fast alle Kampfeinheiten der Bestandsflotte gebunden.

Unser vorrangiger Einsatzraum ist die gesamte NATO-Nordflanke mit den wichtigen Seeverbindungswegen von den USA nach Deutschland und weiter nach Finnland und in das Baltikum. Darauf stellen wir uns in Ausrüstung, Ausbildung und Übungsbeteiligung ein! Ein sehr ambitioniertes Ziel, dem wir uns verpflichtet haben und dessen Erreichen uns viel Kraft kosten wird.

Strategischer Wendepunkt NATO-Norderweiterung

Zudem ist der NATO-Beitritt von Finnland und Schweden ein strategischer Wendepunkt. Die Ostsee ist und bleibt ein Brennpunkt an der Nordflanke der NATO. Durch den Beitritt wird sich das Kräfteverhältnis und quasi auch die Geographie in der Ostsee signifikant ändern. Die freie Nutzung der Ostsee für den Seehandel ist für die neuen Partner wie auch die baltischen Staaten essentiell. Und im Oblast Kaliningrad existieren sehr ernstzunehmende militärische Fähigkeiten, die dies einschränken oder unterbinden können.

Die DEU Marine verfügt als größte NATO-Marine in der Ostsee über herausragende regionale Expertise und die umfassende Fähigkeit zur Aufklärung des gesamten regionalen Operationsraumes über und unter Wasser. Wir sind deshalb auch bereit Verantwortung zu übernehmen und haben unseren Partnern und der NATO signalisiert, dass wir – wenn erforderlich – regional eine Führungsrolle übernehmen können. In diesem Kontext sage ich gerne, wir sind „Ready to command, if required!“ Die dafür notwendige Führungsstruktur stellen wir mit dem Aufbau eines „Regional Maritime HQ for the Baltic“, das wir in Rostock mit unseren bereits vorhandenen Mitteln der DEUMARFOR kurzfristig realisieren könnten.

Wir wollen aber auch den 360-Grad-Blick behalten. Am Beispiel der Entsendung der „Bayern“ in den Indo-Pazifik ist erkennbar, dass die Deutsche Marine ein vielseitig einsetzbares Instrument ist – wir können politische Schwerpunktsetzungen mit wenig Aufwand, maximaler Aufmerksamkeit und dazu meist noch im hoheitsfreien Raum der hohen See demonstrieren. Dem potenziellen Gegner ebenso wie dem in Bedrängnis stehenden Verbündeten und Wertepartner. Um auch zukünftig als verlässliches Instrument der Politik zur Verfügung zu stehen, müssen wir aber unsere Einsatzfähigkeit und Kampfkraft erhalten und stärken. Nur dann funktioniert das Prinzip der Abschreckung.

Vorsichtiger Optimismus

Dabei macht mich die Ankündigung einer umfassenden Reform von Strukturen, Prozessen und Verfahren sowie die zu erwartende nachhaltige finanzielle Unterfütterung der Bundeswehr durch Sondervermögen und Erreichen der Zwei-Prozent-Marke vorsichtig optimistisch, dass wir substanzielle Verbesserungen für die Marine erreichen können. Ohne externe Hilfe wird es aber nicht gehen. Aber auch wir müssen unsere Hausaufgaben machen und die Planung der Marine der Zukunft weiter vorantreiben.

Weitere Handlungsfelder sind die Flexibilisierung der Einsätze und das Einhalten von Zertifizierungsstandards als Grundlage einer verantwortbaren Entsendung unserer Männer und Frauen in Einsätze sowie die signifikante Verbesserung des Instandhaltungssystems unserer Einheiten. Dies bedingt eine Neubetrachtung der Einsätze im Mittelmeer und damit einhergehend deren Flexibilisierung oder gegebenenfalls auch Beendigung. Es bedeutet auch, als Grundlage für den Einsatz unserer Einheiten nur eine Zertifizierungshöhe „gefechtsbereit“ zu akzeptieren. Dafür hat mir der Generalinspekteur grünes Licht gegeben und wir haben dies mit Nachdruck gerade umgesetzt. In der Folge kommt es bei UNIFIL erst zu einer Nachbesetzung, wenn die dafür vorgesehene Besatzung der OLDENBURG ihre Einsatzzertifizierung abgeschlossen hat. Dies wird voraussichtlich zum Ende des 1. Quartals erreicht.

Ebenfalls gilt es die materielle Einsatzbereitschaft zu verbessern und dem teils sehr unbefriedigenden Klarstand der Flotte wirkungsvoll zu begegnen. Der Kauf des neuen Marinearsenals Warnowwerft war daher aus meiner Sicht der entscheidende und notwendige Schritt, um die Einsatzbereitschaft der Flotte nachhaltig und perspektivisch zu verbessern. Gerade vor dem Hintergrund der neuen strategischen Herausforderungen in unserer Heimatregion. Auch unsere Partner werden davon profitieren können.

Wir müssen nun konsequent zwei Schritte gehen. Zuallererst müssen wir die zahlreichen Möglichkeiten der Binnenoptimierung nutzen und unsere Bestandsflotte stärken. Wir haben dazu in kurzer Frist auch ein Paket an vielen kleinen Projekten und Bedarfen zusammengetragen und gemeldet. Hier liegt die Chance auf kurzfristige Effekte.

Die Führungsfähigkeit verbessern

Aber auch die Modernisierung unserer Flotte darf nicht aus dem Auge verloren werden. Wichtige Schritte wie der Baubeginn der U-Boote 212CD zusammen mit unseren norwegischen Freunden, neue Aufklärungsschiffe und der Kauf von Seefernaufklärern in den USA vom Typ Boing P-8 Poseidon wurden bereits vor der „Zeitenwende“ angestoßen. Nunmehr könnten wir – die zwingend erforderliche Erhöhung des Verteidigungsetats vorausgesetzt – in eine weitere Stärkung unser U-Jagd- und Flugkörper-Strike-Fähigkeiten investieren wie auch kleine Kampfboote für das Kommando Spezialkräfte der Marine und das Seebataillon realisieren. Im Bereich der Minenabwehr wie auch beim Ersatz der Tender, Hilfsschiffe und Tanker sehe ich Licht am Ende des Tunnels. Dazu müssen wir unsere Führungsfähigkeit verbessern – von modernen Führungssystemen über Satellitenkommunikation bis zur Ertüchtigung der bordeigenen digitalen Vernetzung. Gleichzeitig muss eine moderne Marine intensiv über Einstieg in die stärkere Nutzung unbemannter Systeme unter und über Wasser und in der Luft nachdenken.

Eine Marine besteht aber nicht nur aus grauem Stahl und Konzeptionen. Was unsere Marine ausmacht, ist unser Personal, sind unsere Männer und Frauen, die mit Leidenschaft zur See fahren, fliegen oder auch an den Schreibtischen in den Stäben im In- und Ausland die Marine am Laufen halten. Wir haben wie beinahe alle Institutionen große Schwierigkeiten unsere offenen Stellen zu besetzen. Hinzu kam während der Covid-Pandemie ein deutlicher Einbruch der Bewerberzahlen. Als Marine haben wir das geografische Problem der fehlenden Sichtbarkeit in der Fläche. Deshalb werden wir alle Anstrengungen bündeln, diese Sichtbarkeit zu erhöhen und weiter für attraktive Arbeitsplätze, herausragende Personalentwicklungsmöglichkeiten und ein gesichertes Einkommen in einer intakten Familie werben. Dazu gehört neue Wege zu gehen und Raum für Ideen und Innovationen zu schaffen – wie durch die Installation eines Command Senior Enlisted Leader (CSEL), der dem Unteroffizierkorps in der Marineführung eine Stimme verleiht und meinem Beauftragten für Innovation, Digitalisierung, Empowerment und Agilität (BEA ID:EA) mit dem Ziel die Marine als modernen und innovativen Arbeitgeber aufzustellen.

Es gibt viel zu tun, aber ich bin – wie immer – optimistisch, dass uns die Kursänderung mit etwas Rückenwind aus der Hauptstadt und dank unserer großartigen Männer und Frauen in der Marine gelingen wird!

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