Blick in die zerstörte Synagoge in der Fasanenstraße in Berlin: In ganz Deutschland wurden am 9. November 1938 zahllose Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen zerstört, 91 Juden wurden ermordet. Foto: Wikipedia/Center for Jewish History, NYC

Blick in die zerstörte Synagoge in der Fasanenstraße in Berlin: In ganz Deutschland wurden am 9. November 1938 zahllose Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen zerstört, 91 Juden wurden ermordet. Foto: Wikipedia/Center for Jewish History, NYC

08.11.2023
Von Frank Jungbluth

Der 9. November, ein deutscher Schicksalstag

„Ich sterbe für die deutsche Freiheit, für die ich gekämpft. Möge das Vaterland meiner eingedenk sein“. Das sollen die letzten Worte des aus Köln stammenden Politikers und Revolutionärs Robert Blum gewesen sein. Kurz danach starb er durch die Kugeln kaiserlich-österreichischer Soldaten am 9. November 1848 um 7.30 Uhr in der Früh in der Nähe von Wien, wo er wenige Tage zuvor bei Barrikadenkämpfen die Errungenschaften der Demokratie vor den Soldaten des Habsburger-Kaisers verteidigen wollte. Blum war ein engagierter Kämpfer für die erste deutsche Demokratie, die in der verfassungsgebenden Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche im Mai 1848 gipfelte. Begonnen hatte der Kampf um eine Verfassung mit Grund- und Bürgerrechten mit der so genannten März-Revolution 1848.

70 Jahre später, am 9. November 1918, endete die Herrschaft  der Hohenzollern über das Deutsche Reich. Kaiser Wilhelm II. wurde zur Abdankung gezwungen und der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann rief von einem Balkon des Reichstags aus die erste Deutsche Republik aus. Zwei Tage später vereinbarten Frankreich und Deutschland nach furchtbaren vier Jahren des 1. Weltkrieges einen Waffenstillstand. Der Nationalsozialist Adolf Hitler versuchte fünf Jahre später, am 9. November 1923, unterstützt von General Erich Ludendorff,  mit einem Putsch und einem Marsch von München aus auf Berlin die Regierung der Weimarer Republik wieder zu stürzen.

Polizei schießt 1923 Hitler-Putsch nieder

Damit scheiterte er seinerzeit kläglich. Die Putschisten kamen nur bis kurz vor die Münchner Feldherrenhalle. Ein Polizeitrupp stoppte den antidemokratischen Aufmarsch, es kam zur Schießerei, der Mann, der neben Hitler marschierte, wurde tödlich getroffen. Knapp zehn Jahre später schaffte der Jahrhundertverbrecher Hitler doch noch den Griff nach der Macht – am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den gebürtigen Österreicher zum deutschen Reichskanzler.

Vor 85 Jahren begann der Holocaust

Als am 9. November 1938 im gesamten Deutschen Reich ein von den Nazis inszeniertes Pogrom das Land erschütterte, kann man das als Auftakt zur systematischen Verfolgung und Vernichtung der Juden in Deutschland und Europa werten: Etwa 7.500 jüdische Geschäfte wurden zerstört, über 1.200 Synagogen niedergebrannt sowie zahllose Wohnungen verwüstet. 91 Juden wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 niedergestochen oder zu Tode geprügelt. Während der darauffolgenden Tage verhafteten die Nazi-Häscher mehr als 30.000 jüdische Männer. Sie wurden in die  Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt. Mindestens 1.300 Menschen starben während der Novemberpogrome durch Gewalt, brutale Haftbedingungen oder Suizid.

Der von den Nazis entfesselte Zweite Weltkrieg, der auch mit der Teilung Deutschlands endete, fand sein langes Ende am 9. November 1989, als die berüchtigte Mauer zwischen Ost- und Westberlin über Nacht von der DDR-Regierung 28 Jahre nach ihrer Errichtung wieder geöffnet wurde. In den Wochen danach wurde der eiserne Vorhang zwischen DDR und Bundesrepublik hochgezogen, die Grenze, die seit der Potsdamer Konferenz von 1945 Deutschland geteilt hatte, verschwand. Am 3. Oktober 1990 war Deutschland nach dem Beitritt der fünf neuen Bundesländer Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wiedervereinigt.

Der 9. November: Er gilt vor allem wegen dieser Ereignisse als Schicksalstag der Deutschen. Politiker der demokratischen Parteien in der Bundesrepublik werden wieder mahnen und erinnern, vor allem mit Blick auf die so genannte Reichspogromnacht vom 9. November 1938. Einer Nacht der Schande, in der Menschen jüdischen Glaubens überall in Deutschland verprügelt, ermordet und entrechtet worden sind. Davidsterne wurden auf jüdische Geschäfte und Wohnhäuser gepinselt, Synagogen niedergebrannt, demoliert und geplündert.

Ausgerechnet zu diesem Anlass befürchtet der Politikwissenschaftler und Publizist Peter R. Neumann eine neue dschihadistische Terrorwelle in Deutschland und ganz Europa : „Vor etwas mehr als zehn Jahren führte der syrische Bürgerkrieg zu einer noch nie dagewesenen dschihadistischen Mobilisierung – auch hier in Europa“, erklärt er auf der Plattform X. Tausende von jungen Männern und Frauen seien damals nach Syrien gezogen, um sich den Terrortruppen des Islamischen Staates (IS) anzuschließen. „Ab 2014 auch Terror dann hierzulande“, schreibt Neumann.

„Genauso wie damals geht es um einen Konflikt im Nahen Osten. Aber im Gegensatz zu Syrien ist dies nicht irgendein Bürgerkrieg oder Konflikt zwischen Muslimen. Für Islamisten ist es der Konflikt überhaupt. Juden gegen Muslime, Heiliges Land, Jerusalem. Klarer geht es nicht“, macht Peter R. Neumann, der viele Jahre am renommierten Londoner King’s College als Terrorismusforscher gearbeitet hat, deutlich.

Terrorismusexperte fordert Aktionsplan gegen Antisemitismus

Der Politikwissenschaftler und Publizist erklärt, warum eine mögliche Terrorwelle hierzulande eine reale Bedrohung ist. „Anders als in Syrien können sich Islamisten, die sich hier radikalisieren, nicht vor Ort in Gaza kämpfen. Die Hamas hat keine Auslandskämpfertradition und in den Gazastreifen kommt man nicht so einfach. Wer sich aktuell radikalisiert muss sich seine Ziele also hier suchen. Und diese werden vermutlich vor allem im Zusammenhang mit Israel und Juden stehen. Auch hierzulande ist die Bedrohung für jüdisches Leben derzeit also sehr hoch.“

Neumann meint damit auch die verstörenden Bilder aus Berlin-Neukölln, vom Brandenburger Tor und vom Potsdamer Platz, wo seit Wochen bei Pro-Palästina-Demos Hasstiraden gegen Israel gebrüllt und israelische Fahnen verbrannt werden. Ähnliche Szenen gab es bei einem Aufmarsch von Islamisten in Duisburg.

Peter R. Neumann fordert deshalb von Innenministerin Nancy Faeser: „Wir brauchen sofort einen Aktionsplan gegen Juden- und Israelfeindlichkeit und – damit verbunden – eine schnelle und intensive Priorisierung dieses Themas in den Sicherheitsbehörden. Bitte nicht erst warten, bis etwas passiert.“

Im Bundestag soll es am 9. November ab 9 Uhr morgens eine Debatte zum Thema „Historische Verantwortung wahrnehmen – Jüdisches Leben in Deutschland schützen“. SPD; Grüne und FDP haben dazu einen Entschließungsantrag eingebracht, der vom Bundestag beschlossen werden soll. Die CDU geht noch weiter. Sie will in ihrem Antrag zum Tagesordnungspunkt den Beschluss, „dass der vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf zur Erleichterung der Einbürgerung zurückzuziehen ist und dafür einen Gesetzentwurf zur Anpassung des Staatsangehörigkeitsrechts vorzulegen, um die Einbürgerung von Antisemiten und Hamas-Unterstützern zu unterbinden. Die deutsche Staatsbürgerschaft darf nur erlangen, wer sich zum Existenzrechts Israels bekennt und erklärt, dass er keine gegen den Staat Israel gerichteten Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat.“

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