Das Sondervermögen für die Bundeswehr – was es damit auf sich hat und wofür es verwendet werden soll
Man sollte vorsichtig sein, bestimmte Ereignisse als historisch zu bewerten. Doch die gestrige Ankündigung der Bundesregierung, ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro einrichten zu wollen, ist zumindest aus Sicht der Bundeswehr ein solches Momentum. Was es damit auf sich hat, wofür die Mittel ausgegeben werden sollen und ob das Geld allein reicht, um die Bundeswehr wieder in die volle Einsatzfähigkeit zu bringen, darüber klären wir auf.
Was ist unter diesem „Sondervermögen“ zu verstehen?
Im Bundestag sprach Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung von einer Zeitenwende, ausgelöst durch den am 24. Februar begonnenen Angriff Russlands auf die Ukraine. Und sprach die Worte aus, die für die Zukunft der Bundeswehr entscheidend sind: „Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen. Das ist eine große nationale Kraftanstrengung. Das Ziel ist eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt. (...) Wir werden dafür ein ‚Sondervermögen Bundeswehr‘ einrichten. (...) Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. (...) Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“
Doch was bedeutet das nun genau? Laut Definition des Bundestages sind Sondervermögen des Bundes „abgesonderte Teile des Bundesvermögens, die ausschließlich zur Erfüllung einzelner begrenzter Aufgaben des Bundes bestimmt sind und deshalb von dem sonstigen Bundesvermögen getrennt verwaltet werden.“ Bundesvermögen werden außerhalb des Bundeshaushaltes bewirtschaftet – für die Bundeswehr heißt das, dass die nun angekündigten 100 Milliarden Euro nicht mit dem Verteidigungsetat für das laufende Jahr verrechnet werden, sondern tatsächlich „on top“ kommen. Der DBwV hatte die Einrichtung eines solchen Fonds oder Sondervermögens schon vor mehreren Wochen gefordert. Das Geld soll für dringend benötigte Vorhaben, deren Finanzierung nicht durch den laufenden Etat abgedeckt ist, aufgewendet werden. Zu diesen Vorhaben später mehr.
Wieviel Geld steht der Bundeswehr künftig zur Verfügung?
Ein weiterer interessanter Punkt – und auch der ist eine Kehrtwende zur bisherigen Politik – ist die Ankündigung, künftig mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung aufzubringen. Dieses Zwei-Prozent-Ziel hatte die NATO 2014 auf ihrem Gipfel in Wales beschlossen. Damals verpflichteten sich die Mitglieder des Bündnisses, sich binnen zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen. Deutschland war von diesem Ziel in den vergangenen Jahren stets meilenweit Ziel entfernt – was der DBwV immer wieder kritisiert hat. Zuletzt lag Deutschland bei 1,55 Prozent – Tendenz sinkend. Denn während der aktuelle Verteidigungshaushalt bei etwas über 50 Milliarden Euro liegt, sah der ursprüngliche Finanzplan wieder geringere Verteidigungsausgaben für die kommenden Jahr vor: So sollten der Truppe 2023 insgesamt 47,3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, für 2024 waren 47,2 Milliarden veranschlagt und für 2025 sah der Plan 46,7 Milliarden vor. Das ist nun vom Tisch. Das Bruttoinlandsprodukt betrug in Deutschland 2021 rund 3,56 Billionen Euro. Wenn nun tatsächlich zwei Prozent dieser Summe für Verteidigung aufgebracht würden, käme man auf einen Verteidigungshaushalt in Höhe von etwa 71,2 Milliarden Euro.
Wofür braucht die Bundeswehr das Geld?
Der Bundeswehr fehlt es aktuell an allen Ecken und Enden. Um es mit den Worten des Inspekteurs des Heeres wiederzugeben: Die Bundeswehr steht zurzeit „mehr oder weniger blank da“. In seiner Regierungserklärung hat Kanzler Scholz schon einige Andeutungen gemacht, welche Schwerpunkte jetzt angegangen werden sollen. Der Regierungschef versprach, dass für die Nukleare Teilhabe rechtzeitig ein moderner Ersatz für die alternde „Tornado“-Flotte beschafft werden soll. Das von vielen NATO-Partnern verwendete US-Fabrikat F-35 käme dabei in Betracht, so Scholz. Dazu soll der „Eurofighter“ so weiterentwickelt werden, dass er zur elektronischen Kriegsführung befähigt wird. Zudem soll der Eurofighter auch so weit modifiziert werden, bis die gemeinsam mit Frankreich entwickelte nächste Kampfflugzeug-Generation FCAS verfügbar ist. Scholz kündigte ebenso Bewegung bei der Bewaffnung der israelischen Drohne Heron TP an.
Doch es gibt weitere Projekte, die dringend vorangebracht und finanziert werden müssen. Die Luftwaffe benötigt dringend einen Nachfolger für den Transporthubschrauber CH-53. In der Auswahl stehen die neue Version des Sikorsky-Fabrikats, der CH-53K, der von seinem Vorgänger im Prinzip nur die Grundform beibehält, sowie der CH-47 „Chinook“ des US-Herstellers Boeing-Vertol.
Beim Heer ist die digitale Führungsfähigkeit ein großes Thema, ebenso das zweite Los des Schützenpanzers „Puma“. Der Krieg in der Ukraine führt wieder vor Augen, dass auch in einem modernen Konflikt nach wie vor mit dem massivem Einsatz von Panzern und Schützenpanzern zu rechnen ist.
Die Marine kann sich wieder berechtigte Hoffnung auf die Finanzierung von neuen Korvetten als Ersatz für das erste Los der K-130 machen. Und die Liste ließe sich noch beliebig weiter verlängern, denn auch bei der persönlichen Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten ist der Mangel groß.
Sind mit dem Geld jetzt alle Probleme vom Tisch?
Man könnte meinen, dass die Bundeswehr nun in eine rosige Zukunft blicken kann, wenn der Bund die Finanzierung der wichtigsten Projekte verspricht, um die lange vernachlässigte Einsatzbereitschaft der Streitkräfte wiederherzustellen. Aber: „Geld allein macht nicht alles besser“, mahnte Oberst André Wüstner am Sonntagabend bei „Maybrit Illner Spezial“. So sieht der Bundesvorsitzende die Entwicklung von Strukturen und Verfahren ebenfalls als ein Kernthema der Bundeswehr an. Man müsse sich jetzt Gedanken machen, wie die Bundeswehr in Zukunft aufgestellt sein müsse, insbesondere mit Blick auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Wüstner weiter. „Das ist eine große Aufgabe für die Verteidigungsministerin.“