BND-Präsident Bruno Kahl: „Immense Herausforderungen durch hybride Bedrohungen“
Berlin. „Bundesnachrichtendienst“ – ein Wortgebilde mit eigenem Charme. Doch die Wirklichkeit des BND verheißt Spannung pur. „Seit 65 Jahren leistet der Bundesnachrichtendienst harte und vor allem hervorragende Arbeit für die Sicherheit Deutschlands“, lobt Oberstleutnant André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV), die Leistungen des deutschen Auslandsaufklärungsdienstes. „Ohne die Lageerstellung des Nachrichtendienstes und ohne zivile und militärische Aufklärung im Ausland wäre die Sicherheit nicht nur Deutschlands, sondern insbesondere unserer Soldatinnen und Soldaten gefährdet.“
Mehr als ein guter Grund also für eine Gesprächsrunde mit Experten zum Thema „Deutschlands Sicherheit - Der Beitrag des BND“. Das Bildungswerk des DBwV sowie der 2003 gegründete gemeinnützige Verein „Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland“ (GKND) hatten zu ihrer Veranstaltung am Montagabend in Berlin Spitzenrepräsentanten deutscher Sicherheitsorgane eingeladen: BND-Präsident Bruno Kahl, den für die Koordinierung der Nachrichtendienste im Kanzleramt zuständigen Abteilungsleiter Bernhard Kotsch sowie Brigadegeneral Achim Martin Werres, Unterabteilungsleiter Strategie und Einsatz I (Militärisches Nachrichtenwesen) im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg).
Aktuell sei der BND mit „drei Herausforderungen für unsere gesamtstaatliche Sicherheit“ konfrontiert, „auf die er angemessen reagieren muss“, sagte BND-Präsident Kahl.
Erstens: hybride Bedrohungen, deren Bedrohungspotential für die Sicherheit Deutschland in Zukunft gewiss noch weiterwachsen werde. Derartige „böswilligen Einflussnamen und Einmischungen von außen in die Geschicke der Bundesrepublik“ gingen oftmals von „autokratischen fremden Mächten aus, die Deutschland, Europa und die freie Welt des Westens insgesamt schwächen wollen“.
Es sei eine „immense Herausforderung“, so Kahl, diese „äußerst anspruchsvollen, komplexen, oft indirekten und klandestinen hybriden Bedrohungen“ zu erkennen und den Urheber zu benennen. „Die im Cyber- und Informationsraum handelnden Akteure setzen alles daran, eigene strategische Interessen so zu befördern, dass ihre Urheberschaft möglichst gar nicht oder allenfalls nur sehr schwer nachgewiesen werden kann.“
Der hybride Angriff auf die Sicherheit Deutschlands und Europa erfolgt laut Kahl vor allem auf drei Wegen. Die Angreifer würden wesentliche demokratische Prozesse, in einer Linie Wahlen delegitimieren; sie würden Entscheidungen sowie Entscheidungsträger wie jüngst im Zusammenhang mit der Corona-Krise diskreditieren; sie würden „polarisieren, um demokratische Gesellschaften zu spalten“.
Dabei, so Kahl, erfolgten Desinformation und Diskreditierung nicht nur auf direktem Wege aus dem Ausland, sondern ebenso „indirekt, indem sie deutsche Extremisten durch Propaganda in Auslandsmedien oder auch über die kostengünstigen und nur schwer zu kontrollierenden sozialen Medien aufstacheln und zum Handeln motivieren“.
Zweitens: „Der internationale Terrorismus sowie das vom Terror mitausgelöste massive Migrationsgeschehen“, so BND-Präsident Kahl, „bleiben uns in den nächsten Jahren erhalten und werden entscheidenden Einfluss auf die weitere Destabilisierung traditionell eher instabiler Weltregionen haben.“ Besonders bedrohlich erscheint in diesem Kontext die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten, in Nordafrika sowie in Zentralasien. Kahl: „Die Folgen von internationalen Terror und weltweiten Migrationsbewegungen werden auch auf die Sicherheitslage in Deutschland und Europa ausstrahlen.“
Eine besondere Dynamik für die Sicherheitslage gehe von Afrika aus, dem Kontinent mit dem schnellsten Bevölkerungswachstum, rund drei Prozent pro Jahr. Bis 2050 sei mit einer Verdoppelung der Bevölkerung zu rechnen, von jetzt etwa 1,2 Milliarden auf mehr als 2,5 Milliarden Afrikaner. „Heute stellen die Afrikaner rund 17 Prozent der Weltbevölkerung, in 30 Jahren wird jeder vierte Mensch auf der Welt in Afrika geboren sein“, skizzierte Kahl die berechnete Entwicklung. „Wir müssen davon ausgehen, dass Probleme, die in Afrika entstehen, nicht in Afrika bleiben, sondern uns immer mehr auch in Europa und Deutschland beschäftigen werden.“ Ressourcenknappheit und Klimawandel wirkten sich zuspitzend aus. Hinzu kommt, sagte der BND-Präsident, ohne China zu nennen: "Verschiedene Mächte treiben in Afrika Ihr geopolitisches Spiel.“
Drittens: „Einige ausländische Nachrichtendienste betreiben im Verbund mit Hacker-Gruppen Spionage und Sabotage im großen Stil“, erläuterte Kahl, „und zwar nicht nur gegenüber Sicherheitsbehörden oder Regierungen, sondern auch gegenüber großen, mittleren und kleinen Unternehmen, die in ihren jeweiligen Bereich Champions sind.“
Die auf diesem Wege mögliche Manipulation von automatisierten Fahrzeugen, IT-gestützter Verkehrslenkung oder von IT-Anwendungen im Gesundheitswesen könne ganz ernsthafte Gefahren für Leib und Leben herbeiführen. Außerdem, so BND-Präsident Kahl: „Gezielte Cyber-Angriffe auf die Infrastruktur von Banken und die Manipulation von Börsenkursen können zu einer ernsten Gefahr für die Finanzmärkte mit weitreichenden Auswirkungen auf die Wirtschaft werden.“
Die Bedeutung der Aufklärungstätigkeit des BND für die Sicherheit der Bundeswehr wird in Zukunft kaum geringer werden, im Gegenteil. „Durch die zunehmende Zahl multinational ausgerichteter Einsätze steigt der Bedarf an einer Zusammenarbeit und Abstimmung mit ausländischen Nachrichtendiensten“, betonte der im Kanzleramt für die Koordinierung der Geheimdienste zuständige Abteilungsleiter Bernhard Kotsch. Der BND fungiere im Ausland „als der Single Point of Contact zu den ausländischen Partnerdiensten vor Ort“. Der BND unterhalte zu etwa 450 Nachrichtendiensten in über 160 Staaten Kontakte.
Ohne Unterstützung der Bundeswehr funktioniert das jedoch nicht. „Der Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums“, betonte General Werres, „unterstützt den BND umfangreich durch die Abstellung von Personal und weiteren Unterstützungsleistungen“.
Hans-Dieter Herrmann, ehemaliger Direktor beim BND und heute Vorsitzender des Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland (GKND), beschreibt den Wert der Auslandsaufklärung für die Bundesrepublik Deutschland so: „Mittelbar geht es um die Bewahrung demokratischer Selbstbestimmung und den Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung und damit um Verfassungsgüter von hohem Rang. Insofern besteht ein gesamtstaatliches Interesse, welches über das Interesse an der Gewährleistung der inneren Sicherheit als solcher deutlich hinausgeht.“
Sehen Sie hier den Film vom vollständigen ersten Tag der Veranstaltung „Deutschlands Sicherheit: Der Beitrag des BND“: