Oberst a.D. Bernhard Gertz (2.v.r.) und der DBwV-Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner (r.), der zugleich Vorsitzender des Stiftungsrats der Deutschen Härtefallstiftung ist. Links im Bild der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner. Foto: Deutsche Härtefallstiftung

08.06.2022
Von Katja Gersemann

„Betroffene verlieren die Kontrolle über ihr Leben”

Ukraine, Mali und Banken ohne ethischen Kompass – der Vorsitzende der Deutschen Härtefallstiftung sieht aktuell viele Herausforderungen für die Arbeit der Stiftung. Im Gespräch berichtet Oberst a.D. Bernhard Gertz über die Lage und blickt auf zehn Jahre erfolgreiche Arbeit für die Stiftung zurück.

Die Härtefallstiftung ist eine Erfolgsgeschichte, die Leistungen der Stiftung sind nun seit zehn Jahren für viele in Not geratene Menschen ein Rettungsanker. War in den Anfangstagen der Stiftung vor einem Jahrzehnt vorstellbar, wie groß der Bedarf an Unterstützung bei Bundeswehrangehörigen war und werden würde?

Oberst a.D. Bernhard Gertz: Es war für uns eine offene Frage, wie viele kommen könnten. Zumindest gab es die Annahme, dass sich eine große Anzahl an Radarstrahlengeschädigten an uns wenden könnte. Denn zahlreiche Anträge auf Wehrdienstbeschädigung waren – entweder vom BMVg oder im nachfolgenden Klageverfahren vor den Verwaltungsgerichten – abgelehnt worden. Genau quantifizieren ließ sich das aber nicht, weil man zum Beispiel nicht wusste, wie viele der Antragsteller die gesetzlich vorgegebenen Einkommensgrenzen überschritten und damit aus dem Kreis der Berechtigten herausfallen würden.

Radarstrahlengeschädigte – den Begriff kann heute nicht mehr jeder einordnen. Warum brauchten und brauchen diese Menschen besondere Unterstützung?

Es geht um Menschen, die von den 60er- bis in die Mitte der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts in der Bundeswehr an Radargeräten gearbeitet haben. Das konnten stationäre Radargeräte sein wie zum Beispiel in Flugabwehrraketenstellungen, es konnten aber auch Radarsysteme an Waffensystemen sein, etwa beim Starfighter oder auf Schnellbooten. Die Störstrahlungen dieser Radargeräte hat man insbesondere in den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch nicht richtig eingeschätzt, das Gefährdungsbewusstsein war nicht so groß. Deswegen hat es bei Menschen, die in diesen Jahrzehnten an Radargeräten gearbeitet haben, solch einen erheblichen Anteil an Gesundheitsschäden durch Störstrahlen gegeben. Hinzu kam, dass Radarstrahlenopfer regelmäßig nicht eindeutig nachweisen konnten, dass ihre – zum Teil viele Jahre nach Dienstzeitende aufgetretenen – Gesundheitsschädigungen im Zusammenhang mit ihrem Dienst standen. Das wäre aber die Voraussetzung für reguläre Leistungen des Dienstherrn gewesen.

Mittlerweile hilft die Stiftung hauptsächlich einsatzbedingt psychisch erkrankten Soldaten. Hat sich dadurch auch die Art der Hilfe geändert? Benötigen Einsatzgeschädigte eine andere Hilfe als Radarstrahlengeschädigte?

Zunächst muss man sagen: Es handelt sich um eine andere Generation. Bei den Einsatzgeschädigten haben wir junge Menschen und Menschen mittleren Alters dabei, die Familien und Kinder haben und bei denen sich ihre psychischen Schäden durch Posttraumatische Belastungsstörungen häufig sehr nachteilig auf das Familienleben auswirken. Wir erleben hier die ganze Palette an schädigenden Verhaltensweisen: Suchtgefährdung, Alkohol, Drogen, Spiel- oder Kaufsucht. Wenn man sich aus Verzweiflung, weil man mit seinen Traumata nicht fertig wird, immer wieder betrinkt oder Drogen nimmt, dann kann das nicht ohne Folgen auf das ganze Sozialverhalten und insbesondere auf das Klima innerhalb der Familie bleiben. Deshalb gehen viele Familien vor die Hunde. Viele Betroffene verlieren die Kontrolle über ihr Leben und ihr Geld und türmen hohe Schulden auf. Und es ist dann sehr schwierig, im Nachgang mit Hilfe von Therapeuten und Ärzten, des Sozialdienstes und der Schuldnerberatung wieder dahin zu kommen, dass die Betroffenen Boden unter die Füße bekommen. Würde die Härtefallstiftung nicht einspringen, wären diese Menschen alleingelassen.

Das heißt, bei Einsatzgeschädigten muss häufig mehr Geld in die Hand genommen werden, um spürbar zu helfen?

Es geht regelmäßig um signifikant höhere Summen als bei Radarstrahlengeschädigten. Früher haben wir häufig dabei unterstützt, überschaubare Einzelprojekte zu realisieren, die aus dem normalen Einkommen nicht zu finanzieren waren. Das gab den Betroffenen die Möglichkeit, als Behinderter reibungslos im eigenen Haus leben zu können. Heute erleben wir häufig Belastungen durch Schulden, nicht selten durch große Hypothekendarlehen und dann obendrein noch weitere Konsumdarlehen – Stichwort Kaufsucht. Es ist nicht immer ganz einfach, die Dinge dann so zu lösen, dass die Familie hinterher schuldenfrei und ein Neustart möglich ist.

Wie kann es sein, dass Banken derart großzügig Kredite an Menschen vergeben, die ohnehin schon mit erdrückenden Problemen zu kämpfen haben?

Ich frage mich manchmal wirklich, was in manchen Bankern vorgeht, wenn sie einem Menschen, der mit belastenden Erfahrungen aus dem Auslandseinsatz zurückkehrt und möglicherweise auch schon verhaltensauffällig ist, leichtfertig riesige Kredite geben, die dann zu hohen monatlichen Verpflichtungen führen. Wir erleben immer wieder, dass Banken Kredite, auch Konsumkredite, in Höhen ausgeben, die ich mir früher gar nicht hätte vorstellen können. Und die im Ergebnis fast schon vorhersehbar dazu führen, dass der Betroffene mit einer Zwangsvollstreckung rechnen muss.

Nicht nur der Afghanistan-Einsatz hat tiefe Spuren hinterlassen, auch die Balkan-Kriege und andere Einsätze haben zu körperlichen und seelischen Verwundungen geführt. Spiegelt sich das in den Anträgen an die Härtefallstiftung wider?

Wir haben erlebt, dass überall da, wo Kampfhandlungen stattgefunden haben, auch Traumata bei Menschen entstehen können. Wir müssen damit rechnen, dass sich genau wie während und nach Afghanistan in zunehmendem Maße auch Soldatinnen und Soldaten melden, die in Mali belastende Erlebnisse hatten. Erste Anträge von Soldaten aus Mali haben wir bereits bearbeitet.

Im vergangenen Jahr hat die Evakuierungsmission in Kabul bei vielen Afghanistan-Veteranen alte Wunden aufgerissen. Ist zu befürchten, dass auch der russische Angriffskrieg in der Ukraine einen solchen Effekt hat?

Ich halte das sogar für sehr wahrscheinlich. Niemand kann sich abkapseln von der Informationsflut, die über uns hereinbricht und dem Betroffensein, das durch die Bilder aus der Ukraine ausgelöst wird. Ich rechne deswegen damit, dass das nicht zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation bei Einsatzgeschädigten führt.

Der Bundestag hat sich vor Kurzem mit EUTM und MINUSMA beschäftigt. Sie sind ein aufmerksamer Beobachter des Politikbetriebs – wie schätzen Sie die Lage ein?

Die Erfahrung aus Afghanistan – der 20 Jahre währende erfolglose Versuch, Gefahrenabwehr zu betreiben – zeigt uns für Mali den Weg. Es kann nicht angehen, dass wir noch einmal den gleichen Fehler machen. Die Geschichte der Auslandseinsätze der Bundeswehr, begonnen mit Somalia, dann über Afghanistan, Demokratische Republik Kongo und Mali, ist mit Ausnahme der einigermaßen gelungenen Befriedung des Kosovo eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Im Ergebnis muss man sich vor Augen halten, dass wir weder in Afghanistan noch in Somalia noch in der Demokratischen Republik Kongo irgendetwas zum Besseren bewegt haben. Die bisherigen Einsätze lehren uns, dass Einsatz von Militär stets nur befristet Stabilisierung bewirken kann. Wenn in dieser Zeit keine funktionierende staatliche Ordnung errichtet wird, endet jeder Einsatz wie die in Somalia und Afghanistan. Wenn man dieses nüchterne Fazit zieht und sich die Entwicklung in und um Mali herum genau ansieht, dann kann die Empfehlung nur lauten, einen Schlusspunkt unter diese Operationen zu setzen.

Im vergangenen Jahr hat die Härtefallstiftung in der Flutkatastrophe im Ahrtal schnell und engagiert geholfen. Das hat Ihnen Anerkennung und Dank, aber auch viel Kritik eingebracht – zum Beispiel, dass das eine ungerechtfertigte Privilegierung von Bundeswehrangehörigen darstelle. Würden Sie wieder so handeln?

Die Antwort lautet ohne jeden Zweifel ja. Man muss schon weit weg sein von so einer Katastrophe, wenn man solch unerträgliche Kritik vorbringt. Die Satzung der Stiftung besagt, dass Menschen, die sich in Not befinden, unterstützt werden können. Ob die Ursache ein Kampfeinsatz oder ein katastrophales Ereignis war, ist nicht entscheidend. Würde sich eine ähnliche oder vergleichbare Katastrophe wieder ereignen, würden sich Menschen von heute auf morgen wieder in einer Situation befinden, in der ihr gesamter Hausstand von einer Sekunde auf die nächste verschwunden ist, dann würden wir selbstverständlich wieder Soforthilfen leisten und die Menschen nicht wieder monatelang auf Unterstützungsleistungen warten lassen. Inzwischen hat mir auch die Leitung des Hauses bestätigt, dass wir alles richtig gemacht haben.

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