Gefechtsübung "Grantiger Löwe 2015" der Panzerbrigade 12 "Oberpfalz" auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne. Kampfpanzer Leopard 2 A6 einer Panzerkompanie des Panzerbataillons 104 im Gefecht. ©Bundeswehr/Carsten Vennemann

12.02.2022
jun

Bedingt abwehrbereit - jetzt muss die Ampel beim Etat für die Bundeswehr Farbe bekennen

Bedingt abwehrbereit - mit dieser Schlagzeile machte sich vor 60 Jahren das Nachrichtenmagazin im Oktober 1962 "Der Spiegel" zum Feind für den damaligen Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß (CSU). Inhalt: Die Bundeswehr sei aufgrund ihrer mangelhaften Ausstattung zu der von der NATO seit dem Amtsantritt des US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy im Jahr 1961 bevorzugten konventionellen Vorwärtsverteidigung gegen Truppen des Warschauer Pakts nicht in der Lage. Eine wirksame Abschreckung bleibe fraglich.

SPIEGEL-Herausgeber und Chefredakteur Rudolf Augstein und der Verfasser des Berichts, Conrad Ahlers, wurden 1962 wegen des Vorwurfs des Landesverrates festgenommen und mehrere Monate inhaftiert. Strauß verlor über die Spiegel-Affäre sein Amt. Im Jahr 2022 steht fest: Die mangelhafte Ausrüstung der Bundeswehr gefährdet die Fähigkeiten der Truppe. Für diese Erkenntnis wird niemand mehr eingesperrt.

WELT-Redakteur Torsten Jungholt schreibt in einem brisanten Bericht, der am Samstag online erschienen und am Sonntag in der gedruckten Ausgabe der WELT am Sonntag zu lesen sein wird, dass vertrauliche Verhandlungsdokumente über den Finanzplan der Regierung zeigen: Im Verteidigungsetat droht ein riesiges Loch. Geplante Anschaffungen der Bundeswehr stehen damit auf der Kippe. Genauso wie die internationale Glaubwürdigkeit von Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Während die USA ihren Staatsbürgern dringend rät, das Krisengebiet Ukraine zu verlassen und das Auswärtige Amt alle Deutschen auffordert dem von Russlands Despoten mit einem beispiellosen Militäraufmarsch bedrohte Land schleunigst den Rücken zu kehren, fabuliert Finanzstaatssekretär Werner Gatzer von der Schuldenbremse. Unglaublich, aber wahr.

Deutschland stehe zu seiner globalen Verantwortung als einer großen Industrienation in der Welt, heißt es dagegen im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Nur einen Tag vor der Bundestagswahl am 26. September 2021 hatte der damalige SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz versprochen, wer were dafür kämpfen, dass der Verteidigungsetat weiter steige. Langfristig wolle man deshalb drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Diplomatie, Entwicklungspolitik und die Bündnisverpflichtungen in der Nato investieren. Letztere betragen allein zwei Prozent des BIP.

"Was diese Prosa der Ampel-Koalition wert ist, zeigt sich keine drei Monate später. In diesen Tagen wird über den Bundeshaushalt für das laufende Jahr und die Eckwerte des Finanzplans bis 2026 verhandelt. Das Verteidigungsministerium meldete seinen Bedarf an, das Finanzministerium wies ihn brüsk zurück."

„Die Bewältigung der Zukunftsaufgaben ist mit einer soliden und nachhaltigen Haushaltspolitik verbunden“, schreibt Finanzstaatssekretär Werner Gatzer in einem  Brief an seine Kollegin Margaretha Sudhoff im Wehrressort. Ab 2023 sei die Schuldenregel des Grundgesetzes wieder ausnahmslos einzuhalten, deshalb müssten „alle Ausgaben auf den Prüfstand“. Es folgen eine Reihe von Spartipps und der zentrale Hinweis, dass eine „Rückführung“ der Ausgaben bis 2026 „auf das ursprüngliche Niveau des Haushalts 2020“ vorgesehen sei. Dabei lässt der Finanzstaatssekretär völlig außer acht, welche Bedrohung an der Ostflanke der NATO aufmarschiert ist.

Für die Bundesregierung ein Problem

In Zahlen bedeutet das: Der Verteidigungsetat soll von 50,3 Milliarden Euro in diesem Jahr schrittweise auf 46,7 Milliarden Euro im Jahr 2026 sinken. Derzeit gibt Deutschland 1,57 Prozent seines BIP für die Bundeswehr aus, in vier Jahren wären es – je nach volkswirtschaftlicher Entwicklung – nur noch rund 1,2 Prozent. Die „große Industrienation“ würde ihre Zwei-Prozent-Zusage an die Nato-Partner faktisch aufgeben.

Für den Bundeskanzler ist das angesichts der von Russland entfachten Kriegsgefahr in Osteuropa ein Problem, milde ausgedrückt. Bei seinem Amerikabesuch kam Olaf Scholz (SPD) noch glimpflich davon. Die in der Nato grassierenden Zweifel an der Bündnistreue des Kanzlers räumte US-Präsident Joe Biden mit einem Vertrauensbekenntnis vor der Weltöffentlichkeit ab. Deutschland sei einer der engsten Verbündeten der USA, „absolut, total, durch und durch verlässlich“.

Jungholt berichtet in der WELT am Sonntag weiter: Zweifelnde Nachfragen von Reportern wegen der Verweigerung von deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine und der diffusen Haltung des Kanzlers zur deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 überhörte Biden oder wiegelte sie ab. Und der altbekannte Dissens über die Verteidigungsausgaben wurde öffentlich nicht einmal erwähnt.

Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen taten Scholz diesen Gefallen nicht. Im Rahmen eines Besuchs in Berlin am Donnerstagabend betonten sie, dass Deutschland als größte Volkswirtschaft des Kontinents eine führende Rolle bei der Konfliktbewältigung mit Russland spielen müsse.

Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas erklärte dem Kanzler: „Ein diplomatischer Dialog hat nur eine Chance, wenn es eine glaubwürdige Abschreckung gibt. Wir müssen noch mehr tun.“ Mit „wir“ war Scholz gemeint. Denn die Esten geben bereits zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung aus.

Die Bundeswehr, das weiß jeder, der sich mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschäftigt, braucht definitiv mehr Geld, will sie die Doktrin einer glaubwürdigen Landes- und Bündnisverteidigung erfüllen.

Scholz’ Beteuerungen, er nehme die Sorgen der Verbündeten ernst und stehe fest an ihrer Seite, leiden angesichts der von ihm noch als Finanzminister geplanten Haushaltspolitik an einem Glaubwürdigkeitsdefizit. Das lässt sich sogar ziemlich genau beziffern.

Die vertraulichen Eckwerteforderungen vor, mit denen das Verteidigungsressort in die Haushaltsverhandlungen mit dem Scholz-Nachfolger Christian Lindner (FDP) gegangen ist, sehen diese deutlichen Steigerungen des Etats auch vor. Danach benötigt die Bundeswehr im Jahr 2023 statt der vom Finanzministerium vorgesehenen 47,3 Milliarden Euro 53,7 Milliarden Euro. Dieses Delta wächst jährlich: 2024 werden statt 47,1 Milliarden Euro 55,4 gebraucht, 2025 57,2 statt 46,7 Milliarden. Und 2026 beträgt der Bedarf statt 46,7 stolze 59,1 Milliarden Euro.

Der Fehlbetrag summiert sich insgesamt auf 37,6 Milliarden Euro. Und selbst damit, so schreiben die Bundeswehrplaner, ließen sich die aus den Zusagen an die Nato abgeleiteten und im sogenannten „Fähigkeitsprofil“ der Streitkräfte festgelegten „Maßnahmen und Vorhaben“ nicht „zeitgerecht“ erreichen.

Das ist keine Überraschung, das Zwei-Prozent-Ziel ist keine willfährige Größe, sondern an konkreten militärischen Aufträgen orientiert. Mit den vom Wehrressort vorgelegten Forderungen würde man 2026 immerhin auf 1,5 bis 1,6 Prozent kommen.

Inwieweit die Finanzierungslücke in den Verhandlungen geschlossen werden kann, entscheidet darüber, was Scholz den Bündnispartnern an militärischer Hardware tatsächlich anbieten kann. Stand jetzt nicht finanziert ist ein Nachfolgesystem für den Kampfjet Tornado, das Deutschlands nukleare Teilhabe in der Nato sichern soll, schreibt Torsten Jungholt in der WELT am Sonntag.

Vor allem die wichtigten Projekte sind nicht finanziert. In den Eckwerteforderungen an das Finanzministerium sind deshalb weiter schwere Transporthubschrauber, die digitale Führungsfähigkeit des Heeres, Eurofighter, Korvetten K130, Marinehubschrauber Sea Tiger, die Modernisierung der Patriot-Flugabwehr, Puma-Schützenpanzer oder schwere Waffenträger für die Infanterie genannt.

Mit 22 Milliarden Euro machen derlei militärische Beschaffungen den Löwenanteil der Mehrforderungen aus. Weitere drei Milliarden Euro extra werden gebraucht, um Waffensysteme in Nutzung zu warten oder überhaupt erst einsatzbereit zu machen. „Die Streitkräfte sind marode“, hatte der Bundesvorsitzende Oberst André Wüstner vor wenigen Wochen in der WELT gesagt, und: „Die Truppe lässt sich nicht mehr nur mit Reden überzeugen.“

Jungholts Fazit: Für Bundeskanzler Scholz geht es also nicht nur um internationale Glaubwürdigkeit, sondern auch um jene gegenüber den eigenen Soldaten. Seiner Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ergeht es dabei so wie den Verbündeten:

Sie hat nur das Wort des Kanzlers, die „nötigen Mittel im Rahmen des Möglichen“ zur Verfügung zu stellen. Ende nächster Woche wird sie wissen, was das in Euro bedeutet. Dann sollen die Verhandlungen zwischen Verteidigungs- und Finanzministerium abgeschlossen sein.

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