Vor dem LOT-Haus in Vlasenica: Ein Gelbes Band vom BundeswehrVerband für die Truppe: Bei der Übergabe Frank Schmitt, Beauftragter Auslandseinsätze, Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert und Major Ronald Hartwig, Chef des Liaison Operation Teams in Vlasenica. Foto: DBwV/Frank Jungbluth

Vor dem LOT-Haus in Vlasenica: Ein Gelbes Band vom BundeswehrVerband für die Truppe: Bei der Übergabe Frank Schmitt, Beauftragter Auslandseinsätze, Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert und Major Ronald Hartwig, Chef des Liaison Operation Teams in Vlasenica. Foto: DBwV/Frank Jungbluth

19.01.2025

Auf dem Balkan ist die Zündschnur immer noch kurz

Besuch beim Deutschen Einsatzkontingent EUFOR in Bosnien und Herzegowina. In LOT-Häusern sichern die 50 Soldatinnen und Soldaten der Mission OP ALTHEA die Verbindung, sind Auge und Ohr für EUFOR und halten den Kontakt zu den Einheimischen, damit die Mission, die seit 20 Jahren im Land ist, unterstützt und akzeptiert wird. Zehn Jahre war die Bundeswehr nicht dabei, seit zwei Jahren sind deutsche Soldaten zurück. Sie sind Auge und Ohr, ein Frühwarnsystem.

Ankunft im Sarajevo, auf den Bergen, die die Stadt umgeben, liegt Schnee. Es ist Ende des Jahres 2024, für einen Westeuropäer schon erbärmlich kalt. Wie müssen sich die Menschen gefühlt haben, die vor 25 Jahren in den furchtbaren, blutigen Bosnienkrieg geraten sind, der im Frühjahr 1992 begonnen wurde und bis Ende 1995 andauerte, als die Kriegsgegner den Vertrag von Dayton unterschrieben – bis dahin waren 100.000 Menschen gestorben, 60.000 Soldaten, 40.000 Zivilisten, ermordet in Konzentrationslagern, heimtückisch erschossen von Scharfschützen, umgekommen im Granatfeuer, vertrieben und getötet in den endlosen Schlachten und Scharmützeln.

„Der Konflikt dauert bis heute an, nur, dass er nicht mehr als Krieg geführt wird“, sagt Oberstleutnant Bernd Richter im Gespräch mit Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden, und Oberstabsfeldwebel Frank Schmitt, Ansprechpartner für Auslandseinsätze des Landesverbands West. Stabsoffizier Bernd Richter ist ein erfahrener Soldat. Der Berliner musste 1982 als Kind des alten Westteils der Hauptstadt nicht zur Bundeswehr, wollte aber unbedingt und musste dafür einige Hürden überwinden. Aber das ist eine andere Geschichte. In Bosnien-Herzegowina, dessen Hauptstadt Sarajevo ist, leben drei Ethnien, die man Bosnier nennt, die aber Bosniaken, Serben und Kroaten sind. Vor dem Krieg hatte Sarajevo gut 360.000 Einwohner, heute sind es weniger als 290.000. 3,3 Millionen Menschen leben in diesem Vielvölkergemisch auf der Balkan-Halbinsel. Sie wollen eigentlich nicht zusammenleben, müssen aber.

Miteinander zu tun haben Serben, Bosniaken und Kroaten nichts. Jeder lebt in seinem Kanton, der Staat ist komplett von der Finanzierung durch die Europäische Union abhängig, es gibt 140 Ministerien und Administrationen, die den Großteil des Staatshaushaltes verschlingen. Die klugen und gut ausgebildeten jungen Menschen verlassen das Land in Scharen, es gibt kaum Perspektiven. Sie suchen ihr Glück in Österreich, Deutschland oder der Schweiz.

Andererseits ist Bosnien-Herzegowina ein Staat, in dem Weltpolitik passiert. Die Chinesen sind da. Sie bauen Infrastruktur wie Straßen und Brücken und versuchen, sich so, Einfluss zu sichern. Die Russen sind da. Vertreter arabischer Staaten, die dafür sorgen, dass Moscheen und islamische Schulen gebaut werden. Die Mission EUFOR OP ALTHEA gibt es inzwischen 20 Jahre. Deutschland war zehn Jahre aus dem Rennen. Vor zwei Jahren, mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, hat der Bundestag einen neuen Einsatz mandatiert. Zu wichtig ist der Bundesrepublik, die Ereignisse hier zu verfolgen. Denn Russland, China, die Türkei, die erwähnten arabischen Staaten, verfolgen hier ihre eigenen Strategien. Bosnien-Herzegowina ist ein Brennglas der großen Politik.

Wer den Krieg von 1992 bis 1995 verstehen will, muss mit Oberstabsfeldwebel Frank Schmitt sprechen. Der 54-Jährige kommt nach 27 Jahren zurück nach Sarajevo. Eine alte Aufnahme von 1997 zeigt ihn vor der Ruine eines Hochhauses, das am Rande der Hauptstraße Dzemala Bijedica in Sarajevo emporragt. Frank Schmitt steht auf einem alten Foto dort als junger Feldwebel, sein Gewehr G36 im Anschlag. Er war fünf Monate im deutschen Feldlager, seitdem ist er nicht mehr in Bosnien gewesen. Wir sind an dem Gebäude, das damals eine Ruine war, heute ist es ein Luxushotel. Frank Schmitt ist tief bewegt, als er sich an der Stelle positioniert, an der vor fast 30 Jahren stand. „Wenn man heute erlebt, wie sich Sarajevo verändert hat, dann erschließt sich der Sinn des Dienens“. Frank Schmitt Ansprechpartner für Auslandseinsätze im Landesverband West des Deutschen BundeswehrVerbandes. Der Fallschirmjäger war in Somalia, in Afghanistan, im Kongo und im Kosovo – viel mehr Erfahrung bei Auslandseinsätzen kann man kaum sammeln.

Im Hauptquartier des National Support Element, wo der Kontingentführer Oberstleutnant Bernd Richter das Kommando führt, gibt es neben vielen Büros auch ein Feldpostamt. Donnerstags kommt die Post. Im Regal sind die neuen Kalender des BundeswehrVerbandes. Draußen haben die Soldatinnen und Soldaten eine überdachte Hütte gebaut, in der nach dem Dienst bei Kaminfeuer vom Bildschirm und heißen Getränken entspannt werden kann, draußen ist sogar eine kleine Weihnachtshütte zusammengezimmert worden, drinnen ist alles adventlich dekoriert.  

Richter führt das knapp 50 Soldatinnen und Soldaten große Kontingent seit Juli 2024, im Frühjahr 2025 wird er übergeben. General Bernd Schütt, seit 2021 Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr nahe Potsdam wird dabei sein. Es wird eine von Schütts letzten Amtshandlungen. Das Einsatzführungskommando wird bis dahin mit dem Territorialen Führungskommando in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin zum neuen Operativen Führungskommando in Berlin verschmolzen sein.

Oberstleutnant Richter, der 2002 bei der Mission SFOR in Bosnien und Herzegowina und 2009 bei KFOR im Kosovo im Auslandseinsatz war, kennt den Balkan und die besonderen Probleme und Themen. Er ist somit die Idealbesetzung für die Mission EUFOR, ein Einsatz, der sich nicht sofort erschließt, denn die Lage ist kompliziert: In Bosnien gibt es drei Entitäten, die in ihren Kantonen insgesamt 141 Ministerien und Administrationen verwalten. Die Europäische Union finanziert den Drei-Völer-Staat im Prinzip komplett, die eigene Wirtschaftsleistung ist nicht der Rede wert. Die allgemeine Lage ist ruhig und stabil, aber Serben. Bosniaken und Kroaten begegnen sich mit freundlicher Missachtung und Ignoranz. Jede Volksgruppe hatte ihre eigenen Fernseh- und Radioprogramme. 3,3 Mio Menschen leben in Bosnien, aber von einem gemeinsamen Staat, wie man es hierzulande kennt, kann man nicht sprechen. Die Landflucht der Jugend ist das größte Problem. Die klugen Köpfe verlassen das Land, und Korruption ist das größte Problem.

Bezahlt wird in einer Währung, die kurios klingt: Konvertierte Mark. Sie ist halb so viel wert wie ein Euro. Nicht wenige Flüchtlinge aus Afrika und dem arabischen Raum kommen über Bosnien in die Länder der Europäischen Union, die Grenzpolizei wird bestochen, so, wie auch Verkehrspolizisten, die sich so ihren schmalen Sold aufbessern. Russland, China und die Türkei nehmen großen Einfluss: Die Chinesen sehen das Land als Erweiterung ihrer Idee von der Seidenstraße. Sie investieren in Infrastruktur, bauen Brücken oder Straßen. Russia Today, der in vielen europäischen Ländern inzwischen verbotene Putin-Sender eröffnet gerade ein Büro in Banja Luka. Am Flughafen in Sarajevo sieht man Ankommende aus arabischen Staaten, stark verschleierte Frauen, Imame. Sie bauen, wie  auch die Türken Schulen und Moscheen.

Für die Türken ist das eine historische Mission – bis 1878  gehörte Bosnien-Herzegowina zum damals großosmanischen Reich, 1463 hatten sie das Land als Grenzregion zu Europa erobert. Dann kamen die Truppen der Habsburger und eroberten das Land für Österreich-Ungarn, 1908 annektierte der österreichische Kaiser Franz-Joseph Bosnien und Herzegowina offiziell. Sein Neffe Franz-Ferdinand, der Thronfolger hätte werden sollen, bezahlte die schwelenden Konflikte auf dem Balkan und den Traum der Habsburger von Großösterreich am 28. Juni mit dem Leben.

Der serbische Schüler Gavrillo Prinzip, der dem serbisch-nationalistischen Geheimbund „Junges Bosnien“ angehörte, warf während eines Truppenbesuchs von Erzherzog Franz-Ferdinand und seiner Frau Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajevo erst eine Handgranate auf den offenen Wagen des Paares, dann schoss er auf die beiden. Erst starb Sophie Gräfin Chotek von Chotkowa und Wognin, die in Stuttgart geboren war, wenige Stunden später der Thronfolger. Das Attentat löste die so genannte Juli-Krise aus, die schließlich im Ersten Weltkrieg mündete, weil der deutsche Kaiser Wilhelm II. seinem Verbündeten Kaiser Franz-Joseph umfassenden Beistand beim militärischen Vorgehen gegen die Serben zugesichert hatte. Der Rest ist Geschichte mit neun Millionen gefallenen Soldaten bei den Kriegsparteien und sechs Millionen toten Zivilisten, allein in Deutschland verhungerten 700.000 Menschen. Heute erinnert ein Museum in Sarajevo unweit des Attentats-Ortes daran. Gavrillo Prinzip wird von den Serben bis heute als Held verehrt.

In Bosnien und Herzegowina wird bis heute Weltpolitik gemacht. Die neuen und alten Blöcke treffen aufeinander, deshalb ist die Mission der knapp 40 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor allem eine, die in gewisser Art Geheimdiensttätigkeit ist. Im Hotel trifft man Chinesen beim Frühstück, fahren russische Diplomaten umher, setzt sich die Bundeswehr auf ihre Fährte. Wir eine neue Moschee eröffnet sind deutsche Soldaten dabei. Sie führen Gespräche mit den Menschen auf der Straße oder im Café und sammeln so wertvolle Informationen. Major Ronald Hartwig leitet eines der LOT-Häuser. LOTs sind Liason Operation Teams, die ein Gebiet im Prinzip beaufsichtigen.

Sein LOT-Haus ist in Vlasenica im Nordosten des Landes, wo man bis auf 1.400 Meter Höhe kommt. Zwei weitere Häuser, eines in der Nähe der Adriaküste, werden von der Bundeswehr geführt. „Wir sind Horchposten und Frühwarnsystem für die Lagebeurteilung“, sagt Hartwig. Im Haus selbst haben sich die Soldaten eingerichtet. Sie leben und arbeiten jeden Tag unter einem Dach. Vertrauensvolle Beziehungen zur lokalen Bevölkerung aufzubauen, ist auch Teil der Mission, ebenso der Kontakt zu nationalen und internationalen Organisationen. Sie sind Berater und stellen wiederum den Kontakt zu EUFOR her und sorgen vor allem für eine Akzeptanz der Missionen, die der Stabilisierung im ehemaligen Kriegsgebiet Bosnien und Herzegowina dient. „Aber man muss bedenken, es ist immer noch der Balkan. Die Zündschnur ist kurz“, beschreibt Major Ronald Hartwig die Lage. „Die Soldaten hier tragen bewusst keine Waffen. Wir ermitteln, wir hören zu, wir sind dabei, wenn eine Moschee eröffnet wird. Wir sind Auge und Ohr.“

Vor dem Krieg waren die muslimischen Bosniaken in der Region Vlasenica in der Mehrheit, die Serben in der Minderheit. Während des Krieges hatte die serbische Armee in einem alten Bunker, in dem schon der legendäre Tito militärisches Quartier bezogen hatte, den Feldzug gegen die Bosniaken koordiniert. Die meisten Bosniken wurden im Krieg vertrieben, wer sich weigerte, die Heimat zu verlassen, wurden von den Serben in einem Konzentrationslager im nahe gelegenen Wald interniert. 500 von den bis zu 5.000 Insassen sind ums Leben gekommen. „Einer der Bürgermeister in der Gemeinde ist wegen Kriegsverbrechen angeklagt“, sagt Major Ronald Hartwig. Aber der Prozess wird sein Jahren nicht eröffnet. Für Oberstleutnant Marcel Bohnert und Oberstabsfeldwebel Frank Schmitt ist der Stopp beim KZ im dichten Schneetreiben ein bewegender Moment. Genauso, als Ronald Hartwig den beiden ein unscheinbares Einfamilienhaus zeigt, indem die Serben während des Krieges monatelang bosniakische Frauen festgehalten und vergewaltigt haben.

19 Nationen sind an der Mission EUFOR OP ALTHEA beteiligt, 1.550 Soldaten insgesamt, dabei ist ein Kampfbataillon mit 800 Soldatinnen und Soldaten. Dabei sind neben den Deutschen in ihren drei LOT-Häusern unter anderen Rumänen, Italiener, Österreicher, Griechen und

19 Nationen bei Eufor, 1550 Soldaten insgesamt. Ein Kampfbataillon mit 800 Soldaten. Oberstleutnant Bernd Richter ist seit Sommer 2024 Kontingentführer, bis zum Frühjahr 2025 will er bleiben „Ich bin ein alter Knochen“, lacht er. Der Abschied aus Bosnien wird für den 61-Jährigen, der seit 43 Jahren Soldat ist, auch das Ende seiner Dienstzeit. Fordernd, aber fair und vor allem nicht nachtragend, so beschreiben ihn seine Untergebenen. Seit 16. August 2022 ist die Bundeswehr wieder in Bosnien, nach zehn Jahren Pause. Bosnien und Herzegowina sind im Sommer bei bis zu 35 gut verträglich, im Winter allerdings fallen die Temperaturen bis auf minus 20 Grad, es schneit und der Wind ist schneidend.

In Camp Butmir, unweit des derzeitigen Deutschen Hauptquartiers,  sind die meisten der Truppen der EUFOR-Mission stationiert. Dort gibt es seit  dem 18. November 2024 einen Gedenkstein für die 17 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die bei SFOR und EUFOR ihr Leben gelassen haben. In Sarajevo hatten vor allem die muslimischen Bosniaken tausende Tote zu beklagen, überall in den Bergen, von denen die Stadt umgeben ist, sieht man Begräbnisfelder mit hunderten von Steintafeln. Auf dem Weg zu einem der Verstecke, in denen sich serbische Scharfschützen während des Krieges verborgen hatten, liegt auch so ein Begräbnisfeld. Die berüchtigten Sniper haben aus solchen Verstecken wahllos auf die Menschen in den Starßen unten in der Stadt geschossen. Auch auf Frauen und Kinder, Zivilisten. Hunderte Menschen sich dabei ermordet worden, tausende verletzt. Am Wochenende kamen serbische Freischärler in die Berge haben zum Freizeitvergnügen in die Stadt geschossen, erzählt ein Einheimischer. Der Schrecken von damals beherrscht immer noch die Gefühle vieler, die nicht vergessen können.

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