Abschlussappell und Großer Zapfenstreich: "Das war definitiv ein emotionaler Moment."
Nachdem mit verschiedenen Ehrungen die Leistungen der Soldatinnen und Soldaten bei der Evakuierungsmission im August gewürdigt wurden, war der 13. Oktober den Angehörigen aller Kontingente gewidmet, die in den letzten fast zwanzig Jahren in Afghanistan im Einsatz waren. Ihre Leistungen und ihre Opfer wurden im Zentrum der Bundeshauptstadt ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Auf die Frage nach der Wirkung des Großen Zapfenstreichs, sagte Oberstleutnant André Wüstner, Bundesvorsitzender des Deutschen BundeswehrVerbandes:„Das war definitiv ein emotionaler Moment. Ich bin mir sicher, für unzählige Kameradinnen und Kameraden gleichermaßen, für Veteranen, für Angehörige und Hinterbliebene. Es war ein besonderer Tag, es war eine besondere Würdigung.“
Die Kranzniederlegung am Ehrenmal der Bundeswehr durch Vertreter der Einsatzverbände, mit der die Würdigung begann, fand dabei noch im geschlossenen und kleinen Kreis statt, da sie sich vorwiegend an die Hinterbliebenen der Gefallenen und Verstorbenen richtete. Dabei waren Einsatzversehrte, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, sowie Militärgeistliche. Der anschließende Abschlussappell fand zudem im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen hochrangigen Politikern und Politikerinnen auf dem Paradeplatz des Verteidigungsministeriums statt. Geladen waren auch hier, dem Anlass entsprechend, Veteranen und Veteraninnen und Angehörige – auch von Gefallenen.
Der Abschlussappell
In ihrer Rede adressierte die Verteidigungsministerin zuallererst, die Soldatinnen und Soldaten, die in den insgesamt 76 Kontingenten in Afghanistan waren. „Heute ist nicht der Tag, das Kapitel Afghanistan zu schließen. Heute ist nicht der Tag der Politik. Wir stehen heute im Hintergrund, um den Blick freizumachen auf Sie. Auf Sie, die diesen Einsatz in 20 Jahren getragen haben. Auf Sie, die Sie vor Ort in Afghanistan waren. Auf ihre Kameradinnen und Kameraden, die in Afghanistan gefallen sind oder im Zusammenhang mit dem Einsatz ums Leben gekommen sind. Auf die Familien und die Hinterbliebenen, die diese Last getragen haben und bis zum heutigen Tag tragen.“
Kramp-Karrenbauer stellte aber auch eine ehrliche und offene Aufarbeitung in Aussicht, um künftig Ziele von Einsätzen und Missionen klar und realistisch zu definieren. Sie betonte zudem, dass man den Leistungen der Soldatinnen und Soldaten nicht gerecht werden, wenn nachträglich die Rede von einem Desaster oder einer Katastrophe sei. Die militärischen Aufträge seien erfüllt worden, wenngleich auch ein nachhaltiger politischer und zivilgesellschaftlicher Transformationsprozess in Afghanistan nicht gelungen sei. Aber, dem EInsatz der deutschen Soldatinnen und Soldaten sei es zu verdanken, dass 20 Jahre keine Gefahr, kein Terrorismus von Afghanistan ausgegangen sei und eine ganze Generation Afghanen - und Afghaninnen - sicherer und besser leben konnte.
Ähnlich äußerte sich der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner anschließenden Rede. Er rief die Menschen dazu auf sich vorzustellen, was es mit Soldatinnen und Soldaten, die ihre Aufträge unter höchsten Risiken erfüllt haben, anrichte, wenn ihre Leistungen derart abwertend beschrieben würden. Auch Steinmeier stellte die Soldatinnen und Soldaten in den Mittelpunkt seiner Rede. „Für Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, die dort in den vergangenen 2 Jahrzehnten im Einsatz waren. Für sie ist Afghanistan ein Teil ihrer Lebensgeschichte. Für sie ist Afghanistan Kameradschaft, Feldpostadresse und Heimweh. Für sie ist Afghanistan der endlose Tag im Feldlager und die endlos erscheinenden Sekunden im Gefecht. Für sie ist Afghanistan Hitze und Staub, Entbehrung und Angst. Wir stehen tief in ihrer Schuld. Wir werden sie nicht vergessen. Wir verneigen uns vor dem Andenken.“
Mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung von Veteraninnen und Veteranen sagte Steinmeier: „Es ist wichtige, ihre Geschichten zu kennen. Sie verdienen gehört zu werden.“
Oberstleutnant André Wüstner mahnte in der Phoenix Runde nach dem Zapfenstreich aber auch, dass der Zapfenstreich kein Schlussstrich sei. „Ich habe heute oft gehört: Dieser Einsatz ist damit abgeschlossen. Der ist für Unmengen an Menschen in dieser Bundeswehr noch nicht abgeschlossen. Für einzelne geht der Krieg im Kopf weiter und deswegen hat Fürsorge eine elementare Bedeutung für die Menschen, die noch immer leiden.“
Der Große Zapfenstreich
Der besonderen Bedeutung der Bundeswehr als Parlamentsarmee trug der Ort des abschließenden Großen Zapfenstreichs Rechnung: Auf dem Platz der Republik vor dem Deutschen Bundestag wurden die etwa 160.000 Soldatinnen und Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren mit einem Großen Zapfenstreich geehrt.
Die Tradition des Zapfenstreichs, die bis in das 16. Jahrhundert zurück reicht und die historisch das Ende eines Tages verkündete, steht heute eigentlich Bundespräsidenten, Bundeskanzlern und Bundesverteidigungsministern sowie Soldaten im Rang eines Generals oder Generalleutnants bzw. Admirals oder Vizeadmirals beim Ausscheiden aus dem Dienst zu, wie Oberstleutnant Sven Homann Protokolloffizier beim Wachbataillon der Bundeswehr erläuterte. Dies, wie auch die Teilnahme von Vertretern aller fünf Verfassungsorgane, sei eine hohe Ehre und ein würdiger Abschluss des Einsatzes, sagte Homann.
Der Große Zapfenstreich begann mit dem Einmarsch der Ehrenformation und des Musikkorps der Bundeswehr. Stellvertretend für alle Soldatinnen und Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren, meldete Oberstleutnant Kai Beinke, der den Großen Zapfenstreich kommandierte, Oberstabsfeldwebel Jens Burdinski und Oberfeldarzt Katharina Siegl das Antreten.
Die Bundeswehrärztin Siegl war dreimal am Hindukusch. Panzergrenadier Burdinsky hat es auf rund 1.700 Tagen im Afghanistan-Einsatz gebracht. Beide haben gemeinsam ein Gefecht erlebt, nachdem
2011 ein Schützenpanzer auf eine Sprengfalle fuhr. Oberstabsgefreite Alexej Kobelew kam dabei ums Leben
Anschließend spielte das Musikkorps der Bundeswehr den „Marsch der I. Bataillon Garde“, seit 20 Jahren der Marsch des Einsatzführungskommandos, das den Einsatz geführt hat. Danach intonierten sie Filmmusik aus „Band of Brothers“ von Michael Kamen, die für Kameradschaft steh und beim letzten Besuch des Generalinspekteurs in Masar-i-Sharif gespielt wurde. Darauf folgte „Viribus Unitis“, ein Marsch von Johann Strauss‘ Sohn, der traditionell bei Veranstaltungen der ISAF gespielt wurde.
Auf die Serenade folgte die Paradeaufstellung mit Pfeifen und Trommeln, alten Signalen der Infanterie, und Bläsersignalen der Kavallerie, dem sogenannten klingenden Spiel und dem Großen Zapfenstreichmarsch, der nur zu diesem Anlass gespielt wird. Schließlich erklang das musikalische Gebet „Ich bete an die Macht der Liebe“ vom ukrainischen Komponist Dimitry Bortniansky. Der Große Zapfenstreich endete mit der deutschen Nationalhymne.
Der Afghanistaneinsatz nimmt mit Appell und Zapfenstreich nun auch zeremoniell sein Ende. Für Brigadegeneral Jens Arlt steht aber fest: „Einerseits hat man formal einen Abschluss, andererseits kann man Afghanistan nicht loslassen.“
Es bleibt zu hoffen, dass die Worte des Bundespräsidneten vom Abschlussappell Gehör finden: „Deutschland verdient eine Sicherheitspolitik, die Lehren aus 20 jahren Afghanistan zieht. Es ist eine Aufgabe für den neuen Bundestag.“