„Alle werden nie vergessen, was sie hier erlebt haben“
Die Invictus Games in Düsseldorf sind Geschichte. Sie waren bunt und selbstbewusst, spannend und emotional. Vor allem aber sollte ihr Ergebnis nachhaltig sein.
Am Ende sind da eben die Sieger. Die Zuschauer klatschen, die Kontrahenten auch. Es ist laut bis sehr laut, egal ob die Wettbewerbe in der Halle oder open air stattfinden. Gänsehaut und Standing Ovations gibt es ständig, etwa als die ukrainische Mannschaft bei der Eröffnung einläuft - bei den Deutschen ohnehin: Bei Mike Mutschke, wenn er Silber im Kugelstoßen gewinnt, bei Julia Eyrich für die Goldmedaille im Zeitfahren oder bei Jörg Hinrichs, der Silber im Tischtennis holt.
Die deutsche Mannschaft hat in Düsseldorf viel gewonnen, knapp zwanzig Medaillen, es ist ihr erfolgreichstes Abschneiden in der Geschichte der Invictus Games, aber Medaillen sollen hier nicht gezählt werden. Sie sind nur ein Teil der Erzählung der Games. Mit Absicht wird bei den Spielen kein Medaillenspiegel erstellt – denn darum geht es nicht. Der Erfolg definiert sich anders.
Da war die britische Fahrerin im Racing Chair, die gegen eine Jordanierin antrat, die das noch nie gemacht hatte – und die mitten im Rennen so erschöpft war, dass sie aus dem Rollstuhl zu fallen drohte. Die Britin fuhr hin und stütze sie - das Rennen war in diesem Moment nicht mehr wichtig.
Oder ihr Landsmann, der nicht antrat, - in Afghanistan auf eine Mine getreten, die seine Beine und seinen rechten Arm zerstörte -, der nur nach Düsseldorf gekommen war, um das britische Team zu unterstützen.
Da war der Kolumbianer, der beim Schwimmen so spät ins Ziel kam, dass der siegreiche Ukrainer, die Distanz nochmal hätte schwimmen können - aber das natürlich nicht tat, sondern lieber den Kolumbianer anfeuerte, genau wie die Zuschauer. Die Ruderer, die nach ihrem Wettkampf von der Maschine fielen und sich gegenseitig aufhalfen, die Gewichtheber, die ohne Beine schwerste Gewichte hoben und der Rollstuhlfahrer, der unter Tränen aus der Halle geführt werden musste, weil ein Reifen kaputtgegangen war, und das Knallen sich wie ein Schuss anhörte – und damit Monate der Therapie zunichte gemacht wurden. Für all diejenigen lag der Sieg nicht im Gewinn einer Medaille.
Denn der Wettkampf war nur der letzte Schritt. Der echte Weg zurück fand bereits zuvor statt. Es war ein körperlicher Kampf, eine sportliche Leistung, dass auch, aber vor allem, war es ein Kampf mit der eigenen Psyche. Kann ich das noch? Halte ich dem Druck stand? Kann ich mein Handicap überwinden? Diese Art von Kampf zurück ins Leben verschwindet nicht, weil man eine Medaille gewinnt. Er ist manchmal nie zu Ende. Und so gab es Applaus für alle, Anerkennung ohnehin.
„All diejenigen, die diese Woche hier waren“, sagt Oberst André Wüstner, der Bundesvorsitzende des DBwV, auf dem Abschlussempfang des DBwV bei den Spielen, „werden nie vergessen, was sie erlebt haben. Er sagt: „Das ist eine gigantische Veranstaltung. Es sind viele Schulklassen hier, natürlich auch viele Menschen aus der Bundeswehr, die sich informieren, die Fragen stellen, die mit anfeuern. Das hat man gesehen beim Sitzvolleyball, das war eine absolut gigantische Atmosphäre. Wenn man das alles gesehen hat, dann kann man jetzt schon einen Strich drunter machen und sagen, wie erfolgreich diese Invictus Games sind.“
„Eine Woche der großen Gefühle“, sagt auch Stabsfeldwebel Thomas Schwappacher, der erste stellvertretende Bundesvorsitzende. „Wer diese Spiele nicht erlebt hat, der hat eines der beeindruckendsten Ereignisse dieses Jahres verpasst. Dieses Erlebnis, Kameradinnen und Kameraden zu sehen, die im Dienst verwundet worden sind und dennoch tapfer ihren Platz im Leben erkämpft haben, um bei diesen Spielen dabei sein zu können, ist eigentlich unbeschreiblich.“
Auch die Fans hätten ihre große Verbundenheit eindrucksvoll gezeigt. „Wir sind als Deutscher BundeswehrVerband froh, als Institutional Partner diese Spiele breit unterstützt zu haben. Der Verband zeigt damit auch seine tiefe Verbundenheit zu den Veteranen der Bundeswehr und ihren Angehörigen.
Die Invictus Games 2023 waren den großen Einsatz der Bundesvorstandsmitglieder und vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DBwV wert.“ Die Spiele, sagt er, „werden sicher in die Geschichte der Invictus Games eingehen“. Dafür hätten vor allem die Sportlerinnen und Sportler mit ihrem beeindruckenden Einsatz in allen Disziplinen gesorgt, „die als Sportler und Menschen unglaubliches geleistet haben“. Sie hätten „Gänsehautmomente“ geschaffen.
Schwappacher sagt auch: „Dank dafür gebührt auch der internationalen Invictus-Games-Familie. Für den DBwV sind die IG23 auch ein Auftakt, uns noch mehr für Veteranen und eine Veteranenkultur in Deutschland zu engagieren. Deshalb fordern wir als Deutscher BundeswehrVerband auch einen Veteranentag für unsere Soldatinnen und Soldaten. Diese sichtbare Wertschätzung haben unsere Kameradinnen und Kameraden lange verdient.“
Niemand, der nicht bewegt wäre: „Sehr emotional für mich“, sagt Generalleutnant Markus Laubenthal, stellvertretender Generalinspekteur der Bundeswehr. „Das war überwältigend.“
Und auch Generalleutnant André Bodemann, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, sagt: „Ich bin zutiefst beeindruckt von den Wettkämpfern, auch von der Stimmung.“ „Gänsehaut-Feeling pur“, ergänzte schließlich Generalleutnant Ingo Gerhartz, der Inspekteur der Luftwaffe, „Diese Menschen zu sehen, die in den Einsätzen verletzt worden sind, die sich hier wieder zurückgekämpft haben.“ Er sagt: „Hier ging es nicht um den Wettkampf, sondern darum, gemeinsam Sport zu machen und was zu erleben.“Und auch aus der Sicht des DBwV haben sich die Spiele „total gelohnt“, sagt Oberstleutnant Lutz Meier. Er ist Landesvorsitzender West. Düsseldorf ist Teil des Landesverbandes West. Man habe viel erreicht: den Verband erlebbar gemacht, den Mitgliedern ein Erlebnis geboten, und vor allem viele neue Mitglieder gewonnen. „Das Team“, das ist ihm wichtig zu betonen und er meint damit diejenigen, die am Stand in Düsseldorf standen, „ist herausragend.“
Er sagt: „Die sind Gold wert.“ „Insgesamt“, auch das sagt er „war es aber eine Geschichte des gesamten Verbandes.“ Schließlich habe man während der Invictus Games Themen platziert und in die Politik transportiert, vor allem der Umgang mit den Veteranen sei ein Thema, das weiterverfolgt werden müsse. „Der Minister nimmt es mit“, sagt Meier. Im Austausch mit den Parlamentariern habe man viel mitgeschrieben. „Wir werden die Abgeordneten immer wieder daran erinnern.“ Schließlich gehe es darum, dass Therma Veteranenkultur nachhaltig in der Gesellschaft voranzubringen. Schwappacher betont denn auch, dass die Spiele nur der Auftakt für den DBwV seien, um „uns noch mehr für Veteranen und eine Veteranenkultur in Deutschland zu engagieren.“ Der Verband fordere daher einen Veteranentag für unsere Soldatinnen und Soldaten. „Diese sichtbare Wertschätzung haben unsere Kameradinnen und Kameraden lange verdient.“
Als Mike Mutschke Silber gewinnt und Armin Witzcak im Schwimmen Gold, da ist das für beide die Belohnung harter Arbeit. Nach vielen Jahren der Rehabilitation ein selbstgestecktes Ziel zu erreichen: Das hilft bei der Heilung, körperlich und seelisch. Mit der Wertschätzung darf das aber nichts zu tun haben: Die muss ohnehin da sein. Der Respekt der Gesellschaft darf nicht an einer Medaille hängen.
„Es war beeindruckend und hat mich tief berührt, den Kameradinnen und Kameraden aller Nationen beim friedlichen und gemeinsamen Wettkampf zuzuschauen und sie zu begleiten. Jede Leistung, jeder erzielte Treffer, jeder Punkt, jeder Korb wurden bejubelt – auch vom jeweils unterlegenen Teilnehmer. Das ist wahre Kameradschaft, Fairness und Sportsgeist. Jeder Wettkampf war zudem auch ein innerer Wettkampf jedes einzelnen – und so blieben alle „Invictus“, also unbesiegt!“, so Fregattenkapitän Marco Thiele, Vorsitzender Marine im DBwV-Bundesvorstand und stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Soldaten und Veteranen Stiftung des DBwV.
Aber ob es außerhalb der Medaillen ein erfolgreiches Abschneiden der Deutschen war, das muss sich noch zeigen. Denn mal ehrlich: Natürlich kann man betonen, dass der Soldatenberuf ein ganz normaler Job ist, das hat das BMVg in diversen Kampagnen jahrelang getan. Nur stimmt das eben nicht. Wenn es die Lage erfordert, steht man ein mit allem, was man hat, und das bedeutet eben auch: mit der körperlichen und seelischen Gesundheit. Ein größeres Commitment kann es nicht geben – und das sollte die Gesellschaft anerkennen, schließlich haben wir eine Parlamentsarmee. Das ist gut, aber das bedeutet eben auch, dass das deutsche Volk die Soldaten entsendet. Und das deutsche Volk sollte dann eben auch sehen, was diese Soldaten leisten. Haben die Invictus Games dabei geholfen? Schwierige Frage.
Sichtbar waren sie die Spiele in Düsseldorf, zumindest rund um die Arena. In den Medien waren die Spiele ebenfalls, allerding nur in homöopathischen Dosen und nicht so, wie sie es hätten sein können. Das liegt natürlich auch an der Veteranenkultur.
Sie ist in Deutschland, wo man sich schon mit dem Wort schwertut, eine ganz andere als etwa in den Niederlanden, Großbritannien und natürlich den USA. Das kann man historisch erklären, aber das liegt eben auch daran, dass die Bundesrepublik sich militärisch jahrzehntelang im Schatten der Amerikaner eingerichtet haben – und die Gesellschaft Frieden als etwas Selbstverständliches erachtet, immer noch, für das nicht täglich gekämpft werde muss. Aber die Welt ändert sich, die Zeiten werden andere. Das muss man nicht mögen als Gesellschaft, aber so ist es eben.
Aber vielleicht geht es voran. Es sei eine besondere Ehre gewesen, sagt Lutz Meier, dass der Bundespräsident an der Abschlussveranstaltung teilgenommen habe. „Er hat sehr gute Worte gefunden.“ Tatsächlich wertet es die Spiele und ihre Teilnehmer auf, wenn der höchste Repräsentant des Landes teilnimmt und erklärt, dass das Land sich um die Soldaten kümmert - während des Einsatzes und auch danach.
Denn so gut die Invictus Games waren: Sie können nur der erste Schritt sein, um den Dialog zwischen den Deutschen und ihrer Armee auszubauen.
Als an Tag 2 der Spiele beim Gewichtheben „I´ve got the power“ läuft von Snap, dann ist das zwar einerseits Eurodance aus den 1990ern, andererseits aber auch nicht weniger als ein Versprechen für den Umgang mit den Veteranen in der Zukunft. Empowerment. Selbstertüchtigung.
Wenn die Spiele auch dabei geholfen haben, waren es sehr gute Spiele.
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