So wurde EUROMIL zur demokratischen schnellen Eingreiftruppe
Als der dänische Seniorsergent af. 1. grad (Oberstabsfeldwebel) Jens Rotbøll im Oktober 1984 einstimmig zum Präsidenten der Europäischen Organisation der Militärverbände EUROMIL gewählt wurde, ahnte er nicht, dass er die Organisation durch einen beispiellosen historischen Umbruch führen würde. 1938 in Kopenhagen geboren, wuchs Jens Rotbøll im süddänischen Haderslev auf. Bis 1920 gehörte der Ort, in dem auch heute noch eine deutschsprachige Minderheit lebt, als Hadersleben zum Deutschen Reich. 1955 trat er in die dänischen Streitkräfte ein. Im folgenden Jahr wurde er mit dem dänischen Kontingent der bewaffneten Einsatztruppe der Vereinten Nationen UNEF, die den Frieden zwischen Israel und Ägypten sichern sollte, nach Gaza entsandt.
Nach seiner Rückkehr nach Dänemark diente Jens Rotbøll seit 1960 im Lager Nymindegab an der dänischen Westküste als Rekrutenausbilder. Wenn es um die Rechte der Soldaten ging, scheute er vor Konflikten nicht zurück. Die Parteinahme brachte ihm – dem ehemaligen Vorsitzenden der Konservativen Jugend Haderslev – bei seinem militärischen Vorgesetzten den Ruf ein, „Kommunist“ zu sein. Seine Kameraden sahen dies anders und wählten ihn zu ihrem Sprecher.
Seit 1960 engagierte er sich in der Allgemeinen Organisation für Stabsunteroffiziere und Feldwebel aller Dienstgrade (SFO), zunächst als Vorstandsmitglied in Haderslev. 1966 wurde er in den nationalen Vorstand der SFO berufen, wo er von 1971 bis 1973 als Vorsitzender Heer wirkte. Seit 1970 gehörte er dem Präsidium der nationalen Dachorganisation „Centralforeningen for Stampersonel (CS)“ an – ab 1977 als stellvertretender Vorsitzender.
Mitgründer von EUROMIL
Es war die Herkunft aus dem zweisprachigen Südjütland (beziehungsweise Nordschleswig), die ihn für eine europäische Perspektive empfahl. Im Juni 1969 lud der Deutsche BundeswehrVerband befreundete Soldatenverbände zu seiner 8. Hauptversammlung ein. Der damalige Vorsitzende der SFO ging davon aus, dass der Kamerad aus Haderslev gut Deutsch sprechen kann, und delegierte ihn nach Bonn. Jens Rotbøll hatte allerdings seit 1955 kein Deutsch mehr gesprochen. Voller Lampenfieber und „mit zwei Wörterbüchern und einer Vase aus der Königlichen Porzellanmanufaktur als Geschenk bewaffnet“ machte er sich auf den Weg. Im Godesberger Parkhotel trafen sich die angereisten Vertreter der befreundeten europäischen Militärverbände am Vorabend der Hauptversammlung zu ersten Gesprächen über einen gemeinsamen Dachverband. Aktiv beteiligte sich Jens Rotbøll als Mitglied des vorläufigen Präsidiums am organisatorischen Aufbau der europäischen Vereinigung. Als am 13. September 1972 EUROMIL in Bergisch Gladbach aus der Taufe gehoben wurde, gehörte er zu den „Gründervätern“. Er wurde Mitglied des Sozialausschusses und später einer der Vizepräsidenten.
EUROMIL wurde 1979 in die Liste der internationalen, nichtamtlichen Organisationen mit besonderem Status beim Europarat eingetragen. Durch beharrliches Bemühen gelang es Jens Rotbøll 1980, die dänische Delegation beim Europarat für die Unterstützung einer Entschließung zu gewinnen, die den Soldaten in Übereinstimmung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention das Recht garantiert, zur Wahrnehmung ihrer sozialen Interessen Berufsverbände zu gründen. Gegen den Willen des Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung wurde der Antrag zur Tagesordnung mit einer Stimme Mehrheit angenommen und der Rechtsausschuss mit der Behandlung dieser Frage beauftragt. Nach langwierigen Beratungen verabschiedete die Versammlung 1988 endlich eine entsprechende Resolution.
Brückenbauer über den „Eisernen Vorhang“
Von 1984 bis 2002 übte Jens Rotbøll als dritter Däne das Amt des Präsidenten von EUROMIL aus. Bereits 1987 initiierte er Kontakte zu Militärs des Warschauer Paktes, dessen baldiges Ende noch nicht abzusehen war. Dass er wie seine beiden Vorgänger einen Unteroffiziersrang bekleidete, führte nach 1990 besonders bei einigen osteuropäischen Verhandlungspartnern anfangs zu Irritationen, hatten diese doch an der Spitze einer europäischen Soldatenorganisation mindestens einen Oberst erwartet. Schnell zeigte sich, dass politischer Einfluss nicht vom militärischen Rang abhängt. Der Oberstabsfeldwebel wurde gefragter Ansprechpartner von Ministern, dem NATO-Generalsekretär und Staatsoberhäuptern – so im Zuge des politischen Umbruchs in Osteuropa unter anderem von Václav Havel.
Als erste Soldatenorganisation eines Staates des ehemaligen „Ostblocks“ nahm EUROMIL im Mai 1990 den Verband der Berufssoldaten der DDR (VBS) als Mitglied auf. Die vorbereitenden Gespräche gehören für Jens Rotbøll zu den beeindruckendsten Erlebnissen seiner Präsidentschaft. Im Gespräch zur Vorbereitung des diesjährigen 50. Gründungsjubiläums von EUROMIL erinnerte er an die Versammlung im Führungskommando der NVA-Luftstreitkräfte östlich von Berlin: Erschienen waren „300 Leute, angeführt von Generälen und dem damaligen DDR-Verteidigungschef (Admiral Theodor Hoffmann – M.R.), die kurz zuvor unsere Feinde gewesen waren. Und da, vor ihnen, stand der kleine Jens aus Dänemark. Es war eine seltsame und glückliche Erfahrung.“ EUROMIL wurde nun zu einer gesamteuropäischen Organisation.
Politischer Frühling in Irland
Dramatisch verlief die Gründung einer Militärgewerkschaft 1990 in Irland. Eine Gruppe irischer Sergeanten bat EUROMIL um Hilfe bei der Aufhebung des Verbots von Militärgewerkschaften. Die Verfassung der Republik Irland garantierte das Vereinigungsrecht – allerdings nicht für die Soldaten. Ein Militärgesetz verbot es ebenso wie jede öffentliche Äußerung der Soldaten zu diesem Thema. Angesichts der Unzufriedenheit mit der rechtlichen und sozialen Situation gründeten 1989 zunächst die Frauen der Soldaten eine Interessenvertretung. Sie trugen ihre Forderungen auf Demons-trationen in die Öffentlichkeit. Unterstützung fanden sie bei den irischen Medien. Ein von 5000 Soldaten unterschriebener Satzungsentwurf eines Soldatenverbandes wurde dem Verteidigungsminister zugeleitet.
Im Februar 1990 nahmen zwei irische Sergeanten an der EUROMIL-Präsidiumssitzung im dänischen Ringkøbing teil. Sie sollten bei ihrer Rückkehr am Flughafen von der Militärpolizei verhaftet werden. Nachdem Jens Rotbøll von diesem Vorhaben erfahren hatte, gelang es ihm, die irischen Medien zu mobilisieren. Gemeinsam mit den Soldatenfrauen erschienen Journalisten in großer Zahl am Flughafen und vereitelten die geplante Festnahme. Die Republik Irland hatte zu dieser Zeit die Ratspräsidentschaft inne und war an schlechter Presse nicht interessiert. Der Verteidigungsminister legte schließlich dem Parlament einen Gesetzestext vor, der die Gründung eines Verbandes aller Dienstgrade ermöglichte. Noch im selben Jahr wurde der irische Verband „The Permanent Defence Forces Other Ranks Representative Association (PDFORRA)“ einstimmig als Mitglied in EUROMIL aufgenommen.
An der Seite der Mitgliedsverbände
Einen weiteren Erfolg erkämpfte Jens Rotbøll zum Ende seiner Amtszeit im Jahre 2002, nachdem Bulgarien die Rechtsvorschriften über die Aktivitäten von Soldatengewerkschaften erheblich verschärft hatte. Zur Unterstützung des bulgarischen Verbandes Legia Rakovski reiste Rotbøll in die bulgarische Hauptstadt Sofia. Gemeinsam mit dem Präsidenten des Soldatenverbandes, einem jungen Leutnant der Luftwaffe, wurde er zu einem Gespräch mit der stellvertretenden Verteidigungsministerin empfangen. Als diese dem Leutnant drohend nahelegte, zu entscheiden, ,,ob er Offizier werden wollte oder nicht“, sah sich der EUROMIL-Präsident zum ersten Mal in seinem Leben gezwungen, „als Organisator auf den Tisch klopfen“ zu müssen. Inzwischen verfügte EUROMIL auch in Bulgarien über einflussreiche Fürsprecher.
Ein Gespräch mit dem bulgarischen Verteidigungsminister bewirkte den Durchbruch. Erzielt wurde eine Gesetzesänderung, die die bulgarische Regierung verpflichtete, mit den militärischen Organisationen ein Abkommen über ihre Aktivitäten abzuschließen. Durch eine Zusammenarbeitsvereinbarung wurde die Existenz und Arbeit der Legia auf eine rechtlich abgesicherte Basis gestellt. Der Leutnant konnte seine militärische Karriere fortsetzen.
Nach achtzehn Jahren an der Spitze von EUROMIL verzichtete Jens Rotbøll auf eine erneute Kandidatur zum Präsidenten. Sein Nachfolger wurde 2002 der Niederländer Bauke Snoep. Anerkennend schrieb die einflussreiche dänische Zeitung „Berlingske Tidende“ über seine Amtszeit, dass Jens Rotbøll EUROMIL als „demokratische schnelle Eingreiftruppe“ profiliert habe, die zum Einsatz kommt, wenn Regierungen Soldaten daran hindern wollen, ihre durch das Europäische Parlament und den Europarat verbrieften Rechte wahrzunehmen.