Kramp-Karrenbauer zur EU-Ratspräsidentschaft: Zusammenarbeit der Sanitätsdienste soll gestärkt werden
Berlin. In der Corona-Krise haben neue Diskussionsformate Hochkonjunktur: So äußerte sich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Livestream zu den sicherheitspolitischen Vorhaben und Zielen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.
Schon im Vorfeld waren vom BMVg die sicherheits- und verteidigungspolitischen Schwerpunkte der EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland am 1. Juli für sechs Monate übernommen hat, kommuniziert worden: Eine Bedrohungsanalyse soll aufgestellt werden – ein erster Schritt in Richtung eines strategischen Kompasses der EU. Intensivieren will man die Kooperation von Nato und EU. Und – ganz im Zeichen der Erfahrungen aus der Corona-Krise – soll die Zusammenarbeit der europäischen Sanitätsdienste verbessert werden. Kramp-Karrenbauer stellte sich dazu im Interview den Fragen von Christoph von Marshall, diplomatischer Korrespondent beim „Tagesspiegel“, und anderer Sicherheitsexperten, die zugeschaltet wurden.
Eine besonders große Herausforderung für die Verteidigungsministerin ist die Bedrohungsanalyse, nach ihren Worten „ein sehr dickes und sehr hartes Brett, das zu bohren ist“. Das liege am unterschiedlichen Bedrohungsempfinden der EU-Mitgliedstaaten. Als Beispiel nannte sie die Rüstungsbestrebungen Russlands. Durch die neuen Raketensysteme seien im besonderen Maß die baltischen und osteuropäischen Staaten sowie Teile von Deutschland bedroht, nicht aber Staaten wie Frankreich und Italien. „Wir habe viele Einzelaspekte, aber noch keine spürbare gemeinsame Herangehensweise“, sagte Kramp-Karrenbauer, „Ich glaube, dass es notwendig ist, diese Einzelaspekte zu einer gemeinsamen Strategie zu verdichten, zu einem strategischen Kompass“.
Die Ministerin bewertete Russland als eine der aktuellen Bedrohungen für die Sicherheit in Europa. Russland als regionale Macht nehme zunehmend Einfluss auf die Nachbarregionen, aber auch auf Staaten wie Syrien und Libyen. „Hinzu kommt spürbar aggressives Verhalten, man sieht es beim Air Policing im Baltikum, man sieht es bei der Aufrüstung bei den neuen konventionellen Waffensystemen, aber auch bei der Entwicklung von zukünftigen Waffensystemen“, sagte die Ministerin.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit der Sanitätsdienste der europäischen Streitkräfte. In der Corona-Krise hätten die Bundeswehr und andere Armeen Europas grenzüberschreitende Hilfe geleistet, etwa, wenn es darum ging, Patienten per MedEvac-Lufttransport von einem Land in eine anderes zu transportieren. „Was wir im Rahmen der PESCO gerne hätten, ist eine richtige Kooperation der Sanitätseinheiten untereinander“, sagte die Verteidigungsministerin und nannte gleich ein konkretes Beispiel, über das man mit zurzeit mit Frankreich diskutiere: „Was wir uns vorstellen, wenn Sie so wollen, sind rollende Intensiveinheiten, also Eisenbahnwaggons, die speziell dafür auch umgerüstet werden können, die man an jede Lok hängen kann.“ Frankreich habe während der Corona-Krise auch Patienten mit TGV-Schnellzügen auf Krankenhäuser im Land verteilt. Ein solches mobiles Konzept könne unter Umständen auch dort helfen, wo man gemeinsam im Einsatz sei, so Kramp-Karrenbauer.
Die militärische Mobilität überhaupt sei ein wichtiger Aspekt, wenn man Deutschland als Drehscheibe für Truppenbewegungen betrachte, so wie die Nato-Doktrin es vorsehe. Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, die ja auch zivil genutzt werden, seien kluge Investitionen, so die Ministerin.
Auch in anderen Bereichen müsse Europa besser zusammenarbeiten. Die Ministerin führte als Beispiel die unterschiedlichen Funk-Standards in den europäischen Streitkräften an: „Wenn wir von einer European Battlegroup sprechen, wie stellen wir sicher, dass alle das gleiche Funkgerät nutzen? Manche sind auf digitalisierten Funk umgestiegen, andere, dazu gehört auch Deutschland, nutzen noch analoge Geräte. Das sind Punkte, das sind Themen, die wir versuchen mit der strukturierten Zusammenarbeit, also mit PESCO, gezielt anzugehen.“
Mit Blick in die Zukunft der GSVP sagte Kramp-Karrenbauer, dass man in den EU-Battlegroups im Gegensatz zur Nato noch keine über Jahre eingespielte Verfahren und Wege habe. Im Zweifel müsse man bei vielen Dingen immer noch in den nationalen Hauptquartieren nachfragen. Die CDU-Politikerin warb dafür, die Battlegroups viel integrativer aufzubauen, als dies derzeit der Fall sei.
Auch auf den vom CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen vor wenigen Tagen ins Gespräch gebrachten Libyen-Einsatz ging die Ministerin ein – und erteilte ihrem Parteikollegen eine Absage. Kramp-Karrenbauer: „Eine Mission in Libyen könnte am Ende eines Prozesses stehen, wenn man vorher einen Waffenstillstand vereinbart hat, der auch trägt. Das ist momentan in Libyen erkennbar noch nicht der Fall und daher ist es jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt, darüber zu reden.“